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Geschichte verstehen: Der Zeitzeuge Dieter Drewitz trifft zum Jubiläum der Projektwerkstatt auf Isa Zander und Cyril Dahlgrün, zwei ehemalige Schüler der Potsdamer Waldorfschule. Die Schüler haben zusammen mit Drewitz und ihrer Schulklasse einen Film zur DDR-Geschichte produziert.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Gedenkstätte als authentischer Lernort

Die Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“ feierte ihr zehnjähriges Bestehen

Von Eva Schmid

Innenstadt - Über 800 Projekttage, 674 Zeitzeugengespräche, bis zu 5000 Schüler jährlich und 41 Lehrerfortbildungen – das sind nur ein paar Zahlen aus der positiven Bilanz von zehn Jahren Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“. Am Montagabend wurde das Engagement der Projektwerkstatt unter Leitung der Gedenkstättenlehrerin Catrin Eich in der Gedenkstätte für Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert gefeiert.

In seinem Grußwort wies Oberbürgermeisters Jann Jakobs (SPD) auf ein großes Bildungsdefizit der Jugendlichen hin: „Nur wenige Schüler wissen, was am 17. Juni 1953 geschehen ist – das kann und darf so nicht bleiben, wir müssen an der Aufhebung dieses Defizits kontinuierlich arbeiten und die Rahmenbedingungen dafür organisieren.“ Auch Bildungsministerin Martina Münch (SPD) betonte die Bedeutung der gedenkstättenpädagogischen Arbeit und ehrte in ihrer Rede die schwierige Arbeit der Gedenkstättenlehrer: „Sie haben eine Schlüsselfunktion für das Demokratieverständnis der Jugendlichen.“ An den Orten des Verbrechens über das Thema zu sprechen, sei „eine emotionale Herausforderung“ und Gedenkstättenlehrer seien Profis im Umgang mit den unterschiedlichen Gefühlen, die eine solche Aufarbeitung und Konfrontation mit der Geschichte mit sich bringen.

Das Gebäude Lindenstraße 54 nutzt Gedenkstättenlehrerin Catrin Eich, zusammen mit 23 Zeitzeugen, als authentischen Lernort, an dem die Vermittlung der DDR-Geschichte sowie die Demokratie- und Menschenrechtserziehung am Beispiel der Diktatur im Zentrum der pädagogischen Arbeit steht. Doch nicht nur in der Gedenkstätte, sondern auch direkt im Klassenzimmer berichten Zeitzeugen den Schülern über die Grausamkeiten der SED-Diktatur. „Mit 19 Jahren wurde ich inhaftiert und saß über ein Jahr im Zuchthaus, weil ich eigentlich nur meine Eigenständigkeit aufbauen und mich entwickeln wollte“, erzählte eine Zeitzeugin am Rande der Veranstaltung. „Ich war also fast im Alter der Schüler, deren Klassen ich besuche, als ich in Haft saß – da erzähle ich dann, dass alles, was die Jugendlichen so kennen, dann plötzlich nicht mehr da war: keine Mutter, keine Hilfe, keine Wärme.“ Ganz schnell setze dann bei den Zeitzeugengesprächen mit den Jugendlichen, die meist 16 Jahre und älter sind, „ziemliches Schweigen und Betroffenheit“ ein.

Die Arbeit der Projektwerkstatt begrenzt sich nicht nur auf Schulklassen aus Potsdam und Brandenburg, sondern es kommen Jugendliche mit ihren Lehrern aus ganz Deutschland, Europa und sogar einmal jährlich eine Schulklasse aus North Carolina (USA) in den Seminarraum in der Lindenstraße. Das Ergebnis dieser Zusammenkünfte sind dann zum Teil auch Filmprojekte, die Schüler mit den Zeitzeugen erstellen.

Mit jährlich 600 000 Euro sicherten die Landeshauptstadt und das Land auch weiterhin die Arbeit der Projektwerkstatt, sagte Jakobs. Das nächste größere Projekt wird die Daueraustellung zur NS-Geschichte des Gebäudes sein, die wie berichtet im Mai 2013 eröffnet werden soll.

Die Gedenkstätte wurde von 1934 bis 1944 vom Potsdamer Erbgesundheitsgericht genutzt, das auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Männer und Frauen zur Zwangssterilisation verurteilte. Bis Mitte Februar 1945 waren zudem eine große Zahl von Kriegsgefangenen, Zivil- und Zwangsarbeitern inhaftiert. In der Zeit von 1945 bis 1952 befand sich in der Lindenstraße 54 das sowjetische Geheimdienstgefängnis für das Land Brandenburg und bis 1989 dann das Stasi-Untersuchungsgefängnis.

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