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Die Orangerie der Biosphäre dient als Anlaufstelle für Geflüchtete ohne Unterkunft.

© Andreas Klaer

Folgen des Ukraine-Kriegs in Potsdam: Die Notlage spitzt sich zu

Die Stadt Potsdam muss Hunderte geflüchtete Ukrainer:innen aufnehmen und setzt auf provisorische Unterkünfte. Und: Der organisatorische Kraftakt stößt auch an Grenzen.

Potsdam - Lange Warteschlangen, fehlende Corona-Tests, zu wenig Schlafplätze: Bei der kurzfristigen Unterbringung von hunderten Ukrainer:innen aus dem Kriegsgebiet stößt die Stadtverwaltung an ihre Grenzen, teils herrscht Chaos. Zugleich werden fieberhaft neue Notunterkünfte gesucht, unter anderem sollen kurzfristig bis zu 100 Menschen im Treffpunkt Freizeit am Neuen Garten unterkommen.

Den Ernst und die sich stündlich verändernde Lage schilderte am Donnerstagmittag Sozialdezernentin Brigitte Meier (SPD) bei einem Vor-Ort-Termin an der kommunalen Tropenhalle Biosphäre. Deren Orangerie dient kurzfristig als Notlager für bis zu 150 Menschen. Meier sagte, zwar habe man inzwischen 650 Plätze in Hotels und Pensionen anmieten können. Doch die im Vergleich zum Vortag zusätzlich 100 Plätze seien bereits wieder voll, erfuhr sie während des Termins.

Schlafplatz gesucht - in der Biosphäre. Viele haben nichts als einen Rollkoffer und einen Rucksack dabei.
Schlafplatz gesucht - in der Biosphäre. Viele haben nichts als einen Rollkoffer und einen Rucksack dabei.

© Andreas Klaer

Die Biosphäre selbst soll als erster Anlaufpunkt für Ukrainer:innen ohne Unterkunft in Potsdam dienen, die Finanzierung übernimmt das Land. „Von hier aus verteilen wir die Flüchtlinge auf freie Plätze“, sagte Meier. Das sei nicht einfach, auch weil viele Flüchtlinge weiterreisen würden und man dazu keinen Überblick habe. Ferner fehlte am Donnerstag an der Tropenhalle unter anderem die geplante Corona-Teststation. Allerdings habe man Essen, Trinken, eine Kinderspielecke sowie Wasch- und Duschgelegenheiten aufbauen können, hieß es vom Rathaus. Zwischen einigen Feldbetten, auf denen Kinder saßen, standen auch verschiebbare dünne Sichtschutz-Wände. In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag schliefen dort bereits 40 Menschen.

Nur ein Bett für sich. Stellwände sollen etwas Privatsphäre in der Biosphäre bieten.
Nur ein Bett für sich. Stellwände sollen etwas Privatsphäre in der Biosphäre bieten.

© Andreas Klaer

Während des Pressetermins kam ein Dutzend Ukrainer neu an, teils mit Koffern, mit Hilfe von Dolmetschern vor Ort wurden sie empfangen. Biosphären-Chef Sebastian Leifgen sagte, man habe helfen wollen und dafür Tagungen, Firmenfeiern und gebuchte Brunchsonntage unter Palmen abgesagt. Für Besucher habe man zugleich weiter geöffnet: „Das ist herausfordernd.“ Den Corona-Schutz versuche man mit FFP2-Masken zu gewährleisten. Viele Probleme seien neu, auch im Vergleich zur Flüchtlingskrise 2015, sagte Meier – etwa das Mitführen von Haustieren der Geflüchteten, was nach PNN-Informationen gerade in Gastbetrieben, in denen Hunde oder Katzen nicht erwünscht sind, schon für Ärger sorgte.

Neue Unterkunft ab Freitag: Der Treffpunkt Freizeit

Angesichts all dessen müssen dringend neue Unterkünfte geschaffen werden. Geplant ist, dafür möglichst ab diesem Freitag den Treffpunkt Freizeit zu nutzen, dort wären bis zu 100 Plätze möglich. Allerdings müssten noch Brandschutz- und Logistikfragen geklärt werden, sagte Meier. Das klärte sich im Laufe des Tages. Am Abend hieß es, um 15 Uhr werde die Freizeitstätte zur Verfügung stehen. Inwiefern die regelmäßigen Kurse dort pausieren müssen, werde noch entschieden. Gesucht würden noch ehrenamtliche Helfer.

Weitere Hallen?

Auch 40 freie Wohnungen im Wohnblock Staudenhof werde man nutzen, sagte Meier. Geprüft werde auch, ob die Babelsberger Metropolishalle als Notlager genutzt werden könnte. Dazu müsse man sich aber mit dem Innenministerium des Landes abstimmen, weil diese Halle wegen der Nähe zu einem Bahnhof zu einem Drehkreuz für Flüchtlinge werden könnte. Sporthallen seien nur die letzte Möglichkeit, vorher werde man alle anderen Optionen prüfen. Andere Asylunterkünfte in der Stadt wolle man vor allem wegen der Pandemielage zunächst nicht nutzen, so Meier. Gerade arbeite die Verwaltung auch daran, eine größere Quarantäne-Unterkunft für positiv getestete Ukrainer:innen aufzubauen. Auch Impfangebote soll es geben.

Eine Hoffnung sind nun private Anbieter von Wohnraum, mehr als 300 hatten sich gemeldet. Darunter seien auch Angebote für Gemeinschaftsunterkünfte, so Meier. Dabei setze man vor allem auf die Hilfe, wenn Potsdamer zum Beispiel abgetrennte Wohnungen direkt langfristig untervermieten können. Denn bei jenen, die nun privat Flüchtlinge aufgenommen hätten, zeige sich zunehmend, dass das zu Überforderungen führen könne, auch wegen des Umgangs mit traumatisierten Menschen: „Diese Menschen hatten furchtbare Erlebnisse, sie kommen hier an und sehen den ganzen Tag im Fernsehen, was in ihrer Heimat passiert – und sind emotional extrem betroffen“.

Schlafen, essen, duschen. In der Biosphäre hat die Stadtverwaltung für das Notwendigste gesorgt. Fieberhaft wird stadtweit nach weiteren Unterkünften gesucht.
Schlafen, essen, duschen. In der Biosphäre hat die Stadtverwaltung für das Notwendigste gesorgt. Fieberhaft wird stadtweit nach weiteren Unterkünften gesucht.

© dpa

Auch für solche Fälle würden nun noch Unterkünfte gesucht. Unklar sei generell, wie viele Flüchtlinge bereits privat in Potsdam untergekommen seien. Diese sollen sich beim Wohnamt in der Behlertstraße 3a melden. Vor dem Gebäude im Gewerbestandort ComCity hatte sich am Mittag eine lange Schlange mit mehr als 70 Menschen gebildet, zur Versorgung stellte das Rathaus Wasser, Kaffee und ein Kuchenbüfett bereit.

Awo koordiniert Ehrenamtler

Meier kündigte an, dass ab Montag die Arbeiterwohlfahrt (Awo) die ehrenamtliche Helfer in der Stadt koordinieren soll. So könnten schnell Personen angefordert werden, wenn etwa an der Biosphäre kurzfristig Helfer benötigt würden. Zugleich wolle man auf der Internetseite der Stadt die Übersicht zu den wichtigsten Fragen für die Neuankömmlinge ergänzen – hier gibt es nun Bereiche komplett in ukrainischer Sprache.

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Dass nach Potsdam nun so viele Menschen gleichzeitig kommen, liege auch an der dramatischen Lage in Berlin, machte Meier deutlich. Da in Berlin kaum noch Platz in Notunterkünften sei, wäre Potsdam als nächste größere Stadt das logische Ziel für Menschen ohne Obdach. Bekannt gemacht werde das auch über Netzwerke der Ukrainer, etwa im Nachrichtendienst Telegram. Die Menschen würden vor allem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Potsdam kommen, ebenso würden Helfer sie von Berlin aus in die Landeshauptstadt fahren, hieß es. Meier forderte, Tausende weitere Flüchtlinge müssten schnell bundesweit und möglichst mit Zügen verteilt werden, um Brandenburg und Berlin zu entlasten.

Vor dem Gebäude des Fachbereichs Wohnen am Donnerstagmittag
Vor dem Gebäude des Fachbereichs Wohnen am Donnerstagmittag

© Henri Kramer

Sorgen auch wegen alleinreisender Kinder

Schon am Abend vorher war die sich zuspitzende Lage das beherrschende Thema im Hauptausschuss. Da hatte Meier noch erklärt, die Stadt habe einen Bus voller Menschen in die Erstaufnahme nach Eisenhüttenstadt gesendet – zugleich hatte das Innenministerium für den Tag gemeldet, dass auch diese Einrichtung faktisch ausgelastet sei. Insgesamt geht die Stadt mit ihrem leer gefegten Wohnungsmarkt von rund 2500 Neuankömmlingen aus.

Sorgen bereiten den städtischen Verantwortlichen die allein reisenden Kinder und Jugendlichen – hier müsse man auch in der Bevölkerung sensibel sein, dass diese nicht in die Hände von Erwachsenen geraten, die bösartige Motive hätten, sagte Jugenddezernentin Noosha Aubel (parteilos). Es gäbe schon jetzt Fälle, dass polnische Hilfsorganisationen Kinder vermitteln würden – deren neue Bezugspersonen müssten das auch den Ämtern melden, mahnte Aubel.

Sie nannte auch ukrainische Kinderheime als Beispiel – so könnten bis zu 400 Kinder und Jugendliche aus solchen Einrichtungen gemeinschaftlich flüchten, auch nach Potsdam. „Auch darauf müssen wir vorbereitet sein.“

Was kostet das alles?

Die schwierige Lage werde sich auch auf den städtischen Haushalt auswirken, sagte Dezernentin Meier, auch wenn die jetzigen Notunterkünfte vom Land finanziert würden. „Aber es werden nicht refinanzierte finanzielle Bedarfe auf uns zukommen“. 

Größenordnungen nannte sie noch nicht. Ebenso betonte sie: Sachspenden für die Biosphäre würden aktuell nicht benötigt, gerade Kleidung schon vorhanden.

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