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Fälle Elias und Mohamed: 7. Verhandlungstag in Potsdam: Staatsanwalt Petersen setzt Silvio S. zunehmend unter Druck

UPDATE: Die Potsdamer Staatsanwaltschaft will überprüfen, ob der mutmaßliche Kindermörder Silvio S. in den vergangenen Jahren noch weitere Kinder missbraucht und getötet hat. Das weitere Verfahren wurde bereits eingeleitet. Doch Silvio S. schweigt noch immer.

Potsdam – In den Mordfällen Elias und Mohamed will die Staatsanwaltschaft Potsdam nach einer Verurteilung von Silvio S. mögliche weitere Fälle von vermissten und getöteten Kindern überprüfen. Das sagte Oberstaatsanwalt Peter Petersen den PNN am Dienstag am Rande des Mordprozesses gegen den 33-Jährigen vor dem Landgericht Potsdam.

Das weitere Verfahren sei bereits in die Wege geleitet worden, sagte Petersen. Demnach soll nach Abschluss des Prozesses ein Bewegungsprofil von Silvio S. erstellt werden. Anhand dessen werde dann abgeglichen, an welchen Aufenthaltsorten in der gesamten Bundesrepublik Vermisstenfälle vermerkt sind. 

Gab es weitere Taten vor den Morden an Elias und Mohamed?

Nach aller kriminalistischer Erfahrung müsse es bereits vor den Morden an Elias und Mohamed bereits Taten gegeben haben, "aber nicht unbedingt Tötungsdelikte", sagte Petersen den PNN. "Niemand startet von null auf hundert." 

Bei der Überprüfung der Spuren bei S. sei man bislang aber nicht auf Verbindungen zu anderen Vermissten- und Tötungsfällen gestoßen. Insgesamt seien mehr als 1500 DNA-Spuren ausgewertet worden. In seiner Karriere als Staatsanwalt sei ein einmaliger Aufwand betrieben worden, um die Spuren aufzuwerten. Die Kriminallabore der Landeskriminalämter von Berlin und Brandenburg allein hätten das nicht geschafft, daher habe sogar ein privates Labor beauftragt werden müssen. Allein auf Berliner Seite hätte das einen sogenannten Verfahrenskostenanteil von 480.000 Euro verursacht.

Auch die Ermittler im Fall der seit Mai 2015 in Sachsen-Anhalt vermissten Inga (5) wurden eingeschaltet. Der Soko "Wald" wurden auch Spuren übergeben, darunter lange blonde Haare, die Mohamed und Elias nicht zuzuordnen waren.

Warum schweigt Silvio S. weiter?

Staatsanwalt Petersen kann sich auch das Schweigen des Anklagten im Prozess, zu dem 48 Zeugen geladen und fünf Sachverständige beteiligt sind, nicht erklären. Immerhin war am Dienstag schon der siebte Verhandlungstag. Mehrfach hatte der Vorsitzender Richter Theodor Horstkötter den Angeklagten um eine Aussage gebeten, weil die Mütter von Mohamed und Elias ein Recht darauf hätten, zu wissen, was mit ihren Söhnen geschehen sei.

"Ich finde es rätselhaft, warum er schweigt", sagte Petersen. "Das kann ich nicht nachvollziehen." Das sei auch nach einer Verurteilung für Silvio S. von Nachteil. Wenn er die Straftaten nicht verarbeitet, dann könne ihm auch kein Gutachter nach Verbüßung einer lebenslangen Haft nach 15 Jahren bescheinigen, ungefährlich zu sein. "Und dann bleibt er da, wo er jetzt ist", sagte Petersen. Im Knast. Der Staatsanwalt ist sich seiner Sache jedenfalls sicher: "Ich überführe ihn auch ohne Geständnis." Die Ergebnisse der Obduktion der Leichen von Elias und Mohamed sei klar - "sonst hätte ich keine Anklage erhoben".

In der Verhandlung selbst setzt Petersen den Anklagten zunehmend unter Druck. Am Montag stellte er im Verhandlungssaal jene Gegenstände aus der Asservatenkammer aus, die die Polizei bei S. nach der Festnahme am 29. Oktober 2015 in dessen Auto gefunden hatten: Eine Wäschewanne mit Katzenstreu, in der Mohamed lag, Sado-Maso-Utensilien wie Fesseln, Knebel, Masken, aber auch Chloroform, mit der er Mohamed betäubte und einen Gürtel, mit dem er den Jungen erdrosselte.

Petersen setzt den Angeklagten mit einer Puppe unter Druck

Am Dienstag, den siebten Verhandlungstag, erhöhte Peterson noch einmal den Druck. Im Verhandlungssaal hatte er eine lebensechte, etwa ein Meter große Puppe mit Tigerkostüm und Perücke aufgestellt - direkt gegenüber von S., ihren Blick direkt auf den 33-Jährigen gerichtet, mehrere Stunden. Erst am Nachmittag sollte dann die Puppe eine Rolle spielen, als ein Beamter des Berliner Landeskriminalamtes aussagte, der den Computer von S. ausgewertet hatte. Er fand vor allem Bild- und Videodateien: Gewaltpornos mit Vergewaltigungsszenen, Hetero- und Homosexvideos, Bilder von SM-Utensilien, mitgezeichnete TV-Beiträge über Kinder. "Die Sequenzen waren brutal, die Mehrzahl beinhaltete Gewalt", sagte der Beamte. Auch Bilder zweier unbekannter Jungen waren darunter. Und der Ermittler fand auch noch Fotos mit besagter Puppe. S. muss sie selbst gemacht haben. Sie zeigen ihn bei sexuellen Handlungen mit der Puppe im Bett. "Damit hat er geübt", sagte ein Gerichtssprecher.

Als im Gerichtssaal die Puppe und die Fotos zur Sprache kamen, war es der Moment von Staatsanwalt Petersen. Er zog sich seinen Gummihandschuh über, hob die Puppe empor, für alle sichtbar. Er legte sie demonstrativ auf den Zeugentisch, entkleidete sie, hielt sie wieder hoch und trug sie zur Richterbank. Und blickte dabei immer wieder direkt zu Silvio S. Der sank in diesem Moment in sich zusammen.

Zwei Vernehmungsbeamte sagen aus

Zuvor hatte die Schwurgerichtskammer bereits zwei Vernehmungsbeamte einer Berliner Mordkommission als Zeugen gehört. Sie waren nach der Festnahmen von Silvio S. nach Brandenburg geeilt. In der Vernehmung hatte S. die Entführung und den Mord an Mohamed gestanden und auch eingeräumt, Elias getötet zu haben, allerdings ohne Details zu nennen. Von der ersten Vernehmung existierte auch ein Protokoll, das aber von S. und seinem Anwalt nie unterzeichnet worden war. Indem das Gericht die Beamten nun hörte, ist das damalige Geständnis von S. nun indirekt verwertbar.

Die Angaben der Beamten über den Verlauf der Vernehmung decken sich jedenfalls: Demnach schilderte S., wie er den Vierjährigen am 1. Oktober 2015 am Berliner Lageso entführte, wie er ihn in seiner Wohnung in Kaltenborn bei Jüterbog (Teltow-Fläming) am 2. Oktober missbrauchen wollte - und ihn später erwürgte, weil der Junge sich wehrte.

Beamtin: "Es war kein Mitgefühl zu erkennen"

Die Eröffnungsfrage der Vernehmung, Start 17.36 Uhr am 29. Oktober, war demnach: "Wie geht es Ihnen?" S. hätte dann geantwortet: "Mir geht es eher schlecht, weil man so etwas nicht macht." Aber was, hakten die Beamten nach: "Menschen entführen oder Menschen töten", soll S. gesagt haben. Den Beamten fiel vor allem auf, wie sachlich und ruhig S. das alles schilderte. "Es war kein Mitgefühl zu erkennen", sagte eine Beamtin vor Gericht. "Er hätte ja zur Arbeit gemusst und Mohamed nach dem versuchten Missbrauch nicht ruhig bekommen.“ 

Als es konkret um die sexuellen Handlungen an Mohamed ging, hätte S. teilweise – als er sich daran erinnerte – gegrinst und gelächelt, berichteten die beiden Vernehmungsbeamten. Zudem habe S. es auch genossen, im Mittelpunkt zu stehen. Schließlich habe er eingeräumt, Elias getötet zu haben. Zudem habe er noch eine Skizze gemalt, wo auf seiner Gartenparzelle der verscharrte Leichnam von Elias zu finden sei. Dann brach Verteidiger Noll die Vernehmung ab, es war um 21.04 Uhr, angeblich weil S. übermüdet gewesen sei.  

Seither schweigt S. auf Anraten seines Verteidigers, das Vernehmungsprotokoll ließ er seinen Mandanten auch nicht mehr unterzeichnen. Widersprochen hatte er dem Protokoll auch im Gerichtssaal nicht.

Richter Horstkötter appelliert an Angeklagten

Und so wiederholte Richter Theodor Horstkötter seinen Appell an Silvio S. auch dieses Mal am Ende des Verhandlungstages: "Uns ist bewusst, dass Sie ein Schweigerecht haben, das wir achten. Das ist etwas Elementares. Es schützt Sie." Aber wenn S. doch noch aussagen wolle, dann solle er dies mit Blick auf den Prozessverlauf - für den 26. Juli ist das Urteil geplant - doch in der nächsten Zeit machen. "Ich will nicht in Sie gehen, Sie müssen entscheiden", sagte Horstkötter. "Der Einzige, der weiter zur Aufklärung beitragen kann, sind Sie." Ganz besonders im Fall von Elias.

Den soll S. am 8. Juli 2015 von einem Spielplatz im Potsdamer Stadtteil Schlaatz entführt und danach, als der sexuelle Missbrauch scheiterte, ermordet haben. Was er aber genau geschah, weiß nur Silvio S. 

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