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Landeshauptstadt: „Enteignung ist nur die äußerste Maßnahme“

Der Rechtsexperte Schmidt erklärt, welche Rechte die Stadt gegenüber dem „Charlott“-Eigentümer hat

Herr Professor Schmidt, die Stadtverordneten beraten am Mittwoch, von den Eigentümern des früheren „Kino Charlott“ zu verlangen, das marode Gebäude in einen akzeptablen Zustand zu bringen. Notfalls soll die Enteignung geprüft werden. Welche Voraussetzungen bestehen dafür?

Eine Enteignung darf nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Solche Gesetze sind etwa das Brandenburgische Enteignungsgesetz sowie das Baugesetzbuch des Bundes. Danach ist eine Enteignung nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und einer der gesetzlich festgelegten Enteignungszwecke auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann. Enteignungsbehörde ist das Innenministerium, nicht die Stadt Potsdam. Die Stadtverordnetenversammlung kann lediglich beschließen, einen Enteignungsantrag zu stellen. Die Entscheidung des Ministeriums darüber kann dann gerichtlich überprüft werden.

Die Linke argumentiert, der Eigentümer lasse das denkmalgeschützte Kino verfallen. Daher könne er wegen Vernachlässigung enteignet werden. Verfängt diese Argumentation?

Zwar stellt die bloße Vernachlässigung eines Gebäudes für sich genommen weder einen gesetzlich zulässigen Enteignungszweck nach dem Enteignungsgesetz noch nach dem Baugesetzbuch dar. Doch können Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen, wie das Kino, unter erleichterten Voraussetzungen auf der Grundlage des Brandenburgischen Denkmalschutzgesetzes enteignet werden. In solchen Fällen ist eine Enteignung möglich, wenn auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann, dass ein Denkmal in seiner Substanz, seiner Eigenart oder seinem Erscheinungsbild erhalten werden kann oder aber ein Denkmal der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden kann, sofern hieran ein öffentliches Interesse besteht.

Wie kann die Stadt noch in die Entwicklung eines vernachlässigten Privatgrundstücks eingreifen?

Da die Enteignung von Privateigentum immer nur als äußerste Maßnahme infragekommt, ist vorrangig nach anderen denkmal- und baurechtlichen Wegen zu suchen. Denkmalschutzrechtlich können Eigentümer eines Denkmals im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet werden, die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Baurechtlich bietet sich der Erlass eines Modernisierungs- und Instandsetzungsgebotes an. Kommt der Eigentümer dem nicht nach, kann gegen ihn ein Zwangsgeld verhängt werden oder die Stadt in besonders schwerwiegenden Fällen gar anstelle des Eigentümers und auf dessen Kosten im Wege der sogenannten Ersatzvornahme tätig werden.

Im September 2004 wurde das Grundstück auf einer Auktion für 126 000 Euro an den jetzigen Besitzer versteigert. Falls eine Enteignung möglich ist: Was würde das kosten und wie lang dauert so etwas?

Sollte es am Ende wirklich zu einer Enteignung kommen, hätte die Stadt nach dem Brandenburgischen Enteignungsgesetz den Verkehrswert des Grundstücks zu ersetzen. Dieser kann wegen der zwischenzeitlichen Steigerung der Grundstückspreise höher, wegen des Verfalls des Gebäudes aber auch niedriger als der damalige Auktionspreis liegen. Zur Ermittlung des Verkehrswertes ist im Zweifel ein Gutachter einzuschalten. Wird das Grundstück enteignet, so hat die Verfahrenskosten der Eigentümer zu tragen. Bleibt der Antrag der Stadt auf Enteignung hingegen erfolglos, so hat sie die Verfahrenskosten zu ersetzen. Und: Es handelt sich um ein langwieriges Verfahren. Zunächst hat die Stadt zu versuchen, sich mit dem Eigentümer über den Eigentumsübergang zu einigen. Soweit dies erfolglos verläuft, führt sie das Verfahren vor dem Innenministerium durch – und gegen dessen Entscheidung kann in mehreren Instanzen, bis hin zum Bundesgerichtshof, vorgegangen werden.

Die Fragen stellte Henri Kramer

Thorsten Ingo Schmidt, geboren 1972, ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht, Verwaltungs- und Kommunalrecht an der Universität Potsdam.

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