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Lu Yen Roloff, freie Kandidatin für die Bundestagswahl.

© Andreas Klaer

Bundestagswahlkampf in Potsdam: Klimaaktivistin fordert Scholz und Baerbock heraus

Lu Yen Roloff, Aktivistin bei Extinction Rebellion, bewirbt sich als unabhängige Kandidatin für das Direktmandat im Potsdamer Wahlkreis 61. 

Potsdam - Annalena Baerbock (Grüne) kämpft bei der Bundestagswahl wahrscheinlich gegen Olaf Scholz (SPD) um den Wahlkreis Potsdam. Nun tritt eine unerwartete Herausforderin gegen die beiden Politprofis an: Die Klimaaktivistin Lu Yen Roloff bewirbt sich als unabhängige Kandidatin für das Direktmandat. 

“Einfach machen.” Unter diesem Slogan startete Roloff am Donnerstagabend im Potsdamer Rechenzentrum ihren Wahlkampf. Etwa zwei Dutzend Unterstützer hatten sich im Rechenzentrum zusammengefunden, 30 weitere waren per Videostream zugeschaltet. 

„Ich hätte mir nie vorgestellt, einmal Wahlkampf zu machen“, sagte die Kandidatin, die bisher als Klimaaktivistin bekannt war. Zur parlamentarischen Politik habe sie bisher ein eher distanziertes Verhältnis gehabt, sagte Roloff. Das verwundert ein wenig. Schließlich hat die 43-jährige als Journalistin gearbeitet und mehrere Jahre lang für Greenpeace Kampagnen organisiert hat. Doch in dieser Zeit habe sie in einer „Bubble“ gelebt, sagt sie heute. 

„Endlich handelt mal jemand“

Sie habe sich damals für Themen wie gesellschaftlichen Wandel oder die Digitalisierung interessiert und im Großen und Ganzen ein gutes, bequemes Leben geführt. Doch als sie sich vor zwei Jahren aus beruflichen Gründen intensiv mit den Folgen der Konsumgesellschaft für die Natur beschäftigt habe, etwa mit der Zerstörung durch Plastik, habe ihr das die Augen geöffnet. 

Dann habe sie die Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion kennengelernt und sei sofort begeistert gewesen. „Endlich handelt mal jemand“, habe sie gedacht. Roloff schloss sich der Bewegung an, wurde Vollzeitaktivistin. “In dieser Zeit habe ich immer wieder meine Komfortzone verlassen“, sagt sie. Zuerst habe sie im Tigerkostüm gegen das Artensterben protestiert, schon bald danach Kunstblut im Hamburger Hafen ausgeschüttet. Und vor allem: „Ich habe gelernt, wie stark Leute sein können, wenn sie gemeinsame Ziele verfolgen.“  

CDU und SPD nur „Scheinriesen“

Die Kandidatin inszenierte sich als Anti-Politikerin. Die Bundespolitik werde “von Parteien dominiert, die sich immer weiter von der Gesellschaft entfernen“, sagt sie. CDU und SPD seien „Scheinriesen“, deren Spitzenpersonal aus „alten Männern“ bestehe. CDU, FDP und AfD seien nur „Lobbyparteien“ für die Industrie. Die Grünen attackierte sie jedoch nicht direkt, Hauptangriffziel war die SPD und deren voraussichtlicher Direktkandidat Olaf Scholz.  

Dass sich Scholz trotz seines Einkommens für nicht reich halte, zeige seine Abgehobenheit. Der Vizekanzler hatte kürzlich mit einer entsprechenden Äußerung viel Kritik ausgelöst. Fälle wie der von Gerhard Schröder, der binnen kürzester Zeit vom deutschen Kanzler zum russischen Gaslobbyisten wurde, hätten zur Politikverdrossenheit in Deutschland beigetragen, kritisierte Roloff. „So etwas ist ein paar Mal zu oft passiert.“ 

Olaf Scholz wurde von Roloff scharf kritisiert.
Olaf Scholz wurde von Roloff scharf kritisiert.

© REUTERS

Roloff tritt als parteiunabhängige Kandidatin an. Sollte sie auf diese Weise tatsächlich in den Bundestag kommen, wäre es das erste Mal seit 1949. Bei der ersten Nachkriegswahl wurden drei formal unabhängige Kandidaten ins Parlament gewählt. Roloff betont, dass ihre Kandidatur anders sei als die der etablierten Politiker: „Ich hab kein Geld im Rücken, aber das Vertrauen meines Teams.” 

Roloff sieht sich als Bewegungspolitikerin

Ihren Anhängern und Freunden rief sie zu: „Stellt euch vor, dass wir in der nächsten Legislaturperiode den Wandel einleiten!“ Dann sprach sie von autofreien Städten, regionaler Lebensmittelproduktion auf dem Land, dem Schutz der Wälder und harten Einschnitten, die notwendig seien, um den Klimawandel zu stoppen. Die Zeit dränge, doch gleichzeitig sei der Moment "so günstig wie nie zuvor“, glaubt Roloff. “Die Leute haben genug.” Protestbewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion würden das zeigen. 

Über Potsdamer Lokalthemen sprach Roloff am Donnerstag nicht. Sie machte klar, dass sie sich als Bewegungspolitikerin versteht. Der Wahlkampf werde nach dem Vorbild der US-amerikanischen Jungpolitikerin Alexandria Ocasio Cortez organisiert, erklärte Roloffs Mitstreiterin Bianca Praetorius. Die als “AOC” bekannte Demokratin aus New York war 2018 ins Repräsentantenhaus gewählt worden. 

Zuvor hatte "AOC” durch eine Mobilisierung in den Stadtteilen den alteingesessenen Mandatsinhaber Joe Crowley schlagen können. Ob Roloff etwas ähnliches in der Landeshauptstadt gelingen kann? Das Kürzel “LYR”, das das Team bereits benutzt, lässt sich auf Deutsch jedenfalls etwas weniger flüssig aussprechen. 

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