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Frisch vom Markt: Samba, Kordia, Regina

Steffi Pyanoe verrät jede Woche, was auf Potsdams Märkten in den Korb gehört. Heute: Die Süßkirsche.

Vielleicht ist es ein großes Missverständnis, diese Süßkirsche im Allgemeinen beziehungsweise der Kampf um sie. Der in vielen Plantagen mit Lautsprechern geführt wird, aus denen unangenehme Geräusche knattern, die die Stare verjagen sollen. Stare, die so gerne im Verbund in die Bäume einfallen und sich mit Oktavia oder Korvick die Bäuche vollschlagen. Auch Netze sollen die Kirschen schützen und früher hingen oft weiße Gardinen im Geäst, flatterten gespenstisch in den Baumkronen.

Der Mensch will an die Kirsche – dabei gehört sie ihm möglicherweise gar nicht. Denn: „Vogel-Kirsche“, lateinisch Prunus avium, heißt der Baum, nicht Menschen-Kirsche. Weil hiervon zunächst die Vögel naschten. Der Mensch kam erst später auf den Geschmack, um 400 vor Christus und vermutlich auf dem Gebiet der heutigen Türkei, wo es erstmals kultivierte Bäume gegeben haben soll. Ein römischer Feldherr brachte sie von dort nach Italien, im Übrigen aus der namensgebenden Stadt Kerasos, und dann ließ sich die Kirsche nicht mehr bremsen.

Nun sind sie also da, und 2018 ist ein tolles Kirschenjahr, nachdem im vergangenen Jahr mancherorts die Blüte erfror. Trotz vieler Maßnahmen der verzweifelten Obstbauern. „Bei Frost wird unsere Plantage beheizt“, sagt Natalja Riedel von Obstbau Riedel in Werder (Havel).

In diesem Frühjahr war es allerdings fast zu warm und vor allem zu trocken. Die Kirsche hat Durst. Viel Wasser von oben ist aber ungünstig, dann platzen die Früchte eventuell auf. Grundwasser wäre ideal – aber das Land liegt trocken. Die Obstbauer-Familie Riedel lässt sogar den Boden bewässern in diesem Jahr. „Mitte August ist vermutlich Schluss mit der Ernte, ein paar Wochen früher als sonst.“

Etwa 20 Sorten haben sie im Angebot. Carmen ist die größte, „Früchte etwa so groß wie ein zwei-Euro-Stück“, sagt Kirschenbäuerin Riedel. Daneben Herzkirschen mit ihrer besonderen Form und die spätblühende Techlovan; Samba, Kordia, Regina – meist sind es Frauennamen. Knupperkirschen sind die alle, sagt Riedel. Weil sie sich so wegknabbern lassen.

Sehr schöne und bombastisch große Kirschen hat auch eine andere Kirschenfrau auf dem Bassinplatz. Nur diese, sonst nichts verkauft sie an einem kleinen Stand. Sie sehen beinahe aus wie aus Plastik, so prall und leuchtend rot. Das Geheimnis ihrer Kirschen will sie aber nicht verraten. Aber sie erklärt, dass man frische Früchte am grünen Stiel erkennt. Und man darf kosten – denn wer kostet, der kauft.

Natalja Riedel sagt, die Haut darf nicht schrumpelig oder verletzt sein. Glänzen soll die Kirsche. „Ein bisschen Staub vom Feldweg an der Plantage lässt sich manchmal aber nicht vermeiden.“

Wäre noch zu klären, warum die Kirschen vom Markt nicht nur gut aussehen und schmecken, sondern vor allem madenfrei sind, während in den Früchten aus heimischen Gärten leider so oft die unappetitliche Brut der Kirschfruchtfliege krabbelt. Und gemeinerweise, weil sie bereits in der frühen Fruchtbildungsphase dort eingezogen ist, das Bohrloch nur sehr schwer zu erkennen ist. Gegen die Fliege sollen Klebefallen helfen oder Hühner in der Plantage, weil sie die Larven aufpicken. Aber ganz vertreiben lässt sich die Fliege schwer. Die kommerziellen Obstbauern dürfen chemische Mittel benutzen: Nach Weiterbildung und strenger Prüfung, sagt Riedel. Denn es gibt viel zu beachten, damit der Wirkstoff nicht in den Früchten zurückbleibt.

Ob in Tschechows „Kirschgarten“ auch Hühner pickten? Jedenfalls blühte er prächtig, aber die Ernte war mager, die Plantage nutzlos, die Familie pleite. Die Bäume stehen bei Tschechow für eine schöne alte Zeit, von der es Abschied zu nehmen galt. Franz Wisbacher dichtete um 1900 sehnsuchtsvoll: Welch ein duftig-roter Haufen auf der Obstfrau Ladentisch! Alles eilt, davon zu kaufen: – Kirschen sind es, jung und frisch.... Einen Mund hat es gegeben, der war auch so frisch und rot; Schauernd strömte junges Leben aus den Küssen, die er bot...

Der Star, dieser Gourmet, ist übrigens Vogel des Jahres 2018. Wer ihm einen Nistkasten in den Kirschbaum hängt, verliert zwar ein paar Früchte an eine Vogelfamilie, gewinnt aber einen Baumwächter, der sein Revier gegen weitere Esser verteidigt.

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Gibt’s auf dem Markt auf dem Weberplatz und auf dem Bassinplatz. Gezeichnet wurde die „Prunis avium“ von der Potsdamer Künstlerin Heike Isenmann

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