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POSITION: Resozialisierung schützt – alle

Behandlung stärken – Resozialisierung sichern – Gesellschaft mehr schützen Von Volkmar Schöneburg

Wenn jemand eine schwerwiegende Straftat begeht, wird er in der Regel zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Diese verbüßt er in einem Gefängnis. Solange er hinter Schloss und Riegel sitzt, ist die Gesellschaft vor weiteren Straftaten durch ihn sicher. Aber fast jeder Gefangene erlangt nach Verbüßung seiner Strafe wieder die Freiheit. Insofern ist die spannende Frage, was geschieht hinter den Gefängnismauern mit dem Gefangenen. Lassen wir ihn durch einen besonders harten Vollzug weiter für seine Taten büßen, verwahren wir ihn lediglich oder versuchen wir ihn zu befähigen, zukünftig ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Das Bundesverfassungsgericht hat darauf bereits 1973 eine eindeutige Antwort gegeben: Der Vollzug ist auf die Resozialisierung des Gefangenen auszurichten. So steht es auch in der Brandenburger Landesverfassung, Artikel 54. Die Antwort ist eine Antwort im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung. Denn bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – in der DDR bis 1989 – versuchte man im Vollzug, das dissoziale Verhalten der Verurteilten durch äußere Disziplinierung quasi wegzudressieren. Das trug aber dazu bei, dass die Rückfallquote der Entlassenen exorbitant hoch war. Die Inhaftierten verloren nämlich so jede Fähigkeit, Konflikte mit der Gesellschaft gewaltlos bzw. produktiv zu lösen.

Resozialisierung hingegen bedeutet, unter den Bedingungen des Gefängnisses die Partizipationschancen des Verurteilten zu erhöhen. Das ist kein einfacher Weg. Ein Gefängnis ist zunächst kein Ort des sozialen Lernens. Früher kursierte sogar das Wort von den Hochschulen der Verbrecher. Jedenfalls werden nach vier bis fünf Jahren Haft Entsozialisierungseffekte bei den Strafgefangenen deutlich sichtbar. Wie steinig der Weg der Resozialisierung ist, zeigt die Rückfallstatistik. Nach der letzten bundesweiten Studie über die Jahre 2004 bis 2007 liegt die Rückfallquote bei denjenigen, die eine Freiheitsstrafe abgesessen haben, bei 48,1 Prozent. Bei Tätern, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, liegt sie bei 68,6 Prozent. Wohin jedoch der Weg gehen muss, zeigt ein Blick auf Details: Untersuchungen belegen, dass das Rückfallrisiko der heterogenen Gruppe der Sexualstraftäter deutlich unter dem der meisten anderer Tätergruppen liegt. Das hat auch etwas damit zu tun, dass gerade Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Abteilungen behandelt werden. Die hier angewandten, gut strukturierten und implementierten Behandlungsprogramme führen zu einer signifikanten Rückfallreduzierung um zehn bis 15 Prozent. Das Rückfallrisiko minimiert sich auch bei denjenigen, die vor ihrer Entlassung Lockerungen bis hin zu einer Verlegung in den offenen Vollzug durchlaufen haben.

Übrigens: Von den 595 Personen, die wegen Mordes und Totschlags verurteilt wurden, sind lediglich zwei Personen (0,3 Prozent) wegen eines solchen Deliktes rückfällig geworden. Einer der Gründe dafür liegt darin, dass Tötungsdelikte häufig Konflikt- bzw. Beziehungstaten sind.

Interessant ist zudem das Ergebnis eines durch die EU geförderten Modellprojektes in NRW. Danach liegt die Rückfallrate bei denjenigen, die im Vollzug keine berufliche Qualifizierung durchlaufen haben und nach der Entlassung in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden, bei 90 %. Strafgefangene, die erfolgreich an berufsfördernden Maßnahmen teilgenommen haben, aber keine adäquate Beschäftigung in Freiheit erlangten, wurden zu 80 % wieder straffällig. Dort, wo die Qualifizierung im Vollzug mit einer entsprechenden Beschäftigung nach der Entlassung korrespondierte, betrug die Rückfallhäufigkeit lediglich noch 32,8 Prozent.

Damit wird aber zugleich die Zielrichtung für ein neues Brandenburger Vollzugsgesetz, das jetzt diskutiert wird, vorgegeben: Erstens gilt es, durch ein standardisiertes Diagnoseverfahren die Persönlichkeit jedes Gefangenen genauer und früher zu erkennen und auf dieser Grundlage eine optimale Individualtherapie zu gewährleisten. Das können dann eine Arbeitstherapie, ein Arbeitstraining, eine ausgeweitete verpflichtende Sozialtherapie bei entsprechender Gefährlichkeit und der Vorrang von schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen sein. Zweitens ist es notwendig, die Grenzen zwischen Gefängnis und Außenwelt so flexibel zu gestalten, wie es im Einzelfall unter Berücksichtigung wissenschaftlicher und sicherheitspolitischer Erkenntnisse verantwortbar ist. Denn nur so können die therapieschädlichen Auswirkungen einer Hospitalisierung begrenzt werden. Das erreicht man u. a. über die Erhöhung der Mindestbesuchsdauer, über einen Rechtsanspruch auf Langzeitbesuch und verantwortbare frühzeitige und umfassende Lockerungen. Wie wenig Risiko das in sich birgt, zeigt die Praxis: Der Missbrauch von Lockerungen in den letzten Jahren in Brandenburg liegt bei unter einem Prozent. Drittens muss es das Anliegen der Gesetzgebung sein, das Kooperationsnetz der Fachleute des Vollzuges und außerhalb der Anstalten zu nutzen, um schon während der Haft für den Gefangenen eine sichere Grundlage für einen sozialen und beruflichen Neuanfang in Freiheit vorzubereiten.

Reformansätze im Strafvollzug werden nicht selten durch den Slogan „Opferschutz statt Täterschutz“ diskreditiert. Das ist purer Populismus. Aber selbstverständlich soll der Schutz potenzieller Opfer nicht nur über eine gelungene Resozialisierung allgemein verbessert werden. Das neue Gesetz soll sich erstmals darauf orientieren, durch spezielle Therapie die Empathiefähigkeit der Gefangenen zu wecken und zu erhöhen. Bei der Gewährung von Lockerungen soll die Rücksicht auf Opfer besonders geregelt werden. Eine Schuldenberatung bzw. der Einsatz der Ersparnisse von Gefangenen für die Opferunterstützung oder die Wiedergutmachung eines Schadens sollen daneben vorgegeben werden.

Ist ein so fortentwickelter Vollzug dann ein „Hotelvollzug“? Wird nicht der Sühnegedanke des Strafrechts damit konterkariert? Das Gerede vom Hotelvollzug ist natürlich Unsinn. Einen Hinweis auf die realen Verhältnisse in den Gefängnissen liefert die jüngste Studie über Opfererfahrungen im Vollzug. Der Gefangene bleibt immer noch in einer kleinen Zelle mehrere Jahre untergebracht. Und er muss hart an sich arbeiten, um das Vollzugsziel zu erreichen. Was die Frage der Sühne betrifft, so spiegelt sie sich in der Länge der verhängten Freiheitsstrafe wider. Der Gefangene muss eben mindestens zwei Drittel dieser Strafe im Gefängnis absitzen. Auch die Lebenslangen kommen nicht, wie gemeinhin kolportiert wird, nach 15 Jahren raus. Sie können nur nach 15 Jahren einen Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen. Auf der Basis einer Gefährlichkeitsanalyse wird dann entschieden, ob und wann dies verantwortet werden kann.

Hans Fallada hat in seinem Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ den automatischen Kreislauf zwischen Inhaftierung und Rückfall eindringlich beschrieben. Es liegt im Interesse der Bürger, ihn zu durchbrechen.

Der Autor, Jurist, ist Justizminister des Landes Brandenburg und Mitglied der Partei Die Linke

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