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Gedenkort. Vor der britischen Botschaft wurde nach dem erneuten Anschlag in Berlins Partnerstadt London mit Blumen der Opfer gedacht. Ausführliche Berichte und Analysen zu dem Anschlag und seinen Folgen lesen Sie auf den Seiten 1 bis 3.

©  Thilo Rückeis

Brandenburg: Zwischen Alltag und Anteilnahme

Terrorangst? Beim Berliner Turnfest zeigt man sich gelassen. Opposition fordert mehr Schutz gegen Anschläge

Berlin/ Potsdam - Sandra Weber-Fetzer sitzt auf einem Holzpodest, die Füße im Sand. Ihr Spiel auf dem Beach-Volleyball-Areal „Beach Mitte“ beim Nordbahnhof ist gerade vorbei. Die Krankenschwester aus der Nähe von Lörrach spielt beim Deutschen Turnfest, sie gehört zu den 80 000 Teilnehmern beim größten Breitensportfest der Welt. Es ist Montagmittag, zwei Tage zuvor lief sie bei der Eröffnungsfeier mit. Ein fröhlicher Umzug, aber es trafen zwei Welten aufeinander. Sicherheit und Spaß. „Es hat ewig gedauert, bis ich beim Umzug war“, sagt Weber-Fetzer. „Polizei und Ordnungskräfte haben sorgfältig kontrolliert.“ Sie fühlt sich nicht wirklich bedroht, Manchester, London, die Nachrichten vom Terror haben ihren Alltag nicht verändert. „Nur schade, dass solche Kontrollen bei diesem Fest nötig sind.“

Das entspricht der Meinung vieler auf dem Beach-Gelände. Verständnis für die Kontrollen, Verständnis für die Polizei, schade, dass sie nötig sind. Aber keiner lässt sich seine Unbeschwertheit nehmen. Und so wie auf dem Beach-Areal dürften wohl viele Turnfest-Teilnehmer empfinden.

Wenn man Marcel Luthe derzeit fragt, ob er sich sicher fühlt, zögert der innenpolitische Sprecher der Berliner FDP. „Insgesamt ja, aber nicht, weil Berlin so gut auf eine Terrorattacke vorbereitet wäre, sondern weil die statistische Wahrscheinlichkeit gering ist, dass einem etwas passiert.“ London habe gezeigt, wo es noch hapert – für Luthe vor allem an der Einsatzfähigkeit der Polizei. Acht Minuten hat es gedauert, bis die Beamten in London am Einsatzort waren. Das sei zu langsam und würde wohl auch in Berlin nicht viel schneller klappen. Es müsse daran gearbeitet werden, dass im Falle eines Anschlags schnell geholfen werden kann, und zwar überall. „Wenn wir nur bestimmte Orte stärker schützen, machen wir damit an anderer Stelle Flanken auf.“

Hakan Tas, Innenpolitiker der Linksfraktion, ist am Montag in Istanbul unterwegs. „Wegen der hohen Anschlagsgefahr gibt es hier massive Polizeikontrollen, aber trotzdem keine hundertprozentige Sicherheit.“ Er warnt davor, mit einem Überwachungsstaat auf die Bedrohung durch islamistische Terroristen zu reagieren. Und mehr Poller? Die sind am Breitscheidplatz erst nach dem Anschlag aufgestellt worden. Auch in London konnten die drei Angreifer ungehindert auf Passanten zufahren. „Wo sie dauerhaft benötigt werden, müssen die Sicherheitsbehörden einschätzen – wir müssen dann auch schauen, dass sie sich ins Stadtbild einfügen.“ Nach den Pfingstferien werde man im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses besprechen, welche Schritte nötig sind.

Burkhard Dregger, dem innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, fiele da einiges ein: Ausbau der mobilen Einsatzkommandos – und solange dies noch nicht geschafft ist – eine kurzfristige Anti-Terror-Spezialausbildung der regulären Polizeikräfte. Fußfesseln und vorbeugender Gewahrsam für Gefährder, etwa während Großveranstaltungen. Ausreisepflichtige Gefährder umgehend in Haft. Zu den Maßnahmen der Berliner Koalition sagt er: „Das ist völlige Inaktivität und Augenwischerei, die Sicherheit wurde durch Rot-Rot-Grün nicht erhöht.“

Auch die CDU habe nach der letzten Legislaturperiode einen „Scherbenhaufen“ zurückgelassen, sagt Karsten Woldeit, innenpolitischer AfD-Sprecher. Peu à peu würden nun Fehler aufgearbeitet, etwa die Sparmaßnahmen bei der Polizei. „Bei Großveranstaltungen bräuchten wir außerdem Racial Profiling“, fordert Woldeit – also verstärkte Kontrollen bestimmter ethnischer Gruppen. Mit Rassismus habe diese Maßnahme nichts zu tun, sagt Woldeit. „In Köln war man damit in der letzten Silvesternacht doch sehr erfolgreich.“

Für die Berliner Polizei ist es ein Großkampfjahr: Kirchentag, Turnfest, Bundestagswahl und der G-20-Gipfel, bei dem vielleicht US-Präsident Trump in Berlin absteigen wird. Das muss die Polizei zusätzlich stemmen. Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei könnte sie so auf 1,2 Millionen Überstunden kommen.

Auf dem Beach-Gelände sind Bilder von Terror und Gewalt ziemlich weit entfernt. Sie bestimmen auch bei Klaus und Sabine Rotter nicht die Gefühlswelt. Das Ehepaar aus der Nähe von Bremerhaven beobachtet entspannt die Spiele. Konkreter werden die Bilder von Bomben und Schüssen bei der Urlaubsplanung. „Nach Tunesien oder in die Türkei“, sagt Sabine Rotter, „würde ich jetzt nicht fahren.“

Frank Bachner und Angie Pohlers (mit meb)

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