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Landeshauptstadt: Flugblätter am Ballon

Wie ein Liberaler die Nachkriegszeit erlebte

Da blitzte der Schalk hervor: „Ein schöner Kalter Krieg“ sei die Sache mit den Ballons gewesen, sagt Wolfgang Schollwer scherzhaft. Die Ballons, das war tatsächlich Kalter Krieg pur. Flugblätter gelangten auf diese Weise durch die Lüfte vom Westen in den Osten. Ab 1952 habe man die Propagandafracht fliegen lassen, berichtet Schollwer. Finanzielle Unterstützung sei dabei von den Amerikanern gekommen. Er selbst habe die Flugblätter entworfen. Der heute 91-Jährige gebürtige Potsdamer war zu dieser Zeit bereits in den Westen gegangen und arbeitete dort im Ostbüro der FDP in Bonn.

Auf einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung berichtete Schollwer am Montagabend in Potsdam von seinem liberalen Wirken in zwei deutschen Staaten. Aus einer monarchistisch geprägten Familie, konservativ und kaisertreu, kam Schollwer in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre ein wenig durch Zufall zu den Potsdamer Liberalen und wurde dort sogar ein wichtiger Mann. Bis zum Landessekretär der Liberaldemokratischen Partei Brandenburgs (LDP) brachte es der junge Liberale.

Eigentlich habe er Medizin studieren wollen, doch als ehemaliger Leutnant der Reserve im Zweiten Weltkrieg sei der Weg zum Studium in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nur über den sogenannten Prüfungsausschuss gegangen. Dort habe man ihm gesagt, er sei politisch zu farblos. Den Rat, in die SED einzutreten, habe er als persönliche Beleidigung empfunden. Da Schollwer den Wunsch nach einem Studium nicht aufgeben wollte, trat er in die LDP ein – ohne zu ahnen, sich damit jede Chance auf einen Studienplatz verdorben zu haben.

Doch der liberale Geist Schollwer machte aus der Not eine Tugend und engagierte sich fortan in der Potsdamer Geschäftsstelle seiner Partei. Aber auch hier musste er bald erkennen, dass Liberalismus nicht auf der Agenda der neuen Machthaber stand. Anfangs habe man in der LDP-Geschäftsstelle noch Illusionen gehabt: „Normale Verhältnisse“, auch in der SBZ – so sei dort die Prognose für die nächsten Jahre gewesen. Die SED würde bei den kommenden Wahlen schon in die Knie gehen und dann hätte auch die LDP eine echte Chance. Dass freie Wahlen gar nicht mehr stattfinden würden, habe man sich schlichtweg nicht vorstellen können.

Schollwer eckte in der Folgezeit immer wieder an, wollte sich nicht wie seine Partei gleichschalten lassen und wurde von den Behörden zu angeblichen Kontakten zu einem politisch missliebigen Westberliner vernommen. Es folgte der Rausschmiss von seinem Posten bei der LDP. So hätte er sich mit seiner Frau schließlich gesagt: „Es hat keinen Zweck mehr hier.“ Das Ehepaar ging 1950 in den Westen. Doch nicht nur via Flugblatt blieb Schollwer dem Osten verbunden. Er arbeitete später im Auswärtigen Amt mit an der Entspannungspolitik Willy Brandts. Holger Catenhusen

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