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Stelen in Regenbogenfarben erinnern auf dem Oberlin-Gelände in Babelsberg an die vier Opfer der Gewalttat.

© Andreas Klaer

Nach den Morden im Oberlinhaus: Experten fordern mehr Fachpersonal

Nachdem vor zweieinhalb Jahren im Babelsberger Thusnelda-von-Saldern-Haus eine Pflegekraft vier schwerstbehinderte Menschen umbrachte, setzte sich eine Expertenkommission zusammen. Am Freitag präsentierte sie erste Ergebnisse.

Zweieinhalb Jahre nach den Morden an vier schwerstbehinderten Bewohnern des Babelsberger Thusnelda-von-Saldern-Hauses erheben Experten Forderungen an Bundes- und Landespolitik, die Betreuungs- und Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Handicap deutlich zu verbessern. Fachpersonal und geeigneter Wohnraum seien nicht ausreichend vorhanden, um behinderten Menschen durch die Träger immer ein Leben nach ihren Vorstellungen zu ermöglichen, machte Ursula Schoen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, am Freitag in Potsdam bei der Übergabe eines Expertenberichts an das Oberlinhaus deutlich. Zu dem großen, diakonischen Sozialträger in Potsdam gehört das Wohnheim, das am 28. April 2021 zum Tatort wurde.

Die langjährige Oberlin-Pflegekraft Ines R. hatte zwei Frauen und zwei Männer mit mehrfachen Behinderungen, die seit Jahren im Thusnelda-von-Saldern lebten, mit einem Messer erstochen. Eine weitere ihr anvertraute Bewohnerin wurde bei der Attacke lebensgefährlich verletzt. Das Landgericht Potsdam verurteilte die bei der Tat 52 Jahre alte Potsdamerin im Dezember 2021 zu 15 Jahren Haft und ordnete die Unterbringung in der Psychiatrie an. Während des Prozesses waren von ehemaligen Mitarbeitern die Arbeitsbedingungen in der Wohneinrichtung kritisiert worden, es habe chronischer Personalmangel geherrscht, hieß es.

Oberlinhaus: kein schuldhaftes Verhalten

Das Oberlinhaus hatte die Vorwürfe nach Prozessende zurückgewiesen. Die gesetzlichen Vorgaben seien stets eingehalten worden. So betont auch der Theologische Vorstand des Oberlinhauses, Matthias Fichtmüller, im Vorwort des nun vorgelegten, knapp 30 Seiten langen Zwischenberichts: „Alle polizeilichen und fachlichen Untersuchungen, die nach der grausamen Tat im Oberlinhaus stattfanden, haben ergeben, dass der Einrichtung und Organisation des Oberlinhaus keinerlei schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen ist.“ Innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen seien sämtliche Anforderungen erfüllt worden.

Oberlin-Vorstand Matthias Fichtmüller (Mitte) nahm den Expertenbericht am Freitag entgegen.
Oberlin-Vorstand Matthias Fichtmüller (Mitte) nahm den Expertenbericht am Freitag entgegen.

© Andreas Klaer

Oberlin hatte die mit sechs Pädagogen, Juristen und Sozialwissenschaftlern aus ganz Deutschland besetzte Kommission im April 2021 auch nicht eingesetzt, um die Tat aufzuarbeiten, sondern allgemein Verbesserungsvorschläge für die Arbeit mit behinderten Menschen vorzulegen und dafür auch politische Aufmerksamkeit zu bekommen.

Kein Schulgeld und bezahlbarer Wohnraum

Auf diese hofft Oberlin-Vorstand Fichtmüller zehn Monate vor der Landtagswahl in Brandenburg. Er fordert, wie es auch die Experten in ihrem Bericht empfehlen, die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger, also zur Fachkraft für die Arbeit mit Behinderten, zu stärken und das Schulgeld für freie Träger abzuschaffen. Die Geschäftsführerin der Oberlin-Lebenswelten, Tina Mäueler, sagte, in Brandenburg würden 2030 voraussichtlich rund 4.800 Heilerziehungspfleger benötigt. Es werde davon ausgegangen, dass dann rund 2.000 dieser Stellen nicht besetzt werden können. „Wir gehen auf dramatische Zahlen zu“, sagte sie. Die Träger müssen in Wohngruppen für Erwachsene nach gesetzlichen Vorgaben mindestens 50 Prozent Fachkräfte beschäftigen. Um diese zu finden und zu binden, „brauchen sie auch bezahlbaren Wohnraum“, so Fichtmüller.

Das am Freitag vorgelegte Papier ist nur ein Zwischenfazit. Die große Herausforderung beginnt erst. Das umzusetzen, was in dem Bericht selbst verlangt wird: Menschen mit Behinderungen ihre Bedürfnisse äußern zu lassen. Das recht technokratisch verfasste Papier soll in leichte Sprache übersetzt und mit Bewohnern, die sich teils nur mittels Sprachcomputern oder anderen Hilfsmitteln verständlich machen können, Angehörigen und Mitarbeitern erörtert werden. Nicht nur bei Oberlin, sondern auch in anderen Einrichtungen. Im Sommer 2024 soll dann der Abschlussbericht fertig sein.

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