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So war es einst: Jugendliche sitzen dicht an dicht an einem Imbiss in der Friedrich-Ebert-Straße.

© Andreas Klaer

Ernst, verunsichert und besorgt: Das Leid der Potsdamer Jugendlichen in der Coronakrise

Jugendliche leiden besonders unter dem Lockdown: Keine Zeit mit Freunden, keine Feiern, eine ungewisse Zukunft. Das führt zu Problemen.

Von Birte Förster

Potsdam – Heimliche Partys, Treffen mit vielen Leuten: Jugendliche werden oft verurteilt als diejenigen, die sich für ihren eigenen Spaß über den Schutz der Bevölkerung hinwegsetzen und so die Pandemie vorantreiben. „Unsere Wahrnehmung ist eine andere“, sagt Julia Schultheiss, Geschäftsführerin vom Verein Stadtjugendring (SJR) Potsdam. Die jungen Leute seien ernster und besorgter geworden. Viele seien verunsichert, auch weil sie ihre Familien nicht gefährden wollen. „Die Jugendlichen sorgen sich um die Mitmenschen“, meint Schultheiss.

Mehr Konflikte in Familien

Tatsächlich würden viele Jugendliche unter der aktuellen Situation ganz besonders leiden, ist von mehreren Potsdamer Sozialarbeitern und Beratungsstellen zu hören. Nicole Becker, Leiterin der Beratungsstelle des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF) in Potsdam, weiß aus ihrer Erfahrung, womit Jugendliche seit Beginn der Corona-Pandemie und während der Lockdowns zu kämpfen haben. 

In vielen Familien gebe es mehr Konflikte und Gewalt. „Insbesondere für Mädchen ist das ein echtes Problem.“ Die Zahl der Kinderschutzfälle sei seit dem ersten Lockdown gestiegen. „Zu befürchten ist, dass die Nachwirkungen noch nicht vorbei sind und durch die des aktuellen Lockdowns übertroffen werden“, meint sie.

Julia Schultheiss ist Geschäftsführerin des Stadtjugendrings
Julia Schultheiss ist Geschäftsführerin des Stadtjugendrings

© promo

Aber selbst in Familien, in denen Gewalt kein Thema ist, fällt den Jugendlichen der Alltag schwer. Durch die Unregelmäßigkeiten im Schulunterricht würde vielen ein konstanter Rhythmus fehlen. Auch gewohnte Freizeitaktivitäten wie Sport und andere Hobbys fielen weg. „Der ganz normale Alltag der Jugendlichen findet nicht mehr statt“, resümiert die Psychologin. 

Durch die fehlenden Kontakte zu Gleichaltrigen wüssten einige Jugendliche daher nicht „wohin mit sich“. Das führe bei einigen Jugendlichen zu einem „problematischen Medienkonsum“, der teilweise über Wochen ihren Alltag bestimme. Selbst in der Zeit zwischen den Lockdowns, als wieder vermehrt andere Angebote da waren. 

Isolation führt zur Erschöpfung

Wenn all diese Faktoren zusammenkommen, konstante Elemente im Leben der Jugendlichen wegbrechen, kann das auch zu ernsten psychischen Erkrankungen führen. Christian Raschke sieht solche Tendenzen bei manchen Schülern. Er arbeitet als Schulsozialarbeiter am Bertha-von-Suttner-Gymnasium in Babelsberg und ist zuständig für das Thema seelische Gesundheit. 

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Ob mehr Jugendliche seit der Corona-Pandemie unter psychischen Erkrankungen leiden, sei derzeit noch schwer zu sagen, da es bisher kaum Studien gebe, berichtet der Sozialarbeiter. Aber er stellt bereits jetzt fest: „Die soziale Isolation führt dazu, dass man erschöpft ist und es Rückzugstendenzen gibt“, sagt Raschke. Das würden auch die Zahlen von Hilfetelefonen und Beratungsstellen zeigen. Zu Hause entstünden mehr Stresssituationen, dazu kämen Leistungsdruck und der fehlende Halt durch die Klassengemeinschaft. Das verursache Ängste. „Im schlimmsten Fall entstehen daraus Angststörungen“, sagt der Schulsozialarbeiter.

Schulsozailarbeiter Christian Raschke.
Schulsozailarbeiter Christian Raschke.

© privat

Welch massiven Einfluss es auf die psychische Gesundheit haben kann, wenn das gewohnte Konstrukt aus Schule, Freunden und Hobbys auseinanderfällt, zeigt das Beispiel eines Potsdamer Schülers, der nicht namentlich genannt werden möchte. Anfang 2020 kam bei dem 17-Jährigen vieles zusammen. Da er die Potsdamer Montessori-Schule besuchte, die nach der zehnten Klasse endet, musste er die Schule wechseln. 

Dazu kam die Coronakrise mit den Kontaktbeschränkungen und einem unregelmäßigen Schulrhythmus. „Viele Grundpfeiler in meinem Leben sind weggebrochen“, sagt er. Während der Sommerferien ging es ihm immer schlechter. Er entwickelte Ängste vor der Schule und dem Lernen sowie vor anderen Menschen. Sein Herzschlag sei hochgegangen, wenn er zu einer Gruppe dazukam, berichtet der Jugendliche. Schließlich wurde er für drei Monate krank geschrieben. Ein Psychotherapeut diagnostizierte bei ihm eine Angststörung und eine leichte Depression.

Der Leistungsdruck hat etwas nachgelassen

Mittlerweile geht es ihm wieder besser. Die Symptome seien nur noch leicht, sagt er. Seine Eltern hätten ihm in dieser Zeit sehr geholfen, aber auch seine Mitschüler. "Die Unterstützung von der Klasse war auf jeden Fall voll da", sagt er. Viele von ihnen kennt er bereits seit Langem, da sie mit ihm ans Schulzentrum am Stern gewechselt sind. 

An das Lernen zu Hause habe er sich inzwischen gewöhnt. Außerdem habe der Leistungsdruck verglichen mit dem ersten Lockdown nachgelassen. Die Aufgaben seien weniger umfangreich und die Form sowie die Art und Weise der Umsetzung offener. Es sei schön, "dass alle sehr flexibel sind", meint der Schüler. 

Die Jugend steckt beim Feiern zurück

Besonders betroffen von der aktuellen Situation sind auch die älteren Schüler aus den Abschlussjahrgängen. Abiturfeiern, an die sich Absolventen noch Jahre später gerne zurückerinnern, können nicht stattfinden. Und es kommen bei vielen Zukunftsängste auf. Dass diese Jugendlichen, die auf so vieles verzichten müssen, als Partyjugendliche stigmatisiert werden, empfindet Katharina Swinka als ungerecht. 

Die 18-Jährige ist Sprecherin des Kreisschülerrats Potsdam. "Die Jugend steckt unglaublich zurück", sagt sie. Viele würden außerhalb der Schule auf Kontakte verzichten. Sie und ihre Mitschüler beschäftigen derzeit vor allem Gedanken an die Abiturprüfungen. Denn normale Prüfungen seien nicht möglich, vermutet sie. 

Schüler sorgen sich um Abituransehen und Notenschnitt

Die Schülerin, die die 12. Klasse der Peter-Joseph-Lenné-Gesamtschule in Potsdam besucht, befürchtet, dass die schwierigen schulischen Bedingungen sich negativ auf die Zukunft der Schüler auswirken. "Jeder wird sich an die Corona-Jahrgänge erinnern. Dass wir nicht so viel gelernt haben", meint sie. Aber auch, dass die Abiturnoten durch die Umstände schlechter ausfallen und es schwieriger wird, den nötigen Notenschnitt zu erreichen, den man für bestimmte Studiengänge benötigt, sei die Sorge der Schüler - "da das Lernen nicht auf normale Weise stattfinden konnte." 

Swinka selbst möchte Jura, Psychologie oder Soziologie studieren. Da einige damit rechnen, an einer deutschen Universität keinen Platz zu bekommen, schauen sie und ihre Mitschüler sich bereits im Ausland um, wo Zulassungshürden teils geringer sind. Auch wichtige Informationsmöglichkeiten wie Studienberatung und Studienmessen würden wegfallen, so Swinka. Ebenso Feiern in der Oberstufe und der Abiball, bevor für alle ein neuer Lebensabschnitt beginnt. "Es ist kein Abschied von der Kindheit möglich", sagt Swinka. 

Lebensplanung liegt im Ungewissen

Das entspricht auch der Wahrnehmung von Sozialpädagoge Olaf Caesar. Er ist der Leiter der Potsdamer Einrichtung Wildwuchs Streetwork und arbeitet mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 27 Jahren zusammen. Auch er spricht die Unsicherheit der jungen Menschen an, die fehlende Perspektive. 

Viele Jugendliche fühlen sich einsam und haben Angst vor den nächsten Monaten (Symbolbild).
Viele Jugendliche fühlen sich einsam und haben Angst vor den nächsten Monaten (Symbolbild).

© Getty Images

Und er nennt noch einen entscheidenden Punkt: Derzeit könnten viele Jugendliche und junge Erwachsene nur warten, weil ein Arbeits-, ein Ausbildungsplatz oder eine Stelle für ein Freiwilliges Soziales Jahr wegen fehlender Angebote noch nicht gefunden wurde. "Darunter leidet die Selbständigkeit", meint Caesar. Durch die finanzielle Unsicherheit sei der Auszug aus dem Elternhaus außerdem für viele bis auf Weiteres nicht möglich. "Die ganze Lebensplanung wird ins Ungewisse verschoben." 

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