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Geburtshelfer. 2001 übernahm Detlef Stronk die Leitung der neugegründeten Zukunftsagentur.

© Mike Wolff

Brandenburg: „Zunächst mal war ich völlig entsetzt“

Am 8. Januar wird die Zukunftsagentur zehn Jahre alt. Detlef Stronk war ihr erster Geschäftsführer

Herr Stronk, 2010 hat Brandenburg in zahlreichen Rankings glänzend abgeschnitten. Wie gut ist das Land wirklich?

Seit 2004/2005 hat Brandenburg einen ununterbrochenen Aufstieg in der Wirtschaftsentwicklung erlebt. Grundlage war damals die Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik, eingeleitet von Ministerpräsident Platzeck und dem damaligen Wirtschaftsminister Junghanns. Die Idee war, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und diese zu entwickeln. Vor allem ging es darum, den Mittelstand zu fördern und auf erneuerbare Energien zu setzen. 2009, als ich noch für die Wirtschaftsförderung verantwortlich war, sind wir dann im Vergleich der Ansiedlungserfolge zur Nummer zwei in Deutschland erklärt worden. Das kleine Land Brandenburg – ein unglaublicher Erfolg. Also, diese Rankings entspringen nicht der Fantasie.

2001 sind Sie nach Potsdam gerufen worden. Damals war das wirtschaftliche Image des Landes noch schlecht. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?

Mich haben die neuen Bundesländer schon immer sehr interessiert. 1987 habe ich mit der DDR-Führung die Verhandlungen zur 750-Jahr-Feier Berlins geführt und dabei auch das ganze Land näher kennengelernt. Das Angebot, die brandenburgische Wirtschaftsförderung zu übernehmen, hat mich deshalb sehr gereizt. Die Gründung der Zukunftsagentur war meiner Meinung nach ein sehr guter Schachzug der damaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Manfred Stolpe. Die Zusammenführung aller Teile der Wirtschaftsförderung zu einer sogenannten One-Stop-Agency war deutschlandweit einmalig.

Lagen für Sie damals die Potenziale des Landes bereits auf der Hand?

Zunächst mal war ich völlig entsetzt, als ich durch das Land fuhr und überall das Jammern und Klagen festgestellt habe. Das war geradezu eine Marotte und hat natürlich eine negative Ausstrahlung bewirkt. Der Versuch des damaligen Wirtschaftsministers Fürniß, dies durch anspruchsvolle Großprojekte zu ändern, war letztlich gescheitert, weil das Land damit überfordert gewesen war. Ich bekam dann den Auftrag, eine Marketing-Kampagne für das Land zu entwickeln. Dafür habe ich mehr als 400 Industriefirmen besucht. Und schon bei den ersten 50 Besuchen habe ich festgestellt, das Land hat viel mehr Stärken und gute Firmen als bekannt ist. Da hatte ich die Idee, eine Beilage zum Thema „Weltklasse in Brandenburg“ zu machen. Die Leute haben mich zuerst angeguckt, als wenn ich verrückt wäre, so einen Titel zu schaffen. Das Kriterium für „Weltklasse“ war, mindestens zwei Prozent Anteil in dem jeweiligen spezifischen Weltmarkt. Wir haben weit über 100 Firmen gefunden, die diesem Kriterium entsprochen haben, aber niemand nahm sie bis dahin zur Kenntnis. Dann passierte etwas völlig Verblüffendes: Plötzlich riefen Bürgermeister, Landräte und Wirtschaftsförderer: „Hallo, wir haben auch Stärken. Ihr könnt uns auch berücksichtigen.“ Es ging ein Ruck durch dieses Land.

War das der Punkt, wo man selbst gespürt hat, jetzt geht es bergauf?

Ja, das war ganz deutlich zu merken. Für mich war ein Schlüsselerlebnis das Treffen mit einem ostdeutschen Unternehmer aus Uebigau-Wahrenbrück im Elbe-Elster Kreis. Dieser Mann hatte mit anderen Kollegen zusammen die Firma in einem Management-Buyout in der Nachwendezeit übernommen und durch die schwierigen 90er Jahre das Schiff gut hindurchgeführt. Und als ich ihn 2003 besuchte, sagte er mir: „Wir wissen jetzt, wie es geht. Jetzt muss sich die westdeutsche Konkurrenz vor uns warm anziehen.“ Das heißt, er hatte plötzlich ein unternehmerisches Selbstbewusstsein entwickelt, das notwendig ist, um im starken Konkurrenzkampf auch international zu bestehen. Der Mittelstand in Brandenburg hat sich im letzten Jahrzehnt entwickelt, hat auch Farbe bekannt. Damals bei der Marketing-Kampagne, haben erstmals in Ostdeutschland, ostdeutsche Unternehmer mit eigenem Foto, mit eigenem Geld und mit eigenen Sprüchen für das Land geworben.

Was war Ihr größter Rückschlag, die größte Enttäuschung?

Der größte Rückschlag für mich war als der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, bei einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer verkündet hatte, dass die Fusion der Wirtschaftsfördergesellschaften von Berlin und Brandenburg nicht stattfinden wird. Er fühle sich wie eine Braut am Altar, die nicht abgeholt wird. Das war wirklich ein Rückschlag. Denn wir waren auf einem richtig guten Weg. Die beiden Wirtschaftsfördergesellschaften hatten einen sehr engen Dialog miteinander. Dann kam diese Äußerung von Wowereit und von da ab gab es nur noch ein eher geregeltes Nebeneinander als ein starkes konstruktives Miteinander.

Wäre die Hauptstadtregion als Ganzes heute in ihrer Entwicklung weiter?

Ja. Man sieht das auch an der BBI-Umfeldentwicklung. Wenn die früher mit vollem Herzen gemeinsam angegangen worden wäre, wäre die Entwicklung schon weiter. Ich bin sehr froh, dass dies jetzt erkannt worden ist und es besser läuft. Gut funktioniert die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Innovationsförderung. Dort haben die Länder ein gemeinsames Konzept entwickelt und vorgelegt. Das sollte Vorbild sein auch für die Ansiedlungs- und die Industriepolitik.

Vor gut einem Jahr haben Sie die Geschäftsführung der Zukunftsagentur abgegeben. Wie sehr verfolgen Sie noch die Arbeit Ihrer früheren Kollegen?

Ich verfolge das natürlich sehr genau und freue mich, dass die Kollegen, die jetzt die ZAB leiten offensichtlich einen sehr guten Job machen und gut vorankommen. Dass es keinen Einbruch gegeben hat, sondern Kontinuität und neue Ideen, insbesondere auf dem Feld der erneuerbaren Energien und der gemeinsamen Innovationsstrategie. Das wird sehr systematisch und professionell gemacht. Und die ZAB wächst ja sogar. Das ist auch ein Zeichen des Vertrauens durch die Politik.

Der BBI gilt als Job-Maschine und Magnet für Unternehmensansiedlungen. Andererseits hat die Grünen-Spitzenkandidatin für das Berliner Abgeordnetenhaus, Renate Künast, vor Flugrouten-Gegner die künftige Bedeutung des Großflughafens zuletzt infrage gestellt. Schadet die Debatte?

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Routenplanung noch immer nicht vernünftig geregelt worden ist. Natürlich gibt es Alternativen mit Flugrouten und der Gestaltung des Flugverkehrs, die Bürger weniger betroffen machen als heute. Auf der anderen Seite kann ich nur davor warnen, dieses Flughafenprojekt zu zerreden oder infrage zu stellen, wie das Frau Künast gemacht hat. Dieser neue Großflughafen ist einer der ganz großen Pluspunkte für die Region und wir werden einen zusätzlichen wirtschaftlichen Auftrieb erleben, wenn der Flughafen eröffnet wird. Das darf man nicht gefährden.

Welche Herausforderungen halten Sie mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung Brandenburgs für am dringlichsten?

Ich halte es für sehr wichtig, in den Schwerpunkten der Wirtschaftspolitik Kontinuität zu zeigen. Insbesondere in der Mittelstandsförderung. Politik läuft immer Gefahr, sich zu sehr an den großen Unternehmen zu orientieren. Aber der Motor der Entwicklung sind die mittelständischen Unternehmen. Ein Geheimnis des Aufstiegs von Brandenburg war es, auf den Mittelstand zu setzen und dafür zu kämpfen, dass dieser wächst. Damit ist auch der Beschäftigungsanstieg zu erklären. Die zweite große Aufgabe besteht darin, jungen Menschen zu zeigen, ihr habt eine Perspektive in diesem Land. Hier muss auch die Brandenburger Industrie aktiver werden.

Also machen auch die Firmen zu wenig gegen den Fachkräftemangel.

Wir haben in Brandenburg noch immer eine Marketing-Schwäche. Zwar treten die Unternehmen selbstbewusster nach außen auf, aber es gibt auch so etwas wie ein Binnenmarketing. Ich habe mal in Guben mit einer jungen Vorstandsassistentin gesprochen und sie gefragt, wie viele aus ihrer Abiturklasse denn noch in der Stadt leben. Sie sagte, sie sei die einzige. Wie viele ihrer Schulfreunde würden denn gerne zurückkommen, fragte ich weiter. Sie sagte, mehr als die Hälfte. Das heißt, wie haben da ein Rückkehrpotenzial, das man stärker nutzen muss.

Das Gespräch führte Matthias Matern

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