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Brandenburg: Ratlos vorm Rathaus

Jüterbogs Stadtverordnete finden ihren Bürgermeister untragbar. Doch abwählen wollen sie ihn nicht

Jüterbog - Es war ein Aufzug, wie ihn wohl noch keine Kommune in Brandenburg gesehen hat: Mehr als 30 Stadtverordnete versammelten sich vor der historischen Gerichtslaube am Rathaus in Jüterbog (Teltow-Fläming) und hielten ein Transparent in die Höhe. „Wir fordern von Arne Raue Respekt und Toleranz für unser Jüterbog.“ Das war dick gepinselt darauf zu lesen. Bürgervertreter aller sechs im Stadtparlament gewählten Parteien und Wählergruppen demonstrierten so gegen den parteilosen Bürgermeister ihrer Stadt. Arne Raue hat es geschafft, alle gegen sich aufzubringen. Die Liste der Vorwürfe ist lang. Von Arroganz, Alleingängen, Vetternwirtschaft, Missachtung von Stadtverordnetenbeschlüssen, autistischer Abgrenzung oder peinlichen Auftritten ist die Rede. Die Protestaktion war am Sonntag, 18. Mai. Seither haben sich die Fronten weiter verhärtet.

Arne Raue, ein schlanker Enddreißiger, Kurzhaarschnitt, Jeans, locker gebundene Krawatte, hat ein recht selbstsicheres Auftreten und eine gradlinige kommunalpolitische Karriere hinter sich: Studium des Verwaltungsrechts, mit 28 Jahren bereits zum Ortsbürgermeister von Glindow (Werder) gewählt, danach mehrere Jahre im Landesinnenministerium für interne Organisation zuständig, bis ihn die Jüterboger im September 2011 bei einer Stichwahl mit 54 Prozent der Stimmen zu ihrem Stadtoberhaupt wählten. Seither hat er seinen Schreibtisch im sogenannten Fürstenzimmer des Rathauses und „benimmt sich entsprechend“, sagen seine Kritiker. Er selbst bezeichnet sich als Teamplayer. Seine Gegner lässt er abblitzen. „Zu Phrasen und Halbwahrheiten äußere ich mich nicht.“

In der Stadtverordnetenversammlung waren bis zur Kommunalwahl am 25. Mai SPD und Linke die stärksten Fraktionen neben CDU, FDP, dem Bauernverband und einer freien Wählergruppe. Zwei weitere freie Gruppen sind jetzt hinzugekommen, zusammen kamen sie mit rund 32 Prozent nah an SPD und Linke heran. Fragt man bisherige Stadtverordnete, so erzählen sie von einem schier endlosen Kleinkrieg. Von Anfang an habe Raue jegliche Gespräche abgelehnt. „Wir konnten nicht über Themen reden, uns mit ihm auseinandersetzen“, sagt die Fraktionschefin der Linken und Vorsitzende des Hauptausschusses, Maritta Böttcher. Ständig verweigere er Zuarbeit, lehne es ab, Fragen in Ausschüssen zu beantworten. Im April sei es um ein geplantes Familienzentrum gegangen. Böttcher: „Wir wollten wissen, wann und mit welchen freien Trägern die Verwaltung bereits verhandelt hat.“ Doch Raue habe sich quergestellt. Er sage dazu nichts. Böttcher beklagte sich bei der Kommunalaufsicht des Landkreises. Diese habe ihm klargemacht, dass er nach der Kommunalverfassung antworten muss.

Warum das Stadtoberhaupt derart blockt, darüber rätseln alle. Niemandem fällt dazu etwas ein. Gestritten wurde in jüngster Zeit auch um die künftige Gestaltung des Weihnachtsmarktes vorm Rathaus, um den Caterer des Kulturzentrums oder die Organisation einer geselligen „Langen Tafel“, bei der sich Hunderte Bürger in der Altstadt zum gemeinsamen Dinner treffen. Die Parlamentarier wollten einen besinnlichen Christmarkt. Der Rathauschef, so Maritta Böttcher, vergab die Organisation „über unsere Köpfe hinweg an ein Unternehmen, das eher Rummel vorsieht“. Den Auftrag des Parlamentes, die Catererstelle neu auszuschreiben, habe Raue hinausgezögert und dann fehlerhaft ausgeführt. Mit der Bewirtung an der Langen Tafel habe er selbstherrlich zwei Gastronomen betraut. „Anfangs gestanden wir ihm ja Startschwierigkeiten zu, doch es ist nicht besser geworden“, klagt auch Annette Rückert von der FDP. Mit Kritik komme Raue nicht klar.

Und die Stadtverordneten nicht mit seiner Art. Bei Sitzungen, da sortiere er respektlos seine Post und mache keinen Hehl daraus, „dass er uns für einen unwichtigen Haufen hält“. Bei repräsentativen Veranstaltungen müsse man sich für ihn schämen, weil er gar nicht erscheine oder sich geringschätzig verhalte. „Er diskriminiert uns in frecher Weise“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme. Maritta Böttcher von der Linken sagt es so: „Wir sind fassungslos.“ Deshalb habe man das Transparent am Rathaus entrollt. „Wir wollten zeigen, dass wir mit unserer Kraft am Ende sind.“

Statt Verständnis brachte das den Akteuren aber eher Kritik ein. Kreis und Landtag wurden erst so richtig aufmerksam. Peinlich sei die Aktion, imageschädigend für die Stadt, hieß es. Gute Ratschläge folgten. „Redet doch mit eurem bockigen Bürgermeister.“ Böttcher hebt die Hände. „Das geht ja nicht.“ Stattdessen haben die Parlamentarier den Kreis um Amtshilfe gebeten. Nun untersucht die Aufsichtsbehörde, ob Arne Raue gegen die Kommunalverfassung verstößt. Deren Paragraf 61 legt fest: „Die Gemeindevertretung ist Dienstvorgesetzte des Hauptverwaltungsbeamten“ – sprich: Bürgermeisters.

Den härtesten Schritt, einen Abwahlantrag, haben die Stadtverordneten bislang vermieden. Nach seiner Direktwahl bleibt ein Bürgermeister acht Jahre im Amt. Würden sie Raues Abwahl befürworten, hätten die Jüterboger das letzte Wort. Zuletzt wurde in Brandenburg im März der Rathauschef von Bernau von der Bevölkerung abgewählt.

Optimisten in Jüterbog sehen noch einen Hoffnungsschimmer. Sie setzen auf die zwei neuen Wählergemeinschaften. „Vielleicht“, sagen sie, „ schaffen es ja die Neuen, die Fronten aufzuweichen.“

nbsp;Christoph Stollowsky

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