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Gefährlich. Eine Kollision mit einem Lkw ist oft der Grund für schwere Verletzungen bei Radfahrern. Verkehrstechnik könnte helfen, Unfälle zu vermeiden.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Brandenburg: Mit Technik gegen den toten Winkel

Brandenburg und Berlin drängen im Bundesrat auf verpflichtende Einführung von Abbiegeassistenten für Lkw

Berlin/Potsdam - Während die Meldungen über schwere Radverkehrsunfälle mit LKW-Beteiligung nicht abreißen, bemüht sich Brandenburg gemeinsam mit anderen Bundesländern um mehr Verkehrssicherheit. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) brachte dazu am Freitag eine Brandenburger Initiative in den Bundesrat ein, die von der Länderkammer in die Ausschüsse verwiesen wurde. Zum einen soll der Bund aufgefordert werden, sich umgehend bei der EU-Kommission für eine verpflichtende Einführung von Notbremsassistenten und Abstandswarnern für Lkw ab 7,5 Tonnen einzusetzen. Brandenburg will außerdem erreichen, dass diese Systeme nicht abgeschaltet werden dürfen. Außerdem sollten Assistenzsysteme für Laster verpflichtend eingeführt werden, die den Fahrer warnen, sobald ein Radfahrer in den toten Winkel gerät. Schätzungen zufolge könnte der Abbiegeassistent in über 60 Prozent aller Unfälle zwischen Lkw und Radfahrer den Unfall verhindern oder zumindest abschwächen, teilte die Staatskanzlei mit.

Woidke begründete die beiden Initiativen mit einer Fülle tragischer Unfälle mit schweren Lkw sowohl in den Städten als auch auf Autobahnen. So gehe aus einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen hervor, dass etwa ein Drittel der jährlich im Straßenverkehr getöteten Radfahrer Opfer von Abbiegeunfällen werden. Dabei trügen die Radfahrer selten Schuld. Im Januar starb ein zehnjähriges Mädchen in Brandenburg/Havel, nachdem es von einem Lkw-Fahrer beim Abbiegen übersehen und von dem Laster überrollt wurde. Vor gut zwei Wochen wurde eine 59-jährige Radfahrerin in Oranienburg (Oberhavel) von einem abbiegenden Lastwagen erfasst und getötet.

„Unfälle mit schweren Lkw enden oft dramatisch“, so Woidke. „Bundesweit sterben dabei jährlich fast 500 Menschen, über 3200 werden schwer verletzt. Viele dieser Unfälle wären mit den heute verfügbaren technischen Mitteln vermeidbar oder würden glimpflicher ablaufen.“ Es gebe ausgereifte technische Lösungen, um Unfälle zu verhindern. Sie müssen nur rechtlich bindend gemacht werden. „Unsere Vorschriften hinken der Technik um Jahre hinterher“, erklärte Woidke am Freitag. Die Unterstützung der Fachwelt ist einhellig: „Es kann nicht sein, dass weitere Jahre vergehen müssen, in denen vor allem Radfahrer bei Rechtsabbiegeunfällen schwer verletzt werden oder sterben müssen, weil die Industrie der Entwicklung von Abbiegeassistenten nicht genügend Priorität einräumt“, heißt es beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). Der ADFC fordert dazu ein Sofortprogramm des Bundes, um Kommunalfahrzeuge wie Müllwagen entsprechend nachzurüsten.

Allerdings gibt es für derartige Lastwagen noch gar keine ausgereifte Technik. Laut der Unfallforschung der Versicherer (UDV) existiert, abgesehen von teils unzulänglichen Nachrüstlösungen, nur ein von Daimler angebotenes System, das den Fahrer warnt, aber nicht bremst. Dieses System sei bisher auf Lkw mit glattflächigen Aufbauten beschränkt. Als Übergangslösung fordert die UDV Kamera- Monitor-Systeme für Lastwagen. Nach ADFC-Angaben steigt die Zahl der durch abbiegende Lkw getöteten Radfahrer seit Jahren. 2017 seien es bundesweit 38 gewesen, in diesem Jahr bereits elf. Betroffen sind oft Kinder und Senioren, die im Vertrauen auf ihre grüne Ampel losfahren und vom Lkw-Fahrer übersehen werden. Die UDV schätzt, dass Abbiegeassistenten in Lastwagen jährlich fast 200 Radfahrer vor tödlichen oder schweren Verletzungen bewahren könnten.

Eine simplere Variante haben Verkehrstechniker des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) getestet: An einer Kreuzung in Braunschweig installierten sie ein Licht, das je nach – von Kameras beobachtetem – akutem Unfallrisiko Abbieger mit Leuchten oder hochfrequentem Blinken vor Radfahrern warnen soll. Nach Auskunft von Projektleiter Kay Gimm muss der vierwöchige Versuch erst noch ausgewertet werden.

Als weitere Ursache schwerer Unfälle rückt zunehmend das sogenannte „Dooring“ in den Fokus, bei dem Radfahrer gegen unachtsam geöffnete Autotüren prallen. Allein am Donnerstag wurden in Berlin zwei Radfahrer bei solchen Unfällen schwer verletzt: Morgens war ein 48-Jähriger schwer gestürzt, als die Beifahrerin eines Opels die Tür aufriss. Am Nachmittag prallte eine 39-Jährige gegen die plötzlich geöffnete Fahrertür eines Mercedes und verletzte sich schwer. Die Radfahrerin kam in ein Krankenhaus.

Im vergangenen Jahr kosteten solche Unfälle zwei Menschen in der Hauptstadt das Leben; auch in diesem Jahr gab es bereits ein Todesopfer dadurch. Einen genauen Überblick über das Ausmaß des Problems hat die Berliner Polizei mangels Daten nicht: „Das fällt in der Statistik nach wie vor unter ,Fehler beim Ein- oder Aussteigen’“, hieß es am Freitag im Präsidium. Diese Unfallkategorie ist die zweithäufigste, wenn es zwischen Autos und Radlern kracht. Da die Polizei diese Unachtsamkeit kaum „auf frischer Tat“ feststellen kann, bleibt nur Vorsorge. Um die bemüht sich auch die Verkehrsverwaltung, die Ende März eine entsprechende Kampagne startete, an der sich auch der Fahrlehrerverband beteiligt. Dabei soll Autofahrern wie Beifahrern der sogenannte Holländische Griff angewöhnt werden: Die linken Türen werden mit der rechten Hand geöffnet, die rechten mit der linken. Dadurch dreht man sich vor dem Aussteigen automatisch zur Seite und sieht nahende Radfahrer beim Blick über die Schulter.

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