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Shimon Nebrat beim Tora-Studium.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: „Es muss Parallelgesellschaften geben“

Shimon Nebrat von der Gesetzestreuen Jüdischen Gemeinde in Potsdam fordert eine bedarfsgerechte Finanzierung des Judentums im Land Brandenburg

In Potsdam soll es wieder eine Synagoge geben. Sie müssten sich eigentlich freuen. Aber ich weiß, dass Sie es nicht tun. Warum nicht?

Die Landespolitiker beteuern immer hoch und heilig die moralische Verpflichtung des Landes, das jüdische Leben wieder herzustellen. Dazu braucht man zuerst ein Konzept, in dem klar definiert ist, wo und welche jüdischen Einrichtungen wieder aufgebaut werden müssen. Dann muss eine bedarfsgerechte Finanzierung gewährt werden. Die Platzeck-Regierung lehnt ein solches Konzept ab. Und sie baut hier keine Synagoge, sondern ein Verwaltungszentrum für einen russischen Kulturverein. Wie ein Vertreter der Landesregierung erklärte, will man ,ein repräsentatives Erscheinungsbild des Landtagsumfeldes’ schaffen und eine Synagoge errichten, die zukünftig als ,Stätte der Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen deutschen und internationalen Einrichtungen’ missbraucht wird. Das ist ein Etikettenschwindel und politischer Aktionismus.

Brandenburg hat keine einzige Synagoge. Da wäre eine erste in der Landeshauptstadt doch auf jeden Fall ein großer Fortschritt.

Für die Wiederherstellung jüdischen Lebens wird nicht eine zur Schau getragene Pseudosynagoge benötigt, sondern in erster Linie eine jüdische Schule und jüdische Kindergärten. Mit den Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion gibt es wieder Juden in Brandenburg. Gemäß dem Landesverteilungsschlüssel leben sie über das ganze Land zerstreut und dürfen nicht umziehen, nicht alle in einer Stadt leben. Die meisten sind völlig assimiliert und als Juden nicht zu erkennen, sie kommen aus einem Staat, in dem das Judentum verboten war. Viele sind überzeugte Atheisten, verstehen nichts vom Judentum, können nicht mal beten, halten keinen Schabbat und haben kein Bedürfnis nach einer Synagoge. Wir müssen den Zuwanderern das Judentum erst nahebringen, damit sie wieder zu Juden werden.

Aber sie können einen sowjetischen Pass vorweisen, in dem steht: Nationalität Jude.

In der Tat, im sowjetischen Pass stand es drin, denn nur so konnte die sowjetische Regierung uns als Juden immer erkennen. Die Faustregel im Judentum lautet, man wird nicht als Jude geboren, sondern man wird zum Juden. Jude ist, wer nach den Gesetzen der Tora lebt. Derjenige, der diese Pflicht ablehnt, ist kein Jude und damit kein Vertreter des jüdischen Volks. Unsere Tora ist das einzige, was uns zum Volk macht.

Eine jüdische Mutter zu haben, macht einen doch auch zum Juden

Eigentlich nicht. Wer von einer jüdischen Mutter geboren ist, hat sozusagen als Geburtstagsgeschenk eine Eintrittskarte zum Judentum bekommen, er ist aber noch kein Jude. Er muss noch zum Juden werden. Die Möglichkeit, sich dem jüdischen Volk anzuschließen, d.h. sich zu verpflichten, nach den Gesetzen der Tora zu leben, besteht übrigens auch für Menschen, die keine jüdische Mutter haben.

In diesem, für mein Empfinden sehr rigorosen Sinne, sagen Sie, sind die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Potsdam keine Juden?

Die sind keine Juden, auch wenn ich das nicht sage. Sie sind als Juden nicht zu erkennen, weil sie nicht jüdisch leben. Wissen die Nachbarn von denen, dass sie Juden sind? Sie grillen Schweinefleisch, gehen am Schabbat einkaufen und fahren Auto, tragen keine Kopfbedeckung Viele von ihnen haben nicht einmal eine jüdische Mutter. Und sie bezeichnen ihre russischen Kulturvereine als jüdische Gemeinden, um staatliche Zuwendungen zu beanspruchen. Das ist ein rein deutsches Phänomen! Das schlimmste daran ist, dass die Platzeck-Regierung gerne mitspielt, um ihre Zwangsassimilationspolitik durchzusetzen. Eine jüdische Gemeinde ist ein Zusammenschluss von Juden, die zusammen Judentum praktizieren. In der von Ihnen genannten Vereinigung wird bekanntlich kein Judentum praktiziert. Das hat neulich auch der langjährige Geistliche dieser Landesvereinigung, Nachum Presman, mit seinem Austritt unmissverständlich bestätigt.

Aber gerade weil das jüdische Konzept bei vielen Zugewanderten nicht stark ist, ist es doch eine gute Idee, ein Gemeindezentrum mit einer Synagoge zu kombinieren, wie es in Potsdam geplant ist. Um die Menschen an die jüdische Religion heranzuführen.

Ein jüdisches Gemeindezentrum muss unter einem Dach einen Kindergarten, eine Schule, ein Jugend-, ein Seniorenzentrum und eine Synagoge beherbergen. In Potsdam ist das nicht geplant. Wir müssen mit jüdischer Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen anfangen. Erst diese neue Generation braucht dann irgendwann eine Synagoge. Und wir müssen Rabbiner einsetzen können, die die Zuwanderer intensiv betreuen und sie in ihre eigene Religion integrieren. In Israel ist jede Schule eine jüdische Schule, jeder Kindergarten ein jüdischer Kindergarten. Darum braucht sich die Gemeinde dort nicht zu kümmern. In der Diaspora ist es anders: Die Aufgabe Nr.1 für eine jüdische Gemeinde ist es, Kindergärten und Schulen aufzubauen. Nur so kann eine jüdische Gemeinde wieder entstehen und zukunftsfähig bleiben.

Das Land, gegen das Sie viele Klagen führen, will ihre Gesetzestreue Landesgemeinde nun rückwirkend mit 17 000 Euro pro Jahr fördern. Viel zu wenig, wie Sie finden

Die russische Kulturvereinigung soll fast 500 000 im Jahr bekommen Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen sachlichen Grund! Das Land will uns nicht fördern, es wurde dazu vom Gericht verpflichtet. Die Platzeck-Regierung verfolgt das Ziel, hier ein DDR-Judentum zu installieren – ein Scheinjudentum ohne Juden, ohne Rabbiner, ohne Schulen. Weitere Vertreibung der gesetzestreuen jüdischen Familien soll durch die mit dem neuen Fördermodell einkalkulierte Diskriminierung der Gesetzestreuen Landesgemeinde erzielt werden. An die assimilierte Kulturvereinigung soll dagegen weiterhin und verstärkt Schweigegeld gezahlt werden.

Sie reden von ,Diskriminierung’ und von ,Schweigegeld''. Das sind unversöhnliche Begriffe.

Was wollen Sie? Die seit 20 Jahren staatlich geförderte Kulturvereinigung, die sich jetzt als Landesverband jüdischer Gemeinden bezeichnet, hat den jüdischen Familien zu keiner Zeit Kindergärten und Schulen sowie Senioren- und Jugendeinrichtungen zur Verfügung gestellt. Und das ist auch mit dem neuen Fördermodell nicht geplant. Die Zuwendungen des Landes wurden für ganz andere Zwecke verwendet, sogar Schulden von etwa einer Million Euro wurden gemacht. Die Platzeck-Regierung verschließt vor diesen Tatsachen die Augen und setzt ihre verfassungswidrige Förderungspolitik unbeeindruckt fort. Sie kann keine nachvollziehbare Erklärung abgeben, wie der neue Förderbetrag von 500 000 Euro errechnet wurde und was mit dem Geld nun erreicht werden muss.

Sie haben bereits zehn weitere Klagen gegen das Land Brandenburg erhoben.

Gegen Diskriminierung müssen wir uns ja wehren. Das Bundesverfassungsgericht hat noch im Mai 2009 entschieden, dass das Land im Hinblick auf seine aus dem Grundsatz der staatskirchenrechtlichen Parität folgende Verpflichtung zur gleichmäßigen Förderung vergleichbarer Religionsgesellschaften die Gesetzestreue Landesgemeinde mit der konkurrierenden Gruppierung gleich stellen und gleich fördern muss. Um diesen Beschluss umzusetzen, hat die Landesregierung mit der Gesetzestreuen Landesgemeinde einen Staatsvertrag zu schließen, in dem ein finanzierbares Konzept der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung notwendigster jüdischer Einrichtungen festgelegt wird. Das lehnt der Ministerpräsident Platzeck weiterhin ab. Ihre diskriminierende Förderpolitik begründet die Regierung damit, dass es im Land mehr Zuwanderer um den russischen Kulturverein gibt als gesetzestreue Juden geblieben sind. Nachdem man bereits mehr als 5500 zugewanderte Juden aus dem Land vertrieben hat, ist diese Förderpolitik besonders zynisch. Die Zwangsassimilation, die die Platzeck-Regierung aktiv betreibt, ist die schlimmste Form des Antisemitismus. Gefördert wird nur derjenige, der sich der russischen Vereinigung anschließt.

Zu Ihrer Forderung nach jüdischen Schulen: In Deutschland gibt es eine starke Trennung zwischen Religion und Staat. In deutschen Grundschulen werden in allererster Linie das ABC und das Einmaleins gelehrt.

Es gibt anerkannte evangelische, katholische und jüdische Schulen in Deutschland. Man lernt in einer jüdischen Schule jüdische Traditionen kennen. Judentum und Hebräisch sind Grundfächer. Man bekommt eine jüdische Erziehung - das ist ein Fundament für das jüdische Leben.

In Deutschland geht bei Konservativen die Angst um vor Parallelgesellschaften. Wenn Sie eigene Kitas und Schulen haben, eigene, koschere Restaurants Besteht nicht die Gefahr, dass die Einheit eines Landes verloren geht?

Nein. Die Einheit des Landes ist mit der Landesverfassung garantiert. Aber es gibt keine einheitliche Leitreligion, Leitkultur oder Leittradition. Wir sind gekommen, um Juden zu bleiben. Das sollte doch in einem demokratischen und freien Land möglich sein? In der Sowjetunion war das aufgrund von starkem Assimilationszwang nicht möglich. In Deutschland leben neben Deutschen auch Chinesen, Italiener, Juden, Türken Also haben wir schon Parallelgesellschaften! Man muss einsehen, dass die sogenannten Parallelgesellschaften die einzige denkbare Lösung für ein friedliches und respektvolles Miteinander sind, die einzige Möglichkeit für Integration ohne Assimilation. Vorausgesetzt, das Grundgesetz wird anerkannt und die Gesellschaften bleiben füreinander offen. Assimilation ist der schlimmste Feind des jüdischen Volkes.

Aber der Minimalkonsens muss doch sein, dass alle deutsche Staatsbürger sind.

Im Judentum spielt es keine Rolle, welchen Pass und welche Staatsangehörigkeit man hat. Für uns gilt: ,Dina de’ malchuta dina’ - das Gesetz des Staates ist Gesetz. Alle, die hier leben, müssen das deutsche Grundgesetz akzeptieren und respektieren. Aber jeder pflegt seine eigene Religion und seine eigene Kultur. Sehen Sie nach Amerika, keiner kommt dort auf den Gedanken, die chinesischen, jüdischen, italienischen, spanischen oder russischen Viertel aufzulösen. Dort ist man stolz darauf, dass es viele Parallelgesellschaften mit eigenen Kulturen und Religionen gibt und empfindet dies als untrennbaren Teil der Gesellschaft. Aber in Brandenburg wird deutlich gemacht: Du musst dich assimilieren oder du musst gehen.

Sie fordern eine bedarfsgerechte Finanzierung. Das klingt ein wenig nach dem Land, wo Milch und Honig fließen.

Für das Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam ist es auch so: 800 000 Euro jährlich für das Sammeln von jüdischen Witzen! Wenn das Land so viel Geld in die jüdische Vergangenheit investiert, muss doch etwas für die jüdische Zukunft da sein. Das Land will doch nicht nur die Geschichten von Herrn Schoeps und Stolpersteine, sondern auch lebendige jüdische Einrichtungen. Es geht hier um den Mindestbedarf. Wenn nicht alles machbar ist, dann muss ein Konzept her, das festlegt, wie das Ziel mit begrenzten Mitteln erreicht werden kann. Die Gesetzestreue Landesgemeinde muss die gleichen Chancen bekommen wie ihre Konkurrentin. In diesem Zusammenhang ist es von sekundärem Interesse, wie viele Juden zurzeit in unserem Land leben. Entscheidend ist vielmehr, dass bereits viele das Land wieder verlassen haben, weil sie Hoffnung und Vertrauen verloren haben und auf die Erfüllung der Zusagen nicht warten konnten. Wir müssen den hier noch gebliebenen Zuwanderern einen Kindergarten und eine Schule, Religionsunterricht, Seelsorge und rabbinische Betreuung anbieten können. Erst dann kann man hoffen, dass in 15 bis 20 Jahren nicht nur Stolpersteine, sondern auch Juden in diesem Land bleiben, die Gemeinde wächst und eine Zukunft hat.

Immerhin hat die Jüdische Gemeinde Potsdam nun einen Rabbiner.

Einen Rabbiner, den sie nicht selbst bezahlen will. Diese Vereinigung hat bereits viele Rabbiner gehabt. Sie haben diese ,Gruppierung'' wieder verlassen mit demselben Urteil – das ist keine Religionsgemeinschaft. Zuletzt ist Nachum Presman gegangen. Wenn der Neue tatsächlich ein Rabbiner ist, wird auch er diese Gruppierung verlassen, spätestens wenn die Fremdfinanzierung ausläuft.

Das Interview führte Guido Berg

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