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Brandenburg: WEIßER RING]„Sicherer als hohe Mauern“

Kritiker werfen der Justiz im Land Brandenburg vor, Straftäter erhielten zu viel Aufmerksamkeit. Gern ist vom „Hotel-Vollzug“ die Rede. Doch Fachleute sehen Engagement und Geld gut investiert

Potsdam  - Brandenburgs neues Justizvollzugsgesetz ist politisch umstritten – in der Praxis stößt es jedoch auf ein positives Echo. „Es ist gut angelaufen. Das hätte ich so nicht erwartet“, sagt Thomas Valentin von der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Dienste der Justiz. „Es ist ein Gesetz, das wir uns seit Jahrzehnten gewünscht haben“, so der Bewährungshelfer. Ein Jahr ist das Gesetz nun in Kraft, mit dem Brandenburg die Resozialisierung von Straftätern so stark in den Mittelpunkt stellt wie kaum ein anderes Bundesland.

Wer in der Lage ist, in Freiheit sein Leben zu meistern, sei weniger rückfallgefährdet – das schütze die Allgemeinheit vor Straftaten, lautet die Argumentation. Die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ unterstützt das: „Wenn wir dadurch eine Tat verhindern können, ist es der beste Opferschutz“, sagt der Landesvorsitzende Jürgen Lüth. Der frühere Polizeibeamte kritisiert jedoch: „Die Bemühungen reichen nicht aus, den Opfern annähernd das Gleiche zu bieten. Wir fordern, endlich flächendeckend Traumaambulanzen einzurichten.“ Als einzigem Bundesland fehlten Brandenburg derartige Anlaufstellen.

Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) hat das neue Vollzugsgesetz ungeachtet hitziger Diskussionen durchgesetzt. Es beinhaltet Lockerungen wie längere Besuchszeiten, mehr Freigänge und eine Erweiterung des offenen Vollzugs. Die Arbeitspflicht wurde zugunsten von Therapie oder beruflicher Qualifizierung gestrichen. Burghard Neumann, stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) in Brandenburg, steht hinter dem Konzept. „Wenn wir behandeln, ist das sicherer als hohe Mauern“, sagt Neumann, selbst als Leiter Bildung und Freizeit in der Haftanstalt Brandenburg/Havel tätig. Das Gesetz müsse jedoch mit Leben erfüllt werden. Das sei wegen der schnellen Umsetzung teils problematisch.

„Es gibt auch Bedienstete, die das Gesetz kritisch sehen. Es braucht Zeit, um das Konzept in den Köpfen umzusetzen“, sagt der Gewerkschafter. Vor allem brauche es aber auch Personal, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Nach jahrelangem Stillstand bilde der Justizvollzug wieder Nachwuchs aus. „Doch wir kriegen unsere Ausbildungsplätze nicht besetzt“, so Neumann besorgt. Knapp 1040 Menschen arbeiten insgesamt im Strafvollzug, darunter Ärzte, Sozialarbeiter und Pädagogen.

Rund 1440 Straftäter sitzen derzeit laut Justizministerium in den fünf Haftanstalten des Landes ein. Etwa 320 von ihnen würden zum Jahresende entlassen. Damit der Weg in die Freiheit gelingt, gibt es nach dem neuen Gesetz ein „Entlassungsmanagement“, berichtet Sozialarbeiter Valentin. Haftanstalt und Bewährungshelfer sollen frühzeitig gemeinsam den Tag X vorbereiten.

„Um die Eingliederung vorzubereiten, sollen die Gefangenen in eine Eingliederungsabteilung verlegt werden“, sagt Ministeriumssprecherin Maria Strauß. Etwa sechs Monate vor dem Entlassungstermin sollen beispielsweise Ausgänge an das Leben „draußen“ gewöhnen.

Etwa 25 bis 30 Prozent der erwachsenen Straftäter landen nach einer bundesweiten Studie innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung wieder vor dem Richter. Für das Land Brandenburg liegen laut Ministerium keine Statistiken vor. Gut 100 Bewährungshelfer bemühen sich landesweit, entlassenen Straftätern einen Weg zurück in den Alltag zu ebnen. Mehr als 4350 Menschen haben sie 2013 betreut. „Arbeit, Wohnung und Essen sind die entscheidenden Kriterien für die Eingliederung“, sagt Bewährungshelfer Valentin. Ideenreichtum und Engagement gehörten bei seinem Job dazu. „Mit privaten Vermietern haben wir gute Erfahrung gemacht. Auch mit privaten Arbeitgebern.“ Er habe sogar einen Fall erlebt, wo ein Straftäter an seinem alten Arbeitsplatz zurück konnte, nachdem er seine Haft verbüßt hatte.

Häftling Ingmark hofft auf so eine Chance. Der 37-Jährige absolviert eine Ausbildung zum Hochbau-Facharbeiter in Brandenburg/Havel. „Nachdem ich in der Haft meinen Realschulabschluss gemacht hatte, habe ich mich gefragt: Gehe ich in einen Arbeitsbetrieb oder mache ich etwas Sinnvolles?“, berichtete er bei einem Besuch vor wenigen Wochen. Er hat sich für die Qualifizierung entschieden. Hinter ihm liegen zwölfeinhalb Jahre Haft wegen Totschlags und versuchten Mordes – vor ihm noch knapp eineinhalb Jahre.

„Schulische und berufliche Qualifikation sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es Gefangenen nach ihrer Entlassung gelingt, Arbeit zu finden und ein geregeltes Leben zu führen“, betont Justizminister Helmuth Markov (Linke). In allen Anstalten des Landes bildet dieses Thema einen Schwerpunkt. Derzeit arbeiten laut Ministerium etwa 850 Gefangene in Bereichen wie der Schlosserei, der Werkstatt oder der Küche.

Finanziert wird das Bildungsangebot hinter Gittern fast ausschließlich aus dem Europäischen Sozialfonds (EFS). In der Förderperiode standen dem Land laut Ministerium dafür etwa 15,7 Millionen Euro zur Verfügung, in der neuen Periode 2014 bis 2020 werden es nur noch 5 Millionen sein. „Bis zum 31. März 2015 sind jedoch alle bestehenden Maßnahmen aus der vorangegangenen Förderperiode abgesichert“, betont Sprecherin Maria Strauß. Auch Projekte außerhalb der Mauern werden unterstützt, beispielsweise das Netzwerk „Haftvermeidung durch soziale Integration“.

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