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Landeshauptstadt: Die Erfindung der Lennéschen Feldflur

Die Ehre verdient eigentlich Hermann Sello/Gegen die Übernahme einer nationalsozialistischen Geschichtsfälschung

Die Ehre verdient eigentlich Hermann Sello/Gegen die Übernahme einer nationalsozialistischen Geschichtsfälschung Von Dr. Clemens Alexander Wimmer Wer immer sich öffentlich zur Feldflur äußert oder Schilder dort aufstellt, geht mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass Lenné sie geschaffen habe. Wer sich hingegen die Mühe macht, in den Archiven in alten Akten und Plänen zu stöbern, findet, dass Lenné an der Verschönerung dieser Feldflur nicht beteiligt war, und dass der Auftrag an den Hofgärtner Hermann Sello gegangen war. Dies hatte Gründe: Auf Bornstedter Gebiet hatte Lenné sich 1842 recht massiv um die Verschönerung nach seinen Vorstellungen gekümmert. So massiv, dass es dem Minister des königlichen Hauses, Graf Anton zu Stolberg-Wernigerode, zuviel war. Er beklagte sich in einem Schreiben an den König vom 31. Januar 1843, Lennés Pläne für die Bornsteder Feldflur hätten erst ihm vorgelegt werden müssen, sodann hätte er sich mit dem König besprechen und das weitere veranlassen müssen. Stattdessen hatte Lenné die Pläne dem König direkt vorgelegt, und die Regierung hatte sie ohne Wissen des zuständigen Ministers ausführen lassen. Nachdem auf diese Weise Bornstedt verschönert worden war, stand Bornim an. Da König Friedrich Wilhelm IV. Landesverschönerung im Umfeld seines Wohnsitzes gut fand, war dagegen wenig zu machen – allerdings diesmal nach dem „geordneten Geschäftsgang“. Man musste ja nicht Lenné nehmen, der als Gartendirektor genug zu tun hatte und für Felder verwaltungsmäßig nicht zuständig war. So beauftragte Stolberg den Hofgärtner von Sanssouci, Hermann Sello, der in diesen Dingen ebenso kompetent war. Sellosche Feldflur Hermann Sello hat die Verschönerung in den Jahren 1844-48 im Auftrag des Hausministeriums geplant und durchgeführt. Sein Entwurf für die Feldflur ist leider nicht überliefert. Erhalten blieb sein Entwurf für den Amtsgarten und in seinem Nachlass ein langer Rechenschaftsbericht über die abgeschlossenen Arbeiten. Der Entwurf für den Amtsgarten ist von Sello mit seinem Namen signiert. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf seine persönliche Urheberschaft. Hätte er einen Entwurf Lennés umgezeichnet, so hätte er nie gewagt, ihn auf diese Weise zu signieren. In dem Bericht schreibt er klar und deutlich, dass er selbst die Arbeiten durchführte. Hätte er als Mitarbeiter des Gartendirektor Lenné gehandelt, so hätte er diesen erwähnen müssen, um es sich mit seinem väterlichen Freund und Vorgesetzten nicht zu verscherzen. Stolberg schreibt 1848 selbst, daß Sello „die sämtlichen in diesem Jahre vollständig beendeten Pflanzungen, Wege, Hecken und Garten-Anlagen auf der Domaine Bornim nach dem speziellen Befehle Sr. Majestät des Königs im Auftrage der derzeitigen Chefs der Domainen Verwaltung, Herrn Grafen Stolberg“ habe ausführen lassen. Auch Sellos jüngerer Bruder Emil nannte in einem Nachruf im Falle der Bornimer Feldflur nur Sello als Beauftragten des Königs, nicht Lenné. Die Aktenlage ist also klar. Im Werk selbst sind auch gravierende Unterschiede zu Lennés Werken festzustellen. Wenn Lenné Agrarlandschaften verschönerte, so kamen stets oval geformte Ackerstücke heraus, die von Gebüschgürteln umschlossen waren, in denen die Wege verliefen. Das ist fragmentarisch noch heute in der Bornstedter Feldflur zu erkennen. In Bornim dagegen verlaufen die Wege als Baumalleen ohne Unterwuchs durch die Felder, die Felder bleiben viereckig, und die Windschutzstreifen sind gerade und von den Wegen getrennt. Wie konnte es nun dazu kommen, dass alle die Feldflur Lenné zuschreiben? Dazu lohnt ein Blick in die 1920er Jahre. Damals hatte man sich Lennés Landschaftsgärten übergesehen und vertrat die Meinung, dass Gärten besser geometrisch angelegt würden. Lenné war unmodern geworden. Seine Wiederentdeckung stand erst bevor. Der Gartenarchitekt Friedrich Wiepking-Jürgensmann (1891-1973) ließ sich die Rehabilitation Lennés ein besonderes Anliegen sein. Erstmals 1927 brach er eine Lanze für ihn. In seinem Buch „Garten und Haus“ lobt er Lenné und die von ihm geschaffene „Laublandschaft“ um Potsdam, zu der er auch Bornim zählt. Außerdem schreibt er ihm – ohne jede Grundlage – den Schlosspark von Altdöbern zu, an dessen Wiederherstellung Wiepking selbst gearbeitet hatte. Fühlte sich als Lennés Nachfolger Als sich nach der Machtübernahme durch Hitler 1933 der Ordinarius für Gartengestaltung an der Berliner Landwirtschaftlichen Hochschule, Erwin Barth, erschoss, erhielt Wiepking, der, ohne der Partei beizutreten, auf die Linie der NSDAP eingeschwenkt war, seine Stelle. Er fühlte sich nun als Nachfolger Lennés, da dieser die Potsdamer Gärtnerlehranstalt gegründet hatte, aus der später die Hochschulausbildung für Gärtner in Berlin hervorgegangen war. Fortan hielt er Lenné noch mehr hoch. Anlässlich der Olympischen Spiele 1936 fand eine Ausstellung „Große Deutsche in Bildnissen ihrer Zeit“ statt. Hier hing auch das Porträt Lennés, und in dem 1937 veröffentlichten Werk „Biographie der großen Deutschen“ schrieb Wiepking einen Aufsatz über Lenné: „Seine Werke tragen das Antlitz besten deutschen Geistes.“ Wiepking hielt den Landschaftsgarten für deutsch und den geometrischen Garten für undeutsch. Er hatte auch die Außenanlagen des Olympischen Dorfes in Priort entworfen, wobei er Lenné, „einen der größten Landschaftsgestalter aller Zeiten“ als Vorbild nennt. Sicher war es auch Wiepking, der seinen Assistenten Gerhard Hinz veranlasste, über Lenné zu promovieren. Seine 1937 vorgelegt Dissertation über Lenné gilt bis heute als Standardwerk. Dabei ist hervorzuheben, dass der gewissenhafte Hinz, der die Akten studiert hatte, keine einzige nationalsozialistische Phrase verwendet und auch an keiner Stelle die Bornimer Feldflur Lenné zuschreibt. Als Hinz allerdings im Auftrag von Albert Speer die Außenanlagen des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg gestaltete, wobei „öde Kiefernheide auf Eiche und Laubholz umgestellt wurde“, bemühte er auch hier „den großen P. J. Lenné“. Seit Beginn des II. Weltkriegs befasste sich Wiepking vorranging mit der Landschaftsplanung in den eroberten slawischen Ländern. Vom Reichsführer SS, Heinrich Himmler, als „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“ wurde als „Sonderbeauftragter für den landschaftlichen Aufbau der neuen Siedlungsgebiete“ herangezogen. Wiepking verbreitete jetzt die These, dass die Versteppung der Landschaft an die slawischen Völker gebunden war und die fruchtbare Kulturlandschaft an die arischen. Außerdem galt ihm die von Hecken in Nord-Süd-Richtung unterteilte Landschaft als die ideale „Wehrlandschaft“, die das militärische Vordringen der Feinde verhindern sollte. In seinen von fanatischem Rassismus geprägten Aufsätzen zu diesem Thema finden sich Worte wie diese in der Zeistschrift „Neues Bauerntum“ von 1940: „Die Gefahr einer Verostung lässt sich bei unseren engen Lebens- und Verkehrsbeziehungen nicht auf den eigentlichen Osten beschränken, sie würde sich tief in den alten gesunden und wahrhaft deutschen Teil des Volkskörpers hineinfressen und ihn in seinen besten Werten vernichten. Man wird das Weiterfressen des Ostischen nach dem Westen und Süden nur verhindern können, wenn unerbitterlich die Quellen des Ostischen auf immer keinen Zufluß zum Westen mehr haben. Keine Brücke, kein Steg darf zwischen Osten und Westen bleiben.“ 1942 legte Wiepking seine berüchtige „Landschaftsfibel“ vor. Sie war als Anleitung gedacht, die so genannte deutsche Landschaftsgestaltung in Polen und Russland durchzusetzen. Am Schluss des Buches stellte Wiepking seinen „großen Amtsvorgänger Lenné“ mit der angeblich von ihm geschaffenen „Bornimer Gutsflur“ als ein entscheidendes Vorbild hin. 1944 wandte sich Wiepking der „Bornimer Gutsflur“ noch näher zu. Dies lag nahe, denn das staatliche Gut war damals „Preußische Versuchs- und Forschungsanstalt“ und mit der Friedrich-Wilhelms-Universität verbunden, an der Wiepking lehrte. Er ließ den Bestand kartieren, Luftbilder anfertigen und verglich das Vorhandene mit historischen Karten. Der Zusammenbruch verhinderte die Publikation der Ergebnisse. Entwurf Lennés hat es nie gegeben Wiepking holte sie jedoch nach. In einer von der Deutschen Gartenbaugesellschaft in Konstanz herausgegebenen Festschrift zum 100. Todestag Lennés 1966 behauptete er, jetzt Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes, die Gestaltung des Musterguts Bornims ginge auf einen „Entwurf Lennés“ zurück. Einen solchen Entwurf gibt es nicht und hat es auch vor dem Krieg nicht gegeben, wie Wiepking aus der Arbeit von Hinz hätte wissen müssen. Mit einer Wortwahl, die sich von seiner vor 1945 verwendeten kaum unterscheidet und klingt, als hätte Hitler den Krieg gewonnen und seitdem ganz Russland nach Anleitung seiner Landschaftsfibel umgestalten lassen, schrieb der 75-jährige Wiepking: „Lenné schuf in der Gutsflur Bornim das leuchtende Beispiel, wie der Mensch mit seiner von der Urvegetation entblößten Erde umgehen, sie verwalten, sie bewirtschaften'' müsse, damit sie ihm nachhaltig fruchtbar werde und eine freundliche und schöne Mutter'' bleibe. Der von Bornims gepflegter Kulturlandschaft ausgehende Segen breitete sich in aller Welt, in neu geschaffenen Kulturlandschaften, in verkarsteten und verwüsteten Gebieten, in Steppen, Prärien, Halbwüsten und Savannen segensreich aus." Wiepking Ausführungen aus dieser seltsamen Schrift wurden seitdem nicht in Frage gestellt, sondern bereitwillig übernommen, sogar in der DDR. Auch das Amt für Agrarordnung machte sich nicht die Mühe, die Herkunft dieser Lenné-Legende zu untersuchen, als es mit Hilfe eines italienischen Architekten 1997 begann, die Feldflur „nach Lennéschen Plänen“ wiederherzustellen. Diese Maßnahmen haben Potsdam einen wesentlichen Teil seines landschaftskünstlerischen Erbes zurückgegeben. Um jeden Verdacht auszuräumen, dass sie in der Tradition nationalsozialistischer Machenschaften stehen könnten, sollten sich die Verantwortlichen daran gewöhnen, die Feldflur nicht weiter zur „Lennéschen Feldflur“ zu stilisieren, sondern als das bezeichnen, was sie ist – die Sellosche Feldflur.

VonDr. Clemens Alexander Wimmer

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