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Landeshauptstadt: Das Zusammenspiel

Schüler der Potsdamer Montessori-Oberschule inszenieren einen modernen „Wilhelm Tell“

Von Sarah Kugler

Es ist ein Familienalbtraum: Die geschiedenen Eltern streiten sich, wer mit den Kindern wohin in den Urlaub fahren darf. Die Kinder stehen hilflos dazwischen. Der Vater – mit neuer Frau – ist in diesem Fall Wilhelm Tell, Heldenfigur aus dem gleichnamigen Stück von Friedrich Schiller. Doch in der modernen Adaption des neunten Jahrgangs der Potsdamer Montessori-Oberschule ist Tell kein Held. Höchstens ein gebrochener, doch eher ein normaler Mensch. Am Montag hatte das Stück Premiere, am heutigen Donnerstag gibt es noch einmal zwei Aufführungen. Das Besondere: Die Schüler spielen auf der gesamten Freundschaftsinsel – pro Szene ein Ort. Beginnend auf der Wiese an der Langen Brücke ziehen sie weiter zum Pavillon, über den Spielplatz bis hin zur Inselspitze gegenüber des Helig-Geist-Turms. Selbst die Havel wird zwischendurch als Bühne genutzt, die Akteure fahren Schlauchboot.

Es ist Tradition an der Montessori-Schule, dass der neunte Jahrgang zu Beginn des Schuljahres eine Theateraufführung organisiert, sagt Martina Oestreich. Sie ist eine der betreuenden Lehrerinnen des Projekts. „Einen Nachmittag am Ende des vorhergehenden Schuljahres setzen wir uns zusammen und besprechen Themen, die die Schüler interessieren“, erklärt sie. Dieses Jahr geht die Theatertradition in ihr zehntes Jahr. Zur Unterstützung holt sich die Schule professionelle Künstler von außen. Jens Vilela Neumann, Jörg Isermeyer und Lionel Tomm sind freischaffende Theaterregisseure mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Von ihnen stammt der Stückvorschlag und auch die Bearbeitung des Stoffes – immer in Zusammenarbeit mit den Schülern, wie Jens Vilela Neumann betont. „Die Schüler haben sich dieses Mal für Action, Krimi, Liebe und besonders für Politik interessiert“, sagt er am Mittwoch nach einer Aufführung. „Da sind wir schnell auf Schillers Wilhelm Tell gekommen.“ Im Mittelpunkt von Schillers Drama, das sich um die Befreiung der Schweiz von der habsburgische Herrschaft dreht, steht die Sage von Wilhelm Tell. Das ist der, der seinem Sohn den Apfel vom Kopf schießen muss und schließlich die Befreiung vom Tyrannen Gessler einleitet. Außerdem gibt es eine Liebesgeschichte zwischen Berta von Bruneck und Ulrich von Rudenz, der sich mit seinem Volk versöhnt und ihm die Freiheit schenkt.

Die 52 Montessori-Schüler haben der Geschichte allerdings ihren ganz eigenen Stempel aufgedrückt und die Themen herausgearbeitet, die ihnen besonders wichtig erschienen. Das sei vor allem Zusammenhalt, wie Sophie Haecker sagt. Die 15-Jährige spielt die Mutter von Ulrich von Rudenz und hat das Stück zur Vorbereitung gelesen – das sei nicht Pflicht, wie sie erklärt. „Uns wurde die Geschichte Szene für Szene erzählt und danach haben wir improvisiert.“ Aus diesen Improvisationen sei dann die moderne Bearbeitung entstanden.

Es ist eine Version, in der Wilhelm Tell einen Scheidungsvater verkörpert, in der sich die Liebenden im Fitnessstudio kennenlernen und der Tyrann mit Trump, Putin oder Erdogan verglichen wird. „Wir wollten aktuelle politische Themen verarbeiten, aber auch alltägliche Probleme nicht außen vor lassen“, so Sophie Haecker. Und so bekommt die AfD genauso ihr Fett weg wie tussige Beauty-Gurus, der Klimawandel wird thematisiert, aber auch Schulstress. Eine besonders schöne Szene: Verschiedene Gruppen des „Volkes“ kommen zusammen. Die sportlichen Prolls, die zimperlichen Tussis, die klugen Nerds. Jeder bringt seine Probleme mit, am Ende einigen sie sich aber auf ein gemeinsames Ziel und verteilen die Aufgaben. Demokratie im Kleinen also, jeder arbeitet nach seinen Stärken.

Die Mischung aus moderner Sprache und Schillerschen Versen gibt der Inszenierung ein flottes Tempo, das Haecker besonders mag. „Die alte Sprache hat sehr viel Achtsamkeit in sich, das finde ich schön, es passt aber auch nicht immer“, sagt sie. „Unser Mix macht das Stück lustig.“

Spannend ist auch, dass die Montessori-Schüler die Rollen unabhängig von Geschlechtern verteilt haben. So darf etwa die 15-jährige Linka Richter auch den Tyrannen verkörpern. „Die klassischen Stücke bieten ja fast nur Rollen für Männer und es war total spannend, das mal umzudrehen“, sagt sie. Letztendlich habe das Geschlecht gar keine Rolle mehr gespielt, es ging um die Figuren und ihre Geschichten. So wie eben Wilhelm Tell, der hier keine überhöhte Heldenfigur mehr ist. Denn in dieser Inszenierung kann jeder Held sein.

Heute um 10 Uhr und 17.30 Uhr auf der Freundschaftsinsel

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