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Brandenburg: Richter in eigener Sache

Sie klagen wegen Überlastung – haben aber Nebenjobs. Ein Fall landete nun vor dem Landesverfassungsgericht

Potsdam - Genehmigte Nebentätigkeiten von Bundesrichtern haben vor Kurzem bundesweit hohe Wellen geschlagen. Obwohl der Arbeitsanfall hoch ist, Gerichte meist knapp besetzt sind und Verfahren lange dauern, findet sich oft noch Zeit, sein Wissen anderweitig weiterzugeben. Die Experten von der Richterbank sind bei Behörden ebenso beliebt wie bei Verlagen, Lobbygruppen oder Politikern – wer sonst könnte spezielle Rechtsmaterien auch besser erläutern als der, der fast täglich über sie entscheidet.

Jetzt musste sich auch das brandenburgische Verfassungsgericht mit der richterlichen Zusatzarbeit beschäftigen – eingekleidet in die Frage, ob ein wegen seiner Nebentätigkeit abgelehnter Richter des Sozialgerichts Cottbus sich selbst bestätigen darf, dass er nicht befangen ist. Der Mann entscheidet unter anderem über die Vergütungen, die Rechtsanwälte bekommen, nachdem sie Mandanten vor dem Sozialgericht vertreten haben. Zu diesem Rechtsgebiet hielt er nebenberuflich auch Schulungen ab – zum einen für Rechtsanwälte, einmal aber als „Inhouse- Seminar“ auch im Jobcenter Oberspreewald-Lausitz. Damit arbeitete er für jene Behörde, die über Hartz-IV-Anträge entscheidet und oft beim Sozialgericht Cottbus verklagt wird. Auch über Klagen gegen das Jobcenter entscheidet unter anderem dieser Richter.

Vor das Verfassungsgericht brachte das Thema im Jahr 2016 eine Hartz-IV-Empfängerin, die erfolgreich einen Betrag von rund fünf Euro eingeklagt hatte. Einen Teil ihrer Anwaltskosten hätte das Jobcenter übernehmen müssen – in welcher Höhe genau, darüber herrschte keine Einigkeit. Den Richter, der letztlich darüber entscheiden sollte, lehnte sie aber wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Sie hielt ihm vor, er könne in Kostensachen nicht unvoreingenommen entscheiden, weil er damit rechnen müsse, bei Entscheidungen gegen das Jobcenter von diesem keine Aufträge mehr zu erhalten. Das sah der Richter offenbar anders. Ungewöhnlich dabei: Er entschied sogar selbst mit, dass er nicht befangen ist – in aller Regel ist der Richter, über dessen mögliche Voreingenommenheit entschieden werden soll, bei solch einer Entscheidung gar nicht dabei.

Möglich war dies durch einen juristischen Kniff, den die Rechtsprechung gegen den Missbrauch von Ablehnungsgesuchen entwickelt hat: Wenn sich die Begründungen immer wieder gleichen, sollen die Verfahren dadurch nicht unnötig in die Länge gezogen werden; die Anträge sind deshalb wegen Rechtsmissbrauches unzulässig. In solch einem Fall darf der angeblich voreingenommene Richter sich selbst einen Persil-Schein erteilen. Gegen den Richter gab es schon vorher zahlreiche Ablehnungsgesuche. Besonders ein Anwalt aus Calau macht Front gegen den Sozialrichter und lehnt ihn eben wegen seiner früheren Nebentätigkeit immer wieder ab.

Das Verfassungsgericht Brandenburg jedenfalls – an dessen Spitze mit Jes Möller der Direktor des Sozialgerichts Neuruppin steht – hat diese erleichterte Form der Reinwaschung nun einstimmig kassiert und für die Zukunft deutlich erschwert. Zum einen müssten die Richter darauf achten, ob wirklich dieselben Gründe vorgebracht werden. Im Fall des Cottbuser Sozialrichters war zuvor offenbar mehrfach behauptet worden, dass er Geld vom Jobcenter OSL angenommen und daher „ganz allgemein den Eindruck erweckt“ habe, „seine Entscheidungen seien insgesamt käuflich“. Das aber sei etwas anderes als die Frage, wie sich seine Spruchpraxis auf weitere Aufträge auswirken könnte, fanden die Verfassungsrichter. Auch den Umstand, dass einzelne Anwälte immer wieder das Gleiche rügen, führe nicht automatisch zum Rechtsmissbrauch. Denn das Recht zur Ablehnung eines Richters wegen einer angeblichen Befangenheit stehe dem Mandanten zu. Es soll gewährleisten, dass er vor einem neutralen und unparteilichen Richter steht und erwarten kann, dass in dem Verfahren aus rein sachlichen Gründen entschieden wird.

Letztlich habe die laut Verfassungsgericht „unzulässige Selbstentscheidung“ dazu geführt, dass nicht der sogenannte gesetzliche Richter über den Befangenheitsantrag entschieden hat. Nun müssen am Cottbuser Sozialgericht dessen Kollegen über diesen Antrag neu befinden.

Aktuell üben dort vier der 21 Richter (Stand 2016) eine Nebentätigkeit aus, teilte ein Sprecher mit. Tätigkeiten für Anwaltsvereinigungen, Behörden oder Sozialverbände seien nicht darunter. Wie oft Befangenheitsanträge wegen Nebentätigkeiten gestellt werden und wie viele erfolgreich sind, werde statistisch nicht erfasst, hieß es weiter. Ob sie den Cottbuser Sozialrichter für befangen halten, dazu sagten die Verfassungsrichter nichts.

Vier von 21 – damit liegen die Cottbuser Sozialrichter im landesweiten Schnitt. Laut Justizministerium gingen im ersten Halbjahr 2017 140 Richter einer Nebentätigkeit nach. Gemessen an den 733 rechnerischen Vollzeitstellen sind das 19 Prozent. Untersagt wurde keine der angezeigten Tätigkeiten, dienstliche Interessen sah man also nicht beeinträchtigt. Nicht immer würden sie dauerhaft und gegen Entgelt ausgeübt, hieß es weiter. Sie reichen von der Fortbildung des juristischen Nachwuchses über Rechtskundeunterricht für Willkommensklassen, Vortragstätigkeiten auf Fachseminaren, Lehraufträge an Hochschulen bis hin zur Autorentätigkeit für juristische Zeitschriften und Kommentare. Wie viele Richter für Institutionen tätig sind, über deren Klagen sie dann selbst und auch öfter entscheiden, konnte das Ministerium nicht sagen. An gerade diesem Punkt hatte die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Hartz-IV-Bezieherin ihren Ausgangspunkt genommen.

Ingmar Höfgen

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