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Der Pegel von Tegel: Wie ist die Stimmung am Flughafen Tegel?

Wie ist am Tag des TXL-Referendums die Stimmung am Flughafen Tegel? Ein Sonntagsbesuch.

Berlin - Fünf Stunden noch, und in Tegel stehen sie Schlange. Ganz vorn in der Haupthalle, zwischen Lufthansa-World-Shop und der Treppe hinaus zur Business Lounge, alles vorhanden auf dem Weltflughafen TXL. Über geschätzt 50 Meter reiht sich Passagier an Passagier und Koffer an Koffer. Werden da letzte Wahlgeschenke verteilt, späte Entscheidungshilfen für alle, die immer noch nicht wissen, ob sie für den Weiterbetrieb von Tegel stimmen sollen oder dagegen? Mal nachgucken. Unauffällig vorbei an der Schlange, sie ist mittlerweile auf 60 Meter angewachsen, aber am Ende wartet kein Freibier oder Schokoherz. Sondern der Schalter für die Passkontrolle, ausgestattet für zwei einsame Grenzbeamte. Mehr war beim Bau vor bald einem halben Jahrhundert nicht eingeplant.

In Tegel ist das Gedränge am Sonntag ähnlich groß wie im Willy-Brandt-Haus der SPD oder vor dem Club, in dem die AfD ihre Wahlparty feiert. Wie es eben so zugeht auf auf einem Flughafen, dessen geplante Infrastruktur seit Jahren um ein Vielfaches überstrapaziert wird. Später am Abend ergibt die Auszählung des TXL-Referendums, dass knapp 60 Prozent Tegel offen halten wollen. Schön und gut, aber wen interessiert das im Terminal A, dem berühtem Tegeler Sechseck?

„Sorry, I don’t understand!“ 

Schnell mal den Zettel mit dem offiziellen Text aus dem Rucksack holen und dem nächsten Passanten vorlesen. „Der Flughafen ’Otto-Lilienthal‘ ergänzt und entlastet den geplanten Flughafen Berlin Brandenburg ’Willy Brandt’ (BER). Der Berliner Senat wird aufgefordert, sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und alle Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern!“ Ratlose Blicke. „Sorry, I don’t understand!“ Weitere Versuche ergeben Antworten auf Spanisch, Italienisch und einem slawisch klingenden Idiom, vielleicht Polnisch. Tegel liegt zwar, anders als die Konkurrenz von Schönefeld auf Berliner Stadtgebiet, genießt aber ähnlich wie diplomatische Vertretungen einen exterritorialen Status. Einheimische Bürger sind am Wahlsonntag nur schwer auszumachen.

Von draußen drückt der Nieselregen gegen die Panoramascheiben. Weil schlechtes Wetter gut ist gegen die Politikverdrossenheit, sie die Tegeler Wahllokale gerammelt voll. In der außerstädtischen Wählergunst liegen Weizenbier und Pils deutlich vor Tee und Kaffee. Auch im eigentlichen Berlin gibt es einen deutlichen Trend, er lautet: Die Stadt ist mal wieder geteilt in eine Ost- und eine Westhälfte. Alle Bezirke des einstigen West-Berlin stimmen mehr oder weniger knapp für einen Weiterbetrieb von Tegel, selbst in Reinickendorf und Wedding, wo die Bevölkerung am schwersten von der Lärmbelästigung betroffen ist. Das alte West-Berlin verbindet der von Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg in Beton gegossene Geometrie immer den Freiheitskampf der Frontstadt (obwohl er ja eher in Tempelhof geführt wurde). Der Osten stimmt mit ähnlicher Mehrheit geschlossen dagegen, wie schon vor ein paar Jahren, als es um Tempelhof ging, mit einer Ausnahme: Treptow-Köpenick hegt deutliche mit Sympathien für Tegel, aber das dürfte nicht so sehr am Freiheitskampf des Westens liegen. Sondern an der simplen Rechnungen, dass Flüge von und nach Tegel Flug der im Westen favorisierten Argumentation Kein Widerspruch, findet das alte West-Berlin. Schlimm genug, dass die glatt gespülte Politik Tempelhof aufgegeben hat, jetzt muss wenigstens Tegel verteidigt werden. folgen mit dem erwarteten Abstand. Einziger Hinweis auf den Volksentscheid ist ein riesige Plakat vor der Rampe zu Terminal A: „Flughafen zieht aus. Berlin zieht ein.“

TXL 2017 ist nicht mehr der 1974 gefeierte Flughafen der kurzen Wege

Eine internationale Rollkofferbrigade walzt sich gestresst durch die engen Gänge. An den mobilen Abfertigungsschaltern, bei der Eröffnung 1974 der ultimative Chic, müssen Absperrgitter den Andrang kanalisieren. In den nach der Ausrufung des Airport-Shopping-Zeitalters eingebauten Läden zeitigt das Angebot von gewöhnlichen Textilien zu ungewöhnlichen Preisen hohe Nachfrage. Vom Weg an die frische Luft ist dringend abzuraten, weil sich dort die Raucher versammeln. Kurze Frage eines Touristen an die Dame hintern Informationstresen. „Ist das heute wegen der Wahl so voll?“ – „Nein, so geht das jeden Tag. Wenn ich am Abend nach Hause gehe, dröhnt es so in meinem Kopf so laut, dass ich nicht mal den Fernseher anstellen kann. Fliegen Sie nach Hause? Schön für Sie!“

Eine unsichtbare Bannmeile gegen alle politischen Botschaften legt sich um das Sechseck und die in der Nachwendezeit in den märkischen Sand gewürfelten Anschlussmodule gelegt. TXL 2017 ist nicht mehr der 1974 gefeierte Flughafen der kurzen Wege. Sondern ein scheinbar nach dem Zufallsprinzip angelegtes Sammelsurium von Terminals und Ergänzungsbauten. Wer es ernst meint mit einem modernen innerstädtischen Flughafen, der müsste den gesamten Komplex eigentlich abreißen und neu bauen. Aber erstens würde das dem schönen Sechseck nicht gerecht werden und sich, zweitens, auch nur schwer mit der angespannten Berliner Haushaltslage vertragen.

Die Kellnerin will keinesfalls den Arbeitsplatz im Nordwesten gegen eine Weltreise in den Südosten tauschen

Was nun werden soll über den Wahltag hinaus? Die Befragung der üblichen Verdächtigen liefert die üblichen Ergebnisse. Den internationalen Gästen ist es egal. Die Kellnerin will keinesfalls den Arbeitsplatz im Nordwesten gegen eine Weltreise in den Südosten tauschen. Die Taxifahrer sind schon mal deshalb gegen Schönefeld, weil sie dort keine Fahrgäste aufnehmen dürfen. Die junge Mutter mit Kinderwagen besteht auf Lärmfreiheit. Alle Argumente sind ausgetauscht, beide Seiten sehnen sich nach dem Ende eines ermüdenden Wahlkampfes. Aber wer glaubt schon ernsthaft, dass die Diskussion nach dem Referendum ein Ende gefunden hat?

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