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Brandenburg: Vor dem Aus

Bei der Mammutanhörung im Innenausschuss des Landtags Brandenburg zur Kreisreform lehnten die Kommunen das rot-rote Projekt einhellig ab. Was tut Ministerpräsident und SPD-Landeschef Dietmar Woidke jetzt?

Mitternacht war längst vorbei. Der Imbisswagen im Landtag hatte Feierabend gemacht, und die Stenografin auch. Es war am frühen Freitagmorgen, kurz vor 2 Uhr, als nun auch die Kommunalpolitiker aus der Prignitz endlich an der Reihe waren. In dieser Marathon-Anhörung im Innenausschuss des brandenburgischen Landtages, bei der die Kreistagsvorsitzenden und Landräte aus dem ganzen Land zum rot-roten Gesetzentwurf für die geplante Kreisgebietsreform Stellung nehmen konnten.

Die Anhörung war am Vormittag um 9 Uhr gestartet worden, lief nun schon 16 Stunden. Die Prignitzer, geladen für 20 Uhr, hatten am längsten ausharren müssen. Und Rainer Pickert, der Kreistagsvorsitzende aus der Prignitz, fand dazu deutliche Worte. „Wenn ich so arbeiten würde wie Sie, dann hätte ich einen Abwahlantrag auf dem Tisch“, sagte er. „Zwei Stunden haben wir aus der Prignitz hierher nach Potsdam gebraucht, inzwischen sind wir mit sechs Stunden Zeitverzug dran, nachher werden es 3 Stunden zurück sein. Das sind 13 Stunden, die ich hier als Ehrenamtler sitzen muss.“ Nein, so Pickert weiter, „das hier ist eine Farce.“ Und dann folgte in der Sache das Statement: „Alle Fraktionen bei uns im Kreistag sind gegen diese Kreisgebietsreform.“ Und wieder hatte in der Anhörung ein Landkreis die von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) 2015 ehrgeizig gestartete Reform abgelehnt. So wie alle anderen Kreise und kreisfreien Städte vorher, deren Vertreter auftraten.

Schon wegen des einhellig als skandalös empfundenen Umgangs mit Ehrenamtlern aus Kommunen, wegen des von vornerhein zu dicht gedrängten Zeitplans, nur um die Gesetze in der Landtagssitzung ab 15. November beschließen zu können, markierte diese Anhörung des Innenausschusses unter Vorsitz des SPD-Abgeordneten Sören Kosanke einen parlamentarischen Tiefpunkt in Brandenburg. Und es wurde ein weiteres Kapitel im Missmanagement dieser Reform, deren Absage immer näher rückt.

Stunde um Stunde, Auftritt für Auftritt konnte sich Innenminister Karl-Heinz Schöter (SPD) anhören, wie alle Nein sagten. Niemand von den kommunalen Vertretern stimmte dem Gesetzentwurf zu. Er, der selbst früher Landrat in Oberhavel und damals Präsident des Landkreistages, hatte es nicht einmal geschafft, einen einzigen Landrat zu überzeugen. Aber noch bitterer für Schröter, für Woidke, der sich den Verlauf berichten ließ, für die Abgeordneten aus dem Regierungslager, müssen die Auftritte ehrenamtlicher SPD-Kommunalpolitiker gewesen sein, die den tiefen Riss in der brandenburgischen Sozialdemokratie offenbarten, zwischen der Landesebene, der Landtagsfraktion – und der SPD-Kommunalebene, die wie Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) den „Irrweg“ dieser Reform geißelten. „Schalten Sie doch endlich wieder den gesunden Menschenverstand ein“, sagte er.

Es waren Auftritte wie der der früheren SPD-Landtagsabgeordneten Martina Gregor-Ness, die Vorsitzende des Kreistages in Oberspreewald-Lausitz ist, die sich fassungslos zeigte, was ihre früheren Mitstreiter in Potsdam da inzwischen veranstalten. Sie ist die Witwe des verstorbenen SPD-Generalsekretärs und Fraktionschefs Klaus Ness, seit dessen Tod es mit der Professionalität der Landtagsfraktion bergab ging. Sie ist eine bodenständige Frau, die das Gespür, was los ist Land, nicht verloren hat. Auch sie fand deutliche Worte, erst zum Verfahren: „Das hier ist eine Zumutung für alle.“ Und dann zu den Regierungsplänen an sich, nach denen die Kreise Oberspreewald-Lausitz und Elbe–Elster fusionieren würden. „Der Blickwinkel aus Potsdam auf die Lausitz ist ein falscher. Wir befürchten, dass wir im Bermudadreieck zwischen Dresden, Leipzig und Potsdam – Potsdam ist am weitesten weg –, im Nirwana verschwinden.“ Wenn man Cottbus die Kreisfreiheit nehme, dann sei ein „Riesenvakuum“ die Folge. „Dann fehlt ein Anker in der Fläche“, sagte Gregor-Ness. „Nein, Danke!“

Oder Genosse Manfred Richter, Vorsitzender des Kreistages von Ostprignitz-Ruppin, der mit Prignitz fusionieren soll. Richter war früher auch SPD-Landtagsabgeordneter und Bürgermeister von Rheinsberg. Es war 2:23 Uhr, als er von Grünen-Fraktionschef Axel Vogel nach den Gründen der Ablehnung gefragt wurde: „Sie waren doch anfangs offen für Reformen, auch für eine Fusion der beiden Landkreise? Wo war denn der Wendepunkt?“ Da antwortete Richter sehr nachdenklich, sehr ruhig: „Es ist nicht konkret genug, um Ängste zu nehmen“, sagte er. „Die große Angst ist doch, die Wege werden weiter. Ich halte das für unbegründet.“ Aber das könne man nicht erklären. Man könnte es, so Richter, „gäbe es ein ordentliches Konzept für die Abstufung von Aufgaben nach unten, dann könnten die meisten Aufgaben in den Heimatgemeinden gelöst werden. Dann bräuchte kaum einer in die Kreisverwaltung. Aber das Konzept gibt es nicht.“ Sein Fazit: „Die Sache ist nicht rund." Duchgefallen. Nicht zustimmungsfähig.

Menschen wie Richter, wie Gregor-Ness oder wie Manuela Vollbrecht, die SPD-Kreistagschefin im Havelland, müssten dafür sorgen, mit ihrer Autorität in den Regionen, dass die Reform nicht beim absehbaren Volksentscheid scheitert, wenn sie vom Landtag mit rot-roter Mehrheit tatsächlich beschlossen würde. „Uns fünf Stunden verspätet als geladen anzuhören ist eine Zumutung und eine Unhöflichkeit. Wir müssen alle auch wieder nach Hause kommen“, sagte Vollbrecht. „Wir fürchten um die finanzielle Leistungskraft des Landkreises, wenn Brandenburg an der Havel in unseren Landkreis eingekreist wird.“ Mit den hohen Schulden. „Wir werden eine Benachteiligung unseres Landkreises nicht hinnehmen. Wir lehnen den Regierungsentwurf ab.“ Durchgefallen. Die Uhr zeigte 2.42 Uhr. Die erste Runde war geschafft.

Und nun, nachdem am Freitag die Anhörung des Innenausschusses beendet wurde, diesmal mit Stellungnahmen von Gewerkschaften, Sorbenrat, Datenschützern und Pro-und Contra-Wissenschaftlern mit bekannten Positionen? Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte kürzlich am Rande der London-Reise angedeutet, dass er – auch unter dem Eindruck des AfD-Erfolges bei der Bundestagswahl in Brandenburg, die Rechtspopulisten vor der SPD auf Platz zwei – nachdenklich geworden ist. Er hatte das weitere Vorgehen vom Ausgang der Anhörungen abhängig gemacht, Veränderungen nicht ausgeschlossen, von „einer Reform“ gesprochen.

Nun kam aus der Kommunalebene die totale Ablehnung. So klar, dass es in den rot-roten Koalitionsreihen eigentlich niemand ignorieren kann. Längst hat sich eine eigene Dynamik entwickelt, in der alles möglich ist. So brodelt auf den Fluren im Landtag die Gerüchteküche, man raunt von drohenden Palastrevolutionen, von SPD-Genossen, die gegen Woidke putschen könnten, von möglichen Neuwahlen, vom Bruch der Koalition.

Und CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben schrieb noch am Freitag einen Brief an die beiden Fraktionschefs der Koalition, an Mike Bischoff (SPD) und Ralf Christoffers (Linke). Darin erklärte nach der „vollständigen Ablehnung“ der Regierungspläne durch die kommunale Familie als „Irrweg“, womit er den Begriff des Potsdamer SPD-Stadtoberhaupts Jakobs aufnahm: „Ich bin in tiefer Sorge, dass das Verhältnis zwischen Land und Kommunen dauerhaft Schaden nimmt – nicht nur durch die geplanten Gebietsveränderungen, sondern auch durch den Umgang der Regierung mit unseren Kommunen im Land“, so Senftleben. „Auch nach mehrfachen Aufforderungen durch uns und Appellen aus den eigenen Reihen hat der Ministerpräsident Signale der Deeskalation noch Kompromissbereitschaft erkennen lassen.“ Doch auch der Landtag stehe in dieser Frage in der Pflicht. Aus diesem Grund schlage er dringend ein gemeinsames Gespräch der Fraktionsvorsitzenden noch vor der Sitzung des Innenausschusses am 9. November vor. Dann soll dort, so das reguläre Verfahren, über die die Kreisreform-Gesetze abgestimmt werden, damit sie auf die Tagesordnung des Landtags in den Sitzungen ab 15.November kommen. „Ich mahne unsere gemeinsame Verantwortung für die Heimat Brandenburg an“, schrieb Senftleben. „Es geht darum, die beiden Gesetzesentwürfe nicht weiter zu verfolgen und die Einrichtung eines Kommunalkonvents zu besprechen“, den die CDU vorgeschlagen habe.

Aber vielleicht ist es andersherum, vielleicht ist Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) ja längst weiter als die Fraktion, als Bischoff, der vor der SPD-Klausur nicht einmal mitbekommen hatte, wer von den Abgeordneten alles zweifelt; weiter als die Linken, die an der Reform auch deshalb festhalten, weil sie in der Konfrontation zwischen Rot-Rot und CDU eine Fortsetzung der rot-roten Regierungskoalition nach der Wahl 2019 garantieren würde?

Es gibt Signale in diese Richtung, wenn man sich genau umhört, bei Menschen, die Woidke gut kennen, die darauf hindeuten. Am Freitag hat Dietmar Woidke seine verstorbene Mutter beerdigt. Er hat sich ein paar Tage Auszeit genommen. Das letzte Mal, als es im Regierungsbetrieb kriselte und er dann aus dem Urlaub zurückkehrte, war er jedenfalls sehr klar. Er hatte seine Staatskanzlei aufgeräumt, den Staatskanzleichef und den Regierungssprecher in die Wüste geschickt. Wenn er auch diesmal alles genau abwägt, wird Dietmar Woidke die Kreisreform absagen.

nbsp;Thorsten Metzner

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