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Brandenburg: Wo Ulbricht und Co. ihren Feierabend verbrachten

Die einstige Bibliothek des damaligen DDR-Staats- und Parteichefs Walter Ulbricht (1893-1973) in dessen Wohnhaus in Wandlitz

Die einstige Bibliothek des damaligen DDR-Staats- und Parteichefs Walter Ulbricht (1893-1973) in dessen Wohnhaus in Wandlitz Von Hendrik Heinze Bernau. Im stürmischen Wendeherbst 1989 hatten Honecker, Mielke und Krenz wenig Zeit für Fontane, Mann und Schiller. Kurz nach dem Umsturz mussten die DDR-Machthaber die Politbüro-Siedlung der SED in Wandlitz (Barnim) nördlich von Berlin verlassen. Sie ließen dabei große Bestände ihrer Bibliotheken zurück. Nachdem die meist noch von Partei- und Staatschef Walter Ulbricht (1893-1973) stammenden Bücher und Schallplatten – rund 350 Regalmeter – jahrelang fast unbeachtet schlummerten, drängen sich nun die Interessenten. Heute steht auf dem Gelände der weitläufigen, eigentlich zu Bernau gehörenden Waldsiedlung eine Reha-Klinik. In einem abgelegenen Waldstückchen des Areals steuert Mitarbeiter Kurt Rekow zielstrebig auf das kleine Haus im Habichtweg 1 zu. Hier verbrachte der Erste Sekretär des SED-Zentralkomitees, Walter Ulbricht, vom Bau der Siedlung 1960 bis zu seiner Entmachtung 1971 seine Mußestunden. Umgeben von Regalen voller Romane, Ratgeber und Tierbücher stöberte der Staatsratsvorsitzende vielleicht in den Neuerscheinungen der DDR-Verlage oder hörte Jazz-Schallplatten. Das dunkel-muffige Ambiente der zwei Lesezimmer, die vergilbten Vorhänge und die altmodischen Polsterstühle lassen eine Ahnung aufkommen, wie der einst mächtigste Mann der DDR seinen Feierabend verbrachte. Als die Siedlung nach der Wende umgebaut werden sollte, führte die Brandenburg Klinik GmbH & Co. KG die zurückgelassenen Bücher aller Politbüro-Mitglieder in Ulbrichts Gemächern zusammen. „Man kann nicht mehr zuordnen, was zum Beispiel Honecker gern gelesen hat“, bedauert der technische Mitarbeiter. Die Klinik will künftig auch Ulbrichts Haus für medizinische Zwecke nutzen. Derzeit bauen es Handwerker um. Einzig die beiden Bibliotheksräume sind noch im originalgetreuen Zustand. Nach Presseberichten über den Bestand klingelte im Vorzimmer von Kai-Uwe Michels, dem Geschäftsführer der Klinik, immer häufiger das Telefon. So meldeten die Büchereien der umliegenden Gemeinden ihr Interesse an. Im einstigen NVA-Führungsbunker in Harnekop (Märkisch- Oderland) sollen die Werke für Touristen ausgestellt werden. Auch Privatleute sind angetan, sie wollen jedoch einfach nur stöbern. Die Geschäftsführung der Klinik will sich nun bis Februar Zeit nehmen, um die Anfragen auszuwerten. Bis Mitte der 90er Jahre nutzten die Patienten der Klinik vor den Toren Berlins die Bücherei; dann richtete das Krankenhaus eine zentralere Bibliothek ein. Nach einem Besuch in diesem Jahr informierte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) das Bundesarchiv über die vermeintlichen Schätze. Dort fand man aber nach eingehender Prüfung keine Verwendung für sie. Die wertvollsten Werke hatte Ulbrichts Witwe bereits an das Parteiarchiv gegeben. Die Politbüro-Mitglieder wiederum nahmen beim Auszug ihre persönliche Lieblingslektüre mit. Zu den jetzigen Interessenten gehört auch das Haus der Geschichte in Bonn. „Wir können uns das vorstellen“, sagt Inge Keßler, wissenschaftliche Leiterin des dortigen Informationszentrums zu einer möglichen Übernahme. Für das Museum wäre es allerdings wichtig, die genauen Besitzer der Bücher zu kennen - was schwierig werden dürfte: In den bisher gesichteten Bänden fanden sich keine Anstreichungen, Widmungen oder Kommentare. Jedes Politbüro-Mitglied habe von den meisten neuen DDR-Büchern automatisch ein Exemplar erhalten, sagt Rekow. In den wenigsten dürfte im Schein der Leselampen geblättert worden sein. So bleibt im Dunkeln, wobei sich die DDR-Regenten entspannten. Mit der Schallplatte „Gymnastik für alle über vierzig“? Oder mit Traktaten des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre? Vielleicht war es auch das „wertvollste Buch“, wie Rekow es scherzhaft nennt: äußerlich ein massives Lexikon, doch statt gesammeltem Wissen enthält es zwei Hohlräume für Schnapsflaschen.

Hendrik Heinze

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