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Brandenburg: Storkow: Verbrechen voller Rätsel

Suche nach Entführer tritt nach einem Monat auf der Stelle. Version von einer Bande macht die Runde

Storkow - Die blaue Tagesdecke mit den Blumenornamenten in allen vier Ecken will nicht recht ins Bild vom aggressiven, brutalen Entführer passen. Doch im Entführungsfall des 51-jährigen Bankers aus Storkow entspricht vieles nicht dem gängigen Muster. Dafür spricht schon die vergebliche Suche nach der berühmten heißen Spur zum Täter, obwohl die 60 Kripo-Beamten der Sonderkommission, im Polizeisprachgebrauch „Besondere Aufbauorganisation“ genannt, bislang mehr als 400 Hinweise erhielten. Doch die konkreten Anhaltspunkte halten sich in Grenzen, und das, obwohl der Fall bundesweit Schlagzeilen machte und das ZDF in seiner Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ darüber berichtete.

Neben der ominösen Tagesdecke fand die Polizei im Schilf des Großen Storkower Sees noch ein relativ selten gebautes Kajak. Dazu kommt natürlich die Beschreibung des Täters durch das Opfer: 25 bis 50 Jahre alt, bis 1,85 Meter groß, Rechtshänder und Hochdeutsch sprechend, hell-olivgrüne Jacke, schwarze Hose mit angesetzten Gummischuhen und eine Art Imkernetz vor dem Gesicht – so beschrieb Stefan T. seinen Entführer, der ihn 35 Stunden in der Gewalt gehalten hatte. Außerdem fanden Ballistiker heraus, dass die Waffe des Kidnappers schon ein Jahr zuvor beim Überfall auf das Wochenendgrundstück einer Berliner Unternehmerfamilie im nahen Bad Saarow verwendet worden war. Es könnte sich also um denselben Täter handeln. „Viele Anzeichen deuten darauf hin“, sagt Polizeisprecher Jens Quitschke. „Aber wir schließen nicht aus, dass hier mehrere Täter oder eine ganze Gruppe beteiligt gewesen sein könnten.“

Fest steht, dass ohne Ortskenntnis solche eine Tat kaum möglich gewesen wäre. Denn ein Spaziergänger oder Radfahrer auf dem Uferweg wäre niemals auf die kleine Insel aufmerksam geworden, das dem Entführer als Gefängnis im feuchten Erlenbruch direkt am Wasser diente, rund 70 Meter von einem Bohlensteg entfernt. Ohne Gummischuhe oder -stiefel gibt es gar kein Fortkommen. Wer sich hier ein Lager anlegt, dürfte selbst von der Seeseite unentdeckt bleiben. Jäger könnten vielleicht eine andere Zugrichtung des Wildes festgestellt haben. Doch die sind alle von der Polizei befragt worden. Insgesamt 1500 Gesprächsprotokolle mit Anwohnern und Ausflüglern liegen auf dem Tisch der Polizei-Kommission. Niemand hat etwas Auffälliges wahrgenommen.

Doch das kann sich natürlich noch ändern. Auch deshalb stehen täglich mehrere Funkstreifenwagen im betroffenen Gebiet, wenn auch die Suchaktionen mit Hunderten Bereitschaftspolizisten, Tauchern und Hubschraubern abgeschlossen sind. „Wir wollen dadurch auch das etwas gestörte Sicherheitsgefühl den Menschen zurückgeben“, erklärt der Polizeisprecher.

Außer den Frauen und Männern in Polizeiuniformen fallen aber auch Personen auf, die nicht unbedingt zu den Einheimischen oder Urlaubern gerechnet werden. Es handelt sich um Personenschützer, gestellt von der Polizei und von Wachschutzfirmen. Sie streifen mal mehr und mal weniger unauffällig durchs Gelände, warten in ihren Autos vor vornehmen Villen oder begleiten deren Bewohner. Mit Auskünften halten sich alle zurück. Doch wie groß die Unsicherheit in der Region ist, beweist die Aussage eines Sicherheitstechnikers, der anonym bleiben will. „Einige Bewohner in Seenähe haben mächtig aufgerüstet. Die wollen so ein Schicksal wie der Entführte nicht teilen.“

Die meisten befragten Anwohner glauben nicht daran, dass der Kidnapper aus Storkow, Bad Saarow oder der Umgebung kommt. „Sechs Monate soll der Kidnapper das Grundstück in Hubertushöhe ausgespäht haben?“, fragt ein älterer Bewohner aus einem Haus in der Nähe der Schleuse in Wendisch Rietz. „Da wäre er garantiert aufgefallen. Der kommt vielleicht aus Berlin.“ Bis dahin wäre es ja nur ein Katzensprung. Ein anderer Einwohner hat in einer Zeitung von einer rechten Vereinigung „Reichsbürger“ gelesen, die Jagd auf Reiche machen würde. „Vielleicht steckt hinter der Entführung eine richtige Bande“, meint der Mann, bevor er sich wieder auf sein Fahrrad schwingt. Die Polizei schließt so eine Möglichkeit nicht grundsätzlich aus. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagt der Sprecher Quitschke.

Am Fundort der Tagesdecke mit den auffälligen Blumen deutet nichts mehr auf das dramatische Geschehen am ersten Oktoberwochenende hin. Hier konnte sich der Entführte von seinen Fesseln befreien und über den Bohlenweg und die nahe Schafbrücke über den Kanal in ein Wohnhaus flüchten. Am Abend zuvor hatte ihm hier der Kidnapper noch acht Briefe mit Lösegeldforderungen in Millionenhöhe an seine Frau diktiert.

Vom gegenüberliegenden Seeufer lassen sich die Wohnhäuser und der Turm des geschlossenen Luxushotels in Hubertushöhe ausmachen. Scheinbar nichts stört die Einsamkeit. Plötzlich prescht ein Motorradfahrer aus dem Wald heraus. Als der den Fremden sieht, gibt er Gas und entschwindet den Blicken.

Claus-Dieter Steyer

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