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Schnelle Wählerin. Beate Nuß aus Bornstedt ist schon in der DDR immer wählen gegangen und hat auch jetzt schon gewählt. Von der Politik wünscht sie sich, 28 Jahre nach der Wende, endlich Lohn- und Rentengerechtigkeit.

© Andreas Klaer

Bundestagswahl 2017: „Wählen ist Bürgerpflicht“

Wie Beate Nuß das Briefwahlbüro im Rathaus fand. Und die Rentnerin gerne dem Potsdamer Linke-Spitzenkandidaten Norbert Müller sagen würde.

Potsdam - Beate Nuß geht nicht mehr wählen. Sie war schon. Gleich nachdem das Briefwahlbüro im Rathaus eröffnete, ist sie hingegangen. Sicher ist sicher. „Weil ich nie weiß, ob ich am 24. September nicht doch was anderes vorhabe“, sagt sie. Beate Nuß ist 79, Rentnerin und viel unterwegs, sie hat unter anderem zwei Konzert-Abos, vom Potsdamer Nikolaisaal und dem Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Immer Sonntagnachmittag, 16 Uhr. Eine gute Zeit, um anschließend noch im Hellen mit den Öffentlichen nach Hause zu fahren. Jedenfalls war sie schon wählen und hat die Briefwahlunterlagen ihrer Tochter auch gleich abgeholt. Es war ja ein Weg und Beate Nuß ist rüstig. Obwohl es im Rathaus ganz schön verwirrend war. Der Weg zum Wahlbüro war zwar ausgeschildert, aber ewig lang. „Wer sich das ausgedacht hat “, sagt sie, seufzt und schüttelt den Kopf.

Aber allen Hürden zum Trotz ist Beate Nuß überzeugt: „Wählen ist Bürgerpflicht.“ Sie wohnt in einer Zweizimmerwohnung in einem Neubau im Bornstedter Feld, Südseite, drittes Obergeschoss, Balkon und barrierefreies Bad. Vor drei Jahren zog sie aus einem Dorf zwischen Leipzig und Dresden nach Potsdam, weil hier ihre Tochter lebt.

Ob der Christian Lindner was ändern wird?

Schon einmal war sie Potsdamerin, in den 1970er-Jahren. Da wohnte sie im Zentrum Ost, das war damals auch ganz neu. Die Humboldtbrücke gab es noch nicht und die Schnellstraße war Brach- und Grünland. Heute hat Beate Nuß ein 65-plus-Ticket. „Das ist doch was Herrliches“, sagt sie. Damit kann man einen Monat lang überall in Brandenburg den Nah- und Regionalverkehr nutzen. Sie fährt damit viel umher, ins Fitnessstudio in der Zeppelinstraße und zu den Treffen ihrer Wandergruppe. Zweimal in der Woche.

Sprechen sie da auch über Politik, wenn sie unterwegs sind? „Nein. Wer wandern geht, dem geht’s gut“, sagt sie lachend. Auch im Treffpunkt Schickes Altern ist Politik kein Thema. Was nicht heißt, dass sie sich nicht dafür interessiert. Beate Nuß verfolgt den Wahlkampf im Fernsehen und im Radio, Antenne Brandenburg hat sie als Standard-Sender gespeichert, erzählt sie. Ihre Prophezeiung zum Wahlausgang: Die neue Regierung wird entweder so wie die alte, oder Union, FDP und Grüne kommen zusammen. „Aber ob der Christian Lindner was ändern wird?“

Linke aus Überzeugung - und aus alter Gewohnheit

Sie selbst hat die Linke gewählt, sagt sie. Aus Überzeugung und aus alter Gewohnheit. Früher war Beate Nuß, gelernte Wirtschaftsleiterin, Mitglied der SED, dann der PDS; irgendwann ging sie den Genossen aufgrund ihrer Umzüge oder der letzten Parteiumbenennung verloren. In Potsdam war sie jedenfalls noch nie bei einer Linke-Versammlung. Den Direktkandidaten der Linken kennt sie nicht, nur vom Wahlplakat. „Das ist der Müller, glaube ich.“ Das Wahlprogramm hat sie zwar nicht gelesen. Aber es wird schon gut sein. Die Sahra Wagenknecht sei ja sehr intelligent. „Frau Wagenknecht höre ich ganz gerne“, sagt sie. Aber persönlich treffen würde sie lieber mal den Gysi. Am gestrigen Mittwochnachmittag war der Linke-Politiker aus Berlin – „Ist der jetzt nicht Chef der EU-Linken?“ fragt Beate Nuß – bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Keplerplatz. Und sie hatte sich vorgenommen, dabei zu sein, wenn er spricht.

Das Thema Lohn- und Rentengerechtigkeit ist ihr wichtig. Sie weiß, dass es nicht allen so gut geht wie ihr. Manche ihrer Bekannten müssen ganz schön rechnen, um mit der Rente zurecht zu kommen. Und bei den Einkommen gerade im Pflegesektor müsste sich auch was ändern. „Irgendwann betrifft mich das auch mal“, sagt sie. 28 Jahre nach der deutschen Einheit wäre es an der Zeit, dass das alles angeglichen wird.

USA und Nordkorea: Sorge, dass jemand falschen Knopf drückt

Aktuell macht sie sich Sorgen um die große Weltpolitik, dass der amerikanische Präsident oder der aus Nordkorea in ihrer Unbeherrschtheit den falschen Knopf drücken könnten. Sie hat als Kind Bombennächte erlebt, in Leipzig, dabei wurde die Wohnung zerstört und die Familie flüchtete ins Erzgebirge. In den letzten Kriegstagen wurde ihr Vater erschossen. Die Enkel wollten früher immer, dass sie davon erzählt, und fanden das spannend. Aber insgesamt seien die jungen Leute heute wenig an Politik interessiert und die Wahlbeteiligung gehe zurück, findet Nuß. „Es müsste eine Wahlpflicht geben“, sagt sie.

So wie es sie quasi in der DDR gab. Da hatte man es doch auch geschafft, die Leute an die Urnen zu holen. Mit sogenannten fliegenden Urnen sei man sogar zu den Menschen in Altenheimen oder Krankenhäusern gegangen. Klar, in der DDR wählte man die Liste der Blockparteien. „Die CDU gab es ja auch im Osten, und die LDPD und die NDPD.“ Das sei heute natürlich besser, wo man wirklich die einzelnen Parteien wählen kann. Aber, fragt sie sich, gibt es da wirklich noch wesentliche Unterschiede? Sie hat ja das Fernsehduell von Merkel und Schulz gesehen. Da sah das nicht so aus.

Kitaplätze für alle? Gab es schon in der DDR

Norbert Müller von der Linken würde sie gerne mal sagen, dass man in neuen Siedlungen wie dem Bornstedter Feld nicht nur Wohnungen bauen kann, sondern auch mal Supermärkte. „Hier fehlt eine Kaufhalle“, sagt sie. Immer müsse man mit der Straßenbahn fahren. Aber die Linke wird es wohl nicht in die Regierung schaffen und Kaufhallen sind sowieso Lokalpolitik. Nein, in der DDR war nicht alles schlecht, findet Nuß. Es war auch nicht alles gut, und ob bei Wahlen damals alles mit rechten Dingen zuging, das kann man heute wohl nicht mehr überprüfen.

Jetzt, fast 30 Jahre nach der politischen Wende, werde in Deutschland in vielen Dingen das Rad neu erfunden. Kitaplätze für alle gab es schon in der DDR, und die heutigen Ärztehäuser hießen damals Polikliniken. Das findet Beate Nuß befremdlich. Schlimmer ist, dass sich viele junge Leute ständig Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen müssten. Sie hört das von ihren großen Enkeln. „Das ist heute das größte Problem“, sagt sie.

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