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Trauer. Ein Bild und Blumen erinnern an dem Weg zwischen dem Berliner Bahnhof Zoo und dem Restaurant „Schleusenkrug“ im Tiergarten an Susanne Fontaine. Immer wieder schauen auch Freunde und Bekannte der ermordeten Kunsthistorikerin vorbei.

© Thilo Rückeis

Prozess um Mord an Susanne Fontaine: Tatort Tiergarten

Der abgelehnte Asylbewerber Ilyas A. soll Susanne Fontaine in Berlin erwürgt haben – am Mittwoch beginnt der Prozess.

Berlin - Sie drehte sich noch um, winkte ihren Freundinnen zu, ging dann los. Vor Susanne Fontaine lagen 400 Meter durch den Berliner Tiergarten – vom Lokal „Schleusenkrug“ zum Bahnhof Zoo. Dort wollte sie den Bus nehmen. Fontaine kam nicht zu Hause an, drei Tage später fanden Passanten eine Frauenleiche. Schnell war klar, dass es sich um die vermisste Kunsthistorikerin handelte – sie war Kastellanin im Schloss Glienicke und im Jagdschloss auf der Pfaueninsel. Nun, sieben Monate später, kommt der mutmaßliche Mörder der 60-Jährigen auf die Anklagebank.

Der Prozess gegen Ilyas A. ab dem morgigen Mittwoch wird bundesweit Aufsehen erregen. A. stammt aus Tschetschenien, jener mehrheitlich muslimischen Kaukasusregion, die als Teilrepublik zu Russland gehört. Er muss sich vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts Berlin verantworten: A. ist eigenen Angaben zufolge 18 Jahre alt. Gutachter, so heißt es, sollen ihn für mindestens 20 gehalten haben. Der Tschetschene war einige Tage nach der Tat in Polen verhaftet worden. Was die Debatte verschärfte: A. war schon zuvor als Gewalttäter bekannt, er hätte abgeschoben werden sollen.

Auch dass die getötete Susanne Fontaine erst drei Tage nach der Tat von Passanten zwischen Büschen und Müll gefunden wurde, erregte Aufsehen: Warum bemerkten Spürhunde die Leiche am Wegesrand nicht? Haben die Beamten nicht zwischen den Büschen nachgesehen?

Die Lage im Tiergarten

Der Angeklagte hielt sich wie Hunderte anderer Wohnungsloser damals im Tiergarten auf. Zwischen Bahnhof Zoo und den Wegen südlich des Hansaviertels hatten sich vergangenes Jahr zahlreiche Szenen etabliert: Neben Obdachlosen aus Deutschland gab es Camps von Männern aus Polen, Bulgarien, Russland und dem Baltikum. Südlich der Händelallee boten sich zudem männliche Prostituierte an – sie kamen meist aus Afghanistan, Iran, Irak und Syrien. Nachdem Beschäftigte des Bezirksamtes im Tiergarten bedroht worden waren, als zudem klar wurde, dass die Zeltlager nur für wenige Tage verschwanden, bis sich wieder Obdachlose dort niederlassen würden, hatte Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) gefordert, behördenübergreifend der Verwahrlosung zu begegnen. Die Büsche am Tatort wurden gerodet, der Müll beseitigt. Heute liegen dort keine Spritzen herum. Eine Gedenkinsel erinnert an die Tat. Blumen, Kerzen, ein Brief des Ehemannes der Ermordeten: „40 gemeinsame und glückliche Jahre – mal eben so ausgelöscht.“

Wie beurteilt der zuständige Bürgermeister die Lage im Tiergarten heute? „Ja, es ist besser als noch vergangenen Sommer“, sagt von Dassel dieser Zeitung. „Dies hat allerdings auch damit zu tun, dass viele Obdachlose noch die Angebote der Kältehilfe nutzen können.“ Nach dem 1. April würden die deutlich reduziert werden. Vor allem für diejenigen, die aus dem Ausland nach Berlin kamen und auf der Straße landeten, gebe es kein Konzept – welche Hilfe steht Obdachlosen aus Osteuropa zu? Darüber sind sich Sozialexperten, Beamte, Politiker uneins. „Der Senat“, sagt Dassel, „muss sich endlich was überlegen.“

Strategie gegen Wohnungslosigkeit

Nach der Tat hatte auch die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus mehr Einsatz von Rot-Rot-Grün gefordert. Unlängst sagte Sozialstaatssekretär Alexander Fischer (Linke), der im Tiergarten-Krisenstab tätig war, es gebe in Berlin mehr Notschlafplätze für Obdachlose, im Park habe zudem die Gewalt abgenommen: Man arbeite an einer gesamtstädtischen Strategie gegen Wohnungslosigkeit. „Wir müssen aber Lösungen finden, die auch dafür sorgen, dass der öffentliche Raum umfassend und sicher nutzbar bleibt.“

Auch Mitarbeiter des „Schleusenkrugs“, jenes Lokals, aus dem Susanne Fontaine an jenem Abend nach Hause wollte, fühlten sich alleingelassen. Dealer, Obdachlose, Wegelagerer – Mitarbeiter seien auf dem Nachhauseweg schon beraubt worden. Ilyas A. wird im Gerichtssaal der Mann von Susanne Fontaine gegenübersitzen, er tritt als Nebenkläger auf. Aus der Anklageschrift geht hervor, dass sich Fontaine am 5. September 2017 gegen 22.15 Uhr auf den Heimweg machte. Ilyas A. soll die arg- und wehrlose Frau in ein Gebüsch gezerrt, erwürgt und ausgeraubt haben. Er floh mit „mindestens zwei Euro“ und dem Handy der Getöteten. Deshalb ist er wegen heimtückischen Mordes aus Habgier und zur Verdeckung einer Straftat angeklagt.

Das geraubte Handy führte die Fahnder auf die Spur: Der Ehemann von Susanne Fontaine hatte am Morgen nach ihrem Verschwinden eine automatische SMS mit dem Hinweis erhalten, seine Frau sei wieder erreichbar – das Telefon hatte A. offenbar wieder eingeschaltet. Eine Auswertung der Funkdaten führte nach Polen. Dort hatte A. schon mal gelebt, er wurde noch im September 2017 nahe Warschau gefasst. Das geraubte Handy hatte er dabei.

Seit Oktober in Untersuchungshaft

Am 4. Oktober wurde Ilyas A. nach Deutschland ausgeliefert, seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Vor Gericht wird auch die Biografie des jungen Mannes besprochen werden. Im Sommer 2012 ist die Familie – so der Stand – nach Polen ausgewandert, vier Monate später nach Deutschland. Hier beantragten die Eltern Asyl. Der Antrag wurde abgelehnt, die Familie 2014 abgeschoben. Ilyas A. kehrte allein nach Berlin zurück. Er wurde in Kriseneinrichtungen für Jugendliche untergebracht. Doch soll er erst Telefone, dann Fahrräder gestohlen haben, berichteten Ermittler, zuletzt sei er als Räuber aufgefallen. Sein ältestes Opfer war 98 Jahre alt. A. erhielt damals eineinhalb Jahre Jugendhaft. Nach Verbüßung der Strafe 2016 sollte der Tschetschene abgeschoben werden. So hatte es die Ausländerbehörde 2015 angeordnet. Kurz vor Ende der Haft wurde eine Ausweisungsverfügung erlassen. Sie scheiterte, weil Russland keine kindgerechte Inobhutnahme gewährleistet habe. Und als Ilyas A. im August 2017 volljährig war, habe eine Klage die Abschiebung verhindert.

Im Fall Susanne Fontaine sind elf Prozesstage geplant. Ob sich A. äußert – von ihm sollen DNA-Spuren vom Tatort stammen –, ist offen. Ebenso, ob er nicht doch nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. Der Ehemann der Getöteten wird am Mittwoch ebenfalls in Gerichtssaal 700 erscheinen. Er, der 40 gemeinsame Jahre mit Susanne Fontaine verbracht hat, will dem mutmaßlichen Mörder seiner Frau in die Augen sehen.

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Ausländische Straftäter: Politische Kontroverse um Abschiebungen

DIE DEBATTE: Der Mord an Susanne Fontaine hatte eine neue Debatte um die Berliner Abschiebepraxis ausgelöst. Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus hatte dem Senat Versagen vorgeworfen. Der Mörder, der aus Tschetschenien stammt, hatte in Berlin vor dem Mord bereits eineinhalb Jahre in Haft gesessen und sollte abgeschoben werden. Wurde er aber nicht. Eine Abschiebung sei laut Innenverwaltung nicht möglich gewesen, da er zunächst minderjährig war und Russland nicht kooperierte, dann fehlte die Meldeanschrift in Deutschland. Nach einer Festnahme hätte er nicht abgeschoben werden können, weil es keinen Abschiebehaftplatz gab. Dies hatte die Opposition kritisiert.

DIE ZAHLEN: In der Debatte entsteht immer wieder der Eindruck, Berlin schiebe gar nicht ab. Gegen dieses Image wehrt sich Innensenator Andreas Geisel (SPD). Berlin stehe bei der Rangfolge der Abschiebungen unter den 16 Bundesländern auf dem fünften Platz. 2017 wurden allerdings mit 1638 Personen rund 400 weniger als im Vorjahr abgeschoben. Oft vermischt wird auch die Frage der Abschiebung vonausreisepflichtigen Gefährdern, also Nicht-Straftätern. Für diese plant der Senat in der derzeitigen Jugendarrestanstalt in Lichtenrade Abschiebehaftplätze einzurichten. Eine Abschiebehaftanstalt auch für verurteilte ausreisepflichtige Straftäter gibt es in Berlin nicht. rori

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