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Markus Peichl, Sprecher der Bürgerinitiative Schützt Potsdam e.V.

© Andreas Klaer

Bürgerinitiative fürchtet Zerstörung des Ortes: Die vier Plagen von Sacrow

Mitten im kleinsten Potsdamer Stadtteil soll ein Mobilfunkmast aufgestellt werden. Doch nicht nur dagegen begehren die Bürger auf.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es ist ein Sommermorgen im Juni, die Drehbuchautorin Andrea Willson sitzt in ihrem Garten im Potsdamer Ortsteil Sacrow. Plötzlich kreist über ihr eine sogenannte Vermessungsdrohne, deren Kamera scheint ihr Grundstück an der Kladower Straße aufzunehmen. Den Flug der Drohne steuern die Männer eines etwa zehnköpfigen Vermessungstrupps. Willson fragt, was geschehe, und die Antworten lassen sie sprachlos zurück: Die Männer verraten ihr, dass der Mobilfunkanbieter Vodafone hinter ihrem Anwesen einen Sendemast errichten wolle. Nun steht zu befürchten, dass das Gerüst ihr aufwendig renoviertes historisches Kutscherhaus um Dutzende Meter überragen wird. „Wäre ich nicht zufällig zu Hause gewesen, wüssten wir Sacrower bis heute nicht, was hier geschehen soll”, sagte sie den PNN.

Peichl ist eine Größe der Medienwelt

Willson läuft an jenem Juni-Tag hinüber zum Haus von Markus Peichl und berichtet ihm, was vorgefallen ist. Der gebürtige Österreicher lebt in der historischen Villa Perlis, sie war Kulisse für die Fernseh-Saga „Weißensee”. Peichl ist eine Größe in der deutschen Medienwelt, er gründete Mitte der 1980-er Jahre das Zeitgeist-Magazin „Tempo”. 1992 erfand er die Lead Awards für die besten Presseveröffentlichungen, zehn Jahre produzierte er die TV-Talkshow Reinhold Beckmanns. Heute führt er Galerien in Wien und Berlin. Für das aber, was an diesem Tag in Sacrow ins Rollen kommt, ist wichtiger, dass Peichl Sprecher der rund 150-köpfigen „Bürgerinitiative Schützt Potsdam e.V.” ist. Es scheint, als hätten deren Akteure zwar nicht, wie es im Alten Testament vorkommt, zehn biblische Plagen identifiziert, die über ihre Welt kommen, aber vier sehr irdische sind es doch. Plage eins ist der Sendemast, Plage zwei die Verschlechterung der Wasserqualität im Sacrower See. Plage drei der Verfall des Schiffgrabens zu einer Kloake – und Plage vier die befürchtete massive Zunahme des Verkehrs durch den neuen Stadtteil Krampnitz.

Die Bürgerinitiative macht gegen all das mobil. „Wir sind erprobt, wir haben gelernt, wie man Protest organisiert”, sagt Peichl. Drei Jahre lang leistete die BI mit anderen Initiativen Widerstand gegen die vorgesehenen BER-Flugrouten  – und sie war federführend, als die Routen, die teilweise in geringer Höhe über Potsdam und seine Schlösser und Gärten geführt hätten, nach dem ersten erfolgreichen Bürgerbegehren in der Geschichte Brandenburgs geändert wurden. „Wir hatten einen großen Erfolg, und wir werden jetzt daran anknüpfen”, sagt Peichl.

Gedeihliches Miteinander der gerade mal 340 Bürger

Die BI will verhindern, „dass die in Sacrow einzigartige, seit den 1910-er und 1920-er Jahren bestehende Symbiose aus Natur, Bauen und der Vision eines ganz besonderen Lebens zerstört wird”. Peichl spricht von den Flüssen, Seen und Wäldern der Umgebung, von der Sacrower Heilandskirche und dem Schloss, von den vielen Villen und den märkischen Häusern der Alt-Sacrower - und vom gedeihlichen Miteinander der gerade mal 340 Bürger: „Hier hat es nie den klassischen Ost-West-Konflikt gegeben.” Er kann Empörung vornehm ausdrücken. „Es erschließt sich mir nicht, wie man auf die Idee kommen kann, einen solchen Turm in so ein Juwel zu setzen”, sagt er dann, man installiere „doch auch keinen Sendemast im Kölner Dom oder im Schloss Sanssouci”. Redet sich der Mann, der eine schwere Covid-19-Erkrankung überlebt hat und noch immer an den Spätfolgen laboriert, in Rage, fallen Urteile wie „kompletter Irrsinn”.

Am Mittwoch (9.9.) kam ans Tageslicht, dass nun recht schnell Wirklichkeit werden könnte, was für Peichl nichts als „Irrsinn” ist. Volker Petendorf, Konzernsprecher von Vodafone Deutschland, teilte auf Anfrage der PNN mit, dass „nach langer Suche ein passender Standort gefunden” worden sei: ein Grundstück, das ans geplante neue Feuerwehrhaus grenze – direkt hinter dem Haus und dem großen Garten Andrea Willsons, über dem im Juni die Drohne kreiste.

Gespräche zum Mobilfunkmast seit 2014

Seit 2014, gab der Sprecher preis, habe es zu dem geplanten Mobilfunkstandort in Sacrow Gespräche zwischen Vodafone, der Mobilfunk-Koordination der Landeshauptstadt und allen beteiligten Ämtern gegeben. Auf die PNN-Frage, ob Vodafone Signale der Stadt oder von Landesbehörden erhalten habe, dass dieser Standort genehmigungsfähig wäre, antwortete Petendorf: „Ja, denn er ist Ergebnis des gemeinsamen Abstimmungsprozesses.” BI-Sprecher Markus Peichl bemüht sich, höflich zu bleiben, als er von den PNN von den jüngsten Entwicklungen erfährt. „Mehr als fünf Jahre haben Vodafone, Stadt und Land also einen Standort ausklamüsert und zurecht gemauschelt, ohne dies mit den Bürgern abzustimmen. Das ist nicht hinzunehmen, das ist undemokratisches Verhalten.”

"Wir sind keine Maschinenstürmer"

Ein Mast hinter dem Grundstück Andrea Willsons, sagt Peichl, würde die 30 Meter hohen Bäume um 15 Meter überragen, „es wäre der höchste Punkt im Ort”. Stadt-Pressesprecherin Christine Homann sagt auf Anfrage der PNN dazu, dass der Mobilfunkmast „nicht über den Baumwipfeln zu sehen sein” werde, aus funktechnischer Notwendigkeit allein die etwa zehn Meter hohen Antennen. Vodafone sei dazu verpflichtet worden, den Turm auch von anderen Betreibern nutzen zu lassen – „zur Verhinderung eines weiteren Mastes vor Ort”. Peichl stellt klar: „Wir sind keine Maschinenstürmer, wir wollen den digitalen Ausbau nicht verhindern.” Aber es müsse ein Standort für den Sendemast gefunden werden, „an dem er den geringsten Schaden anrichtet”. 

Nach Einschätzung der BI sei dies der Luisenberg. Der aber sei als Standort ausgeschlossen worden, entgegnet Vodafone-Mann Petendorf. Er befinde sich in einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet, eine Ausnahmegenehmigung für eine Mobilfunkstation sei „nach geltendem EU- und auch Baurecht nahezu unmöglich”. Zudem liege die kleine Anhöhe zu weit vom Sacrower Ortskern entfernt und zu nah am benachbarten Mobilfunk-Standort in Kladow. So wird der kleine Ort, der seit jeher Künstler, Intellektuelle und Vermögende angezogen hat, zugunsten des vermeintlichen Fortschritts wohl verunstaltet werden.

Alter Baumbestand im Ortsteil Sacrow. Dort könnte der Mobilfunkmast aufgestellt werden.
Alter Baumbestand im Ortsteil Sacrow. Dort könnte der Mobilfunkmast aufgestellt werden.

© Andreas Klaer

Stolz waren Alt- wie Neu-Sacrower, wenn sie in Zeitungen von der „versteckten Perle vom Königswald” oder gar von den „Hamptons von Berlin” lasen – in schmeichelhafter Anspielung auf das Ausflugsziel wohlhabender New Yorker am Ost-Ende der Insel Long Island. Etliche Prominente ließen sich in Sacrow nieder. Der 2014 verstorbene Publizist Frank Schirrmacher zählte dazu, der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und der Sänger Max Raabe („Küssen kann man nicht alleine”). „Ich liebe dieses Sacrow”, schwärmte auch die Kabarettistin und Schauspielerin Maren Kroymann im Gespräch mit den PNN. „Wenn man am See ist, denkt man: So könnte es hier vor 200 Jahren gewesen sein.” Unvergessen ist vor Ort auch, dass es dem späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) Mitte der 1980-er Jahre als Regierender Berliner Bürgermeister gelang, gemeinsam mit der „Stiftung Tagesspiegel” die Außenhülle der Heilandskirche vor dem Verfall zu bewahren.

250 Plakate hat die Bürgerinitiative angebracht

In den vergangenen Wochen war unübersehbar, dass sich etwas zusammenbraute. Vielerorts hat die BI Plakate angebracht, die vom Unmut der Sacrower zeugen, rund 250 sind es insgesamt. „Vodafone, Finger weg vom Welterbe”, steht auf einem, „Vodafone: Standortmäßig komplett verwählt”, auf einem anderen. „Mike Schubert, warum lassen Sie das zu?“, wird der Oberbürgermeister gefragt, und dann, ein paar Meter weiter: „Mike Schubert: Warum stoppen Sie den Irrsinn nicht?“. Aber das alles kommt wohl zu spät. Vodafone wird zwar erst dann einen Bauantrag einreichen, „wenn alle relevanten Details geklärt sind”. Aber das sind sie im Wesentlichen schon. 


So werden die Sacrower die Plagen zwei und drei bekämpfen. Der Sacrower See habe vor fünf Jahren noch Trinkwasserqualität gehabt, heute sei er „trübe”. Die Ursache nach Einschätzung des BI-Sprechers: Um jährlich 20.000 Euro Stromkosten zu sparen, habe die Stadt die Sauerstoffanreicherung abgeschaltet – der See drohe nun „umzukippen und zu sterben”. Die Stadt hält dagegen: Der Sacrower See werde alle vier Wochen vom Gesundheitsamt „beprobt” .

Im Schiffgraben, einst ein Stichkanal zwischen dem Sacrower See und der Havel, „stinkt es wegen der Faulgase”, sagt Peichl. Seit acht Jahren liege eine „komplette Bauplanung für eine Renaturierung vor”. Es könnten Fördergelder der EU fließen, „aber die Stadt ruft EU-Mittel oft ja nicht ab”. Die Stadt erklärt dazu, dass es seit einigen Jahren „verstärkte Unterhaltungsmaßnahmen” auf einem 35 Meter langen Abschnitt des 606 Meter langen Schiffgrabens gebe, um „optischen Beeinträchtigungen und Geruchsbeeinträchtigungen” entgegenzuwirken. Dies werde jährlich zweimal durchgeführt.

Plage vier: Wegen des geplanten neuen Wohngebiets in Krampnitz drohe mit mehr als 3500 Autos täglich „der Verkehrsinfarkt”, fürchten die Bürger. Stadtsprecherin Homann weist das zurück. Nach bisherigen Untersuchungen wie etwa der Verkehrswirkungsanalyse „kann diese Befürchtung nicht geteilt werden”, erklärte sie auf Anfrage der PNN. Die günstigste Route zwischen Potsdam und Spandau führe über die B 2, die lange Fahrt durch Kladow und Gatow wirke sich „verzögernd” aus. Ein Zusammenhang mit der Entwicklung von Krampnitz bestehe nicht.

Licht ins Dunkel um den Sendemast will Vodafone am 24. September um 18 Uhr im Schloss Sacrow bringen und dort über seine Pläne informieren. Peichl denkt indes darüber nach, was die BI hätte besser machen können: Ein Problembewusstsein sei in der Stadt „bisher nicht vorhanden”, glaubt er. „Wahrscheinlich waren wir bislang zu leise und haben zu wenig auf uns aufmerksam gemacht.”

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