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Landeshauptstadt: Gehweg-Gebete und Streitgespräche

Angebot der Stadt: Orangerie der Biosphäre kann vorübergehend Ort für Freitagsgebet der Muslime werden

Innenstadt - Als die Muslime am Freitag gegen 12.50 Uhr den Gehweg vor der Al Farouk Moschee mit Besen fegen und danach ihre grünen Gebetsteppiche ausrollen, ist die wichtigste Nachricht des Tages in Potsdam bereits zwei Stunden alt. Nach Gesprächen zwischen Stadt und dem Moschee-Verein am Vormittag steht fest, dass eine vorübergehende Lösung für die Raumnot beim Freitagsgebet in Sicht ist. Die Stadt hat den Gläubigen die Orangerie der Biosphäre am Volkspark als Ort für ihre Religionsausübung angeboten. Dort könnten zumindest bis zum Frühjahr rund 500 Muslime freitags gemeinsam beten. Dann wird neu über einen Ort beraten.

Der Veranstaltungssaal in der von einer Stadttochter betriebenen Tropenhalle ist wie berichtet seit Tagen als Ausweichort im Gespräch. Er bietet Platz für rund 500 Menschen, ist zwölf Meter hoch und wird von Glasfronten umschlossen. Sonst finden hier vor allem an Wochenenden Hochzeiten oder Empfänge statt, stetig genutzt wird die Orangerie nicht. Sie gehört auch nicht zur Ausstellung in der Biosphäre. Ein separater Zugang für die Muslime zu ihrem wöchentlich ab 13 Uhr stattfindenden Freitagsgebet wäre möglich, die Straßenbahn hält direkt vor der Tür. Mit dem Verein und dem Betreiber müssten nun die Modalitäten der Nutzung geklärt werden, sagt Sozialdezernent Mike Schubert, der während des Gebets als Rathaus-Vertreter vor Ort ist. Eine Woche lang hat er Dutzende Hallen prüfen lassen, im Auftrag von Oberbürgermeister Jann Jakobs (beide SPD), der schon vor einem Jahr Hilfe der Stadt zugesagt hatte – die dann aber nicht kam.

Seit dem Sommer waren immer mehr Gläubige zu den Freitagsgebeten in der nur 120 Quadratmeter großen Al Farouk Moschee in der Ladenzeile Am Kanal gekommen – viele mussten auf dem Gehweg beten. Das hatte zu Spannungen geführt. Angesichts dessen hatte Jakobs vor einer Woche erneut schnelle Hilfe zugesagt – auch um der AfD bei diesem Thema nicht in die Hände zu spielen, wie er vor einer Woche sagte.

Am Freitag nun veranstaltet die rechtspopulistische Partei zum zweiten Mal parallel zum Gebet einen Info-Stand. Steffen Kotré aus dem AfD-Landesvorstand und einige Mitstreiter verteilen Handzettel unter dem Motto „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“. Ihnen stellen sich mehr als 20 Mitglieder der linken Szene und der Fraktion Die Andere entgegen. „Ihr dummen Rassisten“, ruft einer. Nach einigen Minuten holen die AfD-Vertreter die Polizei, diese trennt beide Seiten. Ein Linker will auf einen Platzverweis nicht reagieren und wird weggetragen. Doch dann entspinnt sich ein relativ sachlich geführtes Streitgespräch, unter anderem zur Integration von Flüchtlingen. Auf Anfrage bestreitet Kotré, politisches Kapital aus der Raumnot der Muslime schlagen zu wollen. Zugleich begrüße er, dass nun nicht mehr auf der Straße gebetet werden müsse. AfD-Landtagsfraktionsvize Thomas Jung ergänzt, die Hilfe der Stadt dürfe mit „keinem Cent Steuergeld“ subventioniert werden.

Zur Finanzierung der Raummiete für die Orangerie würden noch Gespräche geführt, sagt Sozialdezernent Schubert. Der Moschee-Trägerverein, der sich vornehmlich aus Spenden finanziert, kann für Räumlichkeiten insgesamt bis zu 2000 Euro pro Monat zahlen, will aber seine eigentliche Moschee Am Kanal nicht aufgeben. So hofft Schubert auch auf Hilfe vom Land – speziell für die vom Verein erhoffte langfristige Schaffung eines Gemeindezentrums für soziale Arbeit. Unterstützung für diese Bemühungen sichert das parteiübergreifende Anti-rechts-Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ zu: Potsdam als wachsende Stadt sei in der Lage, mit „besonderen Herausforderungen“ umzugehen, die Vielfalt mit sich bringe, heißt es in einer Mitteilung vom Freitag.

Auch der Imam der Moschee, Kamal Abdallah, geht in seiner Predigt auf den Wert von Toleranz und Solidarität ein. „Alle Menschen sollten ihre Religion friedlich ausüben können“, predigt der Libanese, der seit 16 Jahren in Potsdam lebt, inzwischen einen deutschen Pass hat und Gebäudereiniger bei der Schlösserstiftung ist. Und er sagt: „Die Ethik des Islam lehrt uns Liebe, Toleranz, Frieden und Eintracht.“

Nach dem Gebet fahren er, seine Tochter und Vereinssprecher Essmaiel Archoukieh zur Biosphäre, inspizieren die Räume. Rein größenmäßig müsste es reichen, bemerkt Archoukieh, Projektleiter für Bioengineering am Leibniz-Institut für Agrartechnik. Allerdings seien noch Detailfragen zu klären. Bis Dienstag wolle man der Stadt sagen, ob die Orangerie der Biosphäre geeignet ist. Abdallah: „Wir sind für die Hilfe aber sehr dankbar.“

Vergessen scheint in dem Moment, dass der Tag für den Verein alles andere als schön begann. Unbekannte hatten einige Hass-Aufkleber an die Fenster der Moschee geklebt. „Kein Willkommen“, so ein Slogan. Die Aufkleber hingen noch, als Dezernent Schubert eintraf, um den Orangerie-Vorschlag vorzustellen. Gemeinsam entfernten er und die Muslime die Sticker. Vereinssprecher Archoukieh sagt: „Wir lassen uns davon nicht provozieren.“

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