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Konserviert. An der Leistikowstraße wurde nur das Nötigste erneuert.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: „Gedenkstätte Ja! KGB-Museum Nein!“

Vor der Ausstellungseröffnung: Fragen und Antworten zum Streit um die Gedenkstätte Leistikowstraße

Am morgigen Mittwoch wird die neue Dauerausstellung der Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges sowjetisches Geheimdienstgefängnis Leistikowstraße 1 eröffnet. Allerdings ist die dreijährige Erarbeitungszeit der neuen Ausstellung überschattet von Protesten gegen Inhalte und Intentionen der Ausstellung und gegen die Gedenkstättenleitung. Die PNN beantworten hier wichtige Fragen zum Streit um die Leistikowstraße.

Worum geht es grundsätzlich im Streit um die Gedenkstätte Leistikowstraße?

Die Villa Leistikowstraße 1 ist ein ehemaliges Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Spionageabwehr. Zwischen 1945 und 1989 waren Teile der Nauener Vorstadt von der sowjetischen Militäradministration besetzt. Zwischen 1945 und 1955 waren dort oft deutsche Staatsbürger unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert. Der Vorwurf Spionage war oft Vorwand; selbst geringfügige Anzeichen von politischer Unangepasstheit wurden mit dem Tod oder langjähriger Haft in Arbeitslagern wie dem nordrussischen Gulag Workuta bestraft. Ehemalige Häftlinge, auch Zeitzeugen genannt, werfen der Gedenkstättenleitung vor, nicht mit ihnen zu kooperieren und die stalinistische Verfolgung zu verharmlosen.

Wer sind die Akteure in dieser Auseinandersetzung?

Da ist die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße, die im Dezember 2008 gegründet wurde. Treuhänderisch verwaltet wird sie durch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Die Leiterin der Gedenkstätte, Ines Reich, ist eine Historikerin der Gedenkstättenstiftung. Kontroversen mit der Gedenkstättenstiftung trägt der Gedenkstättenverein Leistikowstraße aus, in dem ehemalige Häftlinge und andere an der Gedenkstätte Interessierte organisiert sind. Ferner gibt es die Zeitzeugen-Initiative ehemaliger Häftlinge und die Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich seit 1997 für das Haus als Gedenkstätte engagiert und 2000 die erste Ausstellung erarbeitete. Titel: „Von Potsdam nach Workuta“. Eigentümer der Villa ist der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH). Die Leistikowstraße 1 wurde 1916 als Sitz der Evangelischen Frauenhilfe errichtet.

Wie lauten die Vorwürfe gegen die Gedenkstättenleitung genau?

„Ausgrenzung“ wird von den Zeitzeugen als Hauptkritikpunkt genannt. „Man hat uns einfach nicht haben wollen“, sagte ein ehemaliger Häftling den PNN. Nach Übernahme des Hauses durch die Gedenkstättenstiftung durften keine Zeitzeugen-Gespräche mehr im Servicebau stattfinden, da dieser für die Forschungsarbeit gebraucht werde. Materialien von Memorial oder der Zeitzeugen-Initiative durften nicht im Eingangsbereich der Gedenkstätte ausliegen. Argument: Die Stiftung betreibe keinen „Kommissionshandel“. Harter Streitpunkt war die Verdunkelung der Kellerzellen: Die originalen Sichtblenden waren verschwunden, die Zellen erschienen den Zeitzeugen zu hell, sie forderten eine Verdunkelung, die es nach langer Debatte nun tatsächlich gibt. Kontroversen gibt es zu vielen Details: So wundert sich ein Ex-Häftling, dass die besonders menschenverachtenden Zellen im linken Kellergang öffentlich nicht gezeigt würden. Inhaltlich wird der Vorwurf gemacht, die neue Ausstellung sei „überfrachtet mit KGB-Akten“. Der Gedenkstättenverein ruft unter dem Motto „Gedenkstätte Ja! KGB-Museum Nein!“ für den morgigen Mittwoch zu einer Mahnwache und einer Menschenkette auf.

Gibt es bisher belegbare Fakten, nach denen die Kritiker recht haben könnten?

In der vergangenen Woche ließ eine Mitteilung der Gedenkstättenstiftung aufhorchen, wonach Aspekte des Widerstandes und das Gulag-System erst in einer „zweiten Projektphase“ bearbeitet würden. Aus Sicht der Zeitzeugen hätten das Hauptpunkte der Ausstellung sein müssen. Die Aussage der Gedenkstättenstiftung wurde von Brandenburgs Kulturstaatssekretär Martin Gorholt (SPD) am Montag mit den Worten relativiert, es handele sich „schon um eine in sich abgeschlossene, gute Ausstellung“, Widerstand und Gulag kämen durchaus darin vor.

Welche Rolle spielt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten?

Sie hat Erfahrung bei der Erforschung von politischer Verfolgung nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone durch die Erstellung der Ausstellung zum Speziallager Sachsenhausen. Die Stiftung legt großen Wert auf Wissenschaftlichkeit. Gedenkstätten seien keine Mahnstätten, es gehe um die Vermittlung historischen Wissens, was die Erforschung der Dokumente der Täter einschließe.

Warum ist der Konflikt um die Leistikowstraße emotional so aufgeladen?

Die Zeitzeugen erlitten traumatische Erlebnisse im Gefängnis und im Arbeitslager. Ihr Lebenslauf ist durch die stalinistische Verfolgung geprägt. Infolgedessen wollen sie mit ihren Erfahrungen ernst genommen und gehört werden.

Wie positioniert sich die Politik zu dem Konflikt um die Leistikowstraße?

Ausgleichend. Brandenburgs Staatssekretär Gorholt sagte am Montag den PNN: „Ich stelle mich auch mit in die Menschenkette.“ Schließlich gehe es um die Ehrung der Opfer. Neben Gorholt kündigte auch der Bundeskulturbeauftragte Bernd Neumann an, mit den kritischen Zeitzeugen zu reden.

Wer finanziert jetzt die Gedenk- und Begegnungsstätte?

908 000 Euro – 463 000 Euro vom Land Brandenburg, 445 000 Euro vom Bund – standen für die Ausstellungsarbeit zur Verfügung. 2,2 Millionen Euro wurden von Bund und Land für den Neubau und die Konservierung der Villa ausgegeben. Insgesamt 248 000 Euro bekommt die Stiftung jährlich von Land und Bund für den Betrieb der Leistikowstraße.

Wie kann der Konflikt entschärft und beigelegt werden?

Alle Signale stehen nun auf Ausgleich. Die Ausstellung wird weiterentwickelt; der Servicebau darf künftig für Zeitzeugengespräche genutzt werden. Guido Berg

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