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Brandenburg: Volles Risiko

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck wird Chef des Flughafen-Aufsichtsrates. Trotz seiner Vorverantwortung, wie er es nennt

Potsdam - Kein Rücktritt, nur eine berlin-brandenburgische Flughafen-Rochade: Matthias Platzeck statt Klaus Wowereit (beide SPD). Jetzt soll Brandenburgs Ministerpräsident den Vorsitz des Flughafen-Aufsichtsrates übernehmen, den Berlins Regierender Bürgermeister als Konsequenz aus der erneuten Verschiebung der BER-Eröffnung niederlegt. Zudem soll der umstrittene Flughafen-Manager Rainer Schwarz, an dem Wowereit und Platzeck bislang festgehalten hatten, nun doch seinen Stuhl räumen. Das gaben am Montagabend erst Wowereit vor Journalisten im Roten Rathaus und später auch Platzeck auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in der Potsdamer Staatskanzlei bekannt.

Wowereit will aber nicht nur Regierender Bürgermeister, sondern auch Mitglied im Aufsichtsrat bleiben. Platzeck war dort bislang sein Vize und rückt nun auf. Er kündigte an, dass er im Landtag die Vertrauensfrage stellen wird. Er wisse, dass sein politisches Schicksal nun mit dem Flughafen verknüpft sei.

Der Stabwechsel soll auf einer vorgezogenen Sitzung des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft, die Berlin, Brandenburg und dem Bund gehört, am 16.Januar vollzogen werden. Dass Platzeck dort Wowereit beerbt und der Vorsitz des Kontrollgremiums nicht von einem unabhängigen Experten übernommen wird, wie es etwa der brandenburgische SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert fordert, löste in Berlin, Brandenburg, aber auch in der Bundespolitik massive Entrüstung aus. Wowereit sagte dazu, er würde das „nicht Taschenspielertrick nennen“. Für Brandenburgs CDU-Opposition, die seit Längerem den Rücktritt Platzecks auch als Regierungschef fordert, kommt das außer Kontrolle geratene Flughafenprojekt mit Platzeck als Aufsichtsratschef „vom Regen in die Traufe“. Ähnlich äußerten sich die oppositionellen Grünen.

Platzeck verteidigte dagegen den Schritt. Er wisse, dass er eine Vorverantwortung als bisheriger Stellvertreter habe, wolle ihr nicht entfliehen, sondern „das tun, was zu tun ist“, um das Projekt erfolgreich zu beenden. Er kündigte eine erste Agenda als designierter Aufsichtsratschef an: Neben der Ablösung von Schwarz soll es in der künftigen Flughafengeschäftsführung einen klaren Vorsitzenden und zwei weitere Mitglieder geben. Gemeint ist neben dem Technikchef Horst Amann ein neuer Finanzvorstand, nach dem bereits hinter den Kulissen gesucht wird. Außerdem soll das Kontrollgremium um externe Sachverständige erweitert werden.

Indirekt bestätigte Platzeck, der selbst vom Desaster sprach, wie dramatisch die BER-Probleme sind. Er wolle dafür sorgen, dass der Flughafen „ohne Provisorien genehmigungsfähig“ und zukunftsfähig werde und stressfrei funktioniere. Inzwischen wird auch offiziell bestätigt, dass die Brandschutz- und Entrauchungsanlage im Grunde ein Schwarzbau ist – also nicht entsprechend der Baugenehmigung errichtet wurde.

Der Landtag wird auf Antrag der CDU-Opposition – abgestimmt mit den Grünen – zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Dass Platzeck die Vertrauensfrage angesichts der sicheren Mehrheitsverhältnisse der rot-roten Koalition in Brandenburg übersteht, gilt allerdings als sicher. Dass er den Vorsitz des Aufsichtsrats übernimmt, ist für ihn und die SPD dennoch riskant. Bislang hatte Brandenburgs Regierungschef das Debakel um den unvollendeten Hauptstadtflughafen im Gegensatz zu Wowereit fast unbeschadet überstanden. Er hatte sich auch – ähnlich wie Wowereits Stellvertreter im Senat, Innensenator Frank Henkel (CDU) – geschickt im Hintergrund hinter Wowereit gehalten (siehe unten).

CDU-Landeschef Michael Schierack forderte am Montag Platzecks Rücktritt, und zwar nicht nur als Aufsichtsratsvize, sondern als Ministerpräsident, da waren die neuen Entwicklungen noch nicht einmal bekannt. „Er muss sich seiner Verantwortung stellen.“ Doch die Union ist weiterhin die einzige Oppositionspartei, die so weit geht. Grüne und FDP ließen es bei der Forderung nach Platzecks Rückzug aus dem Aufsichtsrat bewenden, was auch an der Stimmung im Lande liegt.

Denn Berliner Verhältnisse sind in Brandenburg nicht in Sicht. Im Gegensatz zu Berlin, wo Wowereit in den persönlichen Symphatiewerten und seine Partei abstürzte, blieb in Brandenburg die SPD in allen Umfragen der letzten Zeit klar die Nummer eins, und das mit Abstand. Die letzte Forsa-Umfrage ist erst ein paar Tage alt: Da glaubten schon 75 Prozent der Brandenburger nicht mehr an den Oktober–Eröffnungstermin 2013. Doch gleichzeitig käme Platzecks SPD auf 36 Prozent, ein bundesweiter Traumwert der SPD, vor den mitregierenden Linken mit 24 Prozent. Die CDU-Opposition, die Platzeck beim BER-Fiasko hart angreift, folgt mit 22 Prozent.

Mit der Terminverschiebung auf 2014 oder später kann es auch für Platzeck, der mit dem Aufsichtsratsvorsitz alles auf eine Karte setzt, brenzliger werden. In dem Jahr ist die nächste Landtagswahl in Brandenburg. Bislang gingen die SPD-Strategen davon aus, dass die BER-Altlast dann erledigt sein wird. Nun kann niemand mehr sicher sein, zumal neue Belastungen auf den Landeshaushalt zurollen und der Linke-Koalitionspartner unruhiger wird.

Kurz vor Weihnachten hatte Brandenburgs Landtag den Doppelhaushalt 2013/2014 beschlossen, mit der 430-Millionen-Finanzspritze für den BER. Doch dieses Drehbuch, das Land bis zur Landtagswahl 2014 so mit unpopulären Entscheidungen zu verschonen, ist nun Makulatur. Am Montag legte Brandenburg, ein erstes Indiz, die erste 120-Millionen-Tranche der Finanzhilfe für den Airport auf Eis: Zu unberechenbar, zu unkalkulierbar ist alles um den BER, hieß es. Platzeck bestätigte, dass es neue Mehrkosten geben werde. Und einen seriösen Eröffnungstermin könne man nicht nennen.

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