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Frisch vom MARKT: Streifenwunder

Dass sich jemand an seinem Stand Notizen macht, findet der Tomatenmann witzig. Er kennt das schon.

Dass sich jemand an seinem Stand Notizen macht, findet der Tomatenmann witzig. Er kennt das schon. Namen aufschreiben, Farbe, Form und Größe der Früchte, damit man sie zu Hause aus der bunten Tüte schütten und sortieren kann, kosten und testen. Welche schmeckt jetzt wie, fest, sämig, saftig, süß? „Das halten sie nicht lange durch“, sagt Eberhard Tietze. Er hat 125 Sorten im Angebot, nicht immer sind alle da, aber doch sehr viele. Sein Stand ist schon allein eine optische Wohltat im Vergleich zum Tomatenregal im Supermarkt. Alle Farben Formen und Größen findet man hier. Sie liegen in Holzkisten auf einer Strohunterlage, nichts drückt, nichts schwitzt. Eberhard Tietze ist einer der wenigen Gärtner, die sich liebevoll der Tomate in ihrer ganzen Vielfalt widmen. Seit er auf einer Messe den Sortenreichtum dieser Frucht kennenlernte, sind es bei ihm immer mehr geworden. Das Saatgut bestellt er bei Züchtern, die sich mit diesen alten und vergessenen Sorten auskennen – eine Wissenschaft für sich und viel Frickelei.

In Tietzes Gärtnerei in Herzberg wachsen die Pflanzen auf etwa einem halben Hektar, unter Glas und Folie, aber das sind wirklich nur Dächer zum Schutz, vor Hagel etwa. Alles andere ist Natur, der Wind zieht durch, und die Pflanzen stehen in echter Erde. Er lacht traurig. „Die Industrietomate steht in Steinwolle oder ganz in Flüssigkeit.“ Mit der Erde und der Natur kommt der Geschmack in die Tomate. Es kommen natürlich auch Schädlinge, leider gibt es genug Gekreuch, sagt der Gärtner, „die Weiße Fliege oder irgendwelche Trippslinge“. Dagegen helfen Nützlinge, die die Eier und Larven der anderen bekämpfen. „Bei uns ist ordentlich was los im Beet.“ Gespritzt wird kaum und nur, wenn es an die Existenz geht.

Den ganzen Sommer über steht er nun regelmäßig auf dem Wochenmarkt. Die Auswahl überfordert so manchen Kunden. Was soll man nehmen? Noch dazu sehen sie alle so schön aus. Stammkunden wissen: Einfach braune Tüte schnappen und loslegen, genau wie am Gummitierchenstand auf dem Weihnachtsmarkt. Alles hat denselben Preis. „Sonst würde ich ja verrückt werden.“ Wer sich nicht entscheiden kann, darf kosten. Für einen Salat empfiehlt Tietze sowieso, einmal quer durch die Kisten zu gehen, das sieht in der Schüssel nachher sehr schön aus. Alles andere ist Erfahrungssache und manche wissen genau, was sie suchen. Manchmal ist es der Name, der einen anspricht. Und manchmal kommt alles zusammen wie bei der kleinen Zebrino, einer schwarz-rot-orange gestreiften Cocktailtomate mit dunklem Fleisch – süß und aromageladen.

Trotz der Warnung, dass es mühselig ist, versuche ich zu Hause eine kurze Tomatenverkostung. Die gelb-orange Organza in Hühnereiform ist weniger süß; Avena, rot, eiförmig, aber mit Dellen, ist saftig; Bolzano, klassisch rund aber orange – hm, der fehlt der Wumms. Alle fliegen sie in die Gemüsepfanne. Die Überraschung auf dem Teller: Sie blieben gut in Form und die nüchternen Sorten haben geschmacklich aufgeholt. Das Kochen kitzelte das Aroma hervor. Nie wieder Dose.

Gibt’s auf dem Markt am Bassinplatz. Gezeichnet wurde die Tomatenkarre von der Potsdamer Künstlerin Heike Isenmann

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