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Brandenburg: Mit Kind und Kegel für gute Kitas

Freie Träger von Tagesstätten erhöhen den Druck auf das Land und fordern mehr Geld, um die langen Betreuungszeiten der Kinder personell abdecken zu können.

Heute hat Judith Langner keine Kinder dabei, nur Kegel. Viele bunte Holzfigürchen stellt die Kita-Bereichsleiterin des Potsdamer Oberlinhauses auf einen Beistelltisch im Pressekonferenzraum des diakonischen Unternehmens. Auf 40 kleine Figuren kommt man beim Nachzählen. Das sind die Kinder. Mitten in der Gruppe stehen fünf große Holzkegel: die Erzieher. Doch dann nimmt Langner, schwupps, vier große Kegel vom Tisch. Die Erzieherinnen haben nach 7,5 Stunden Feierabend. Nur ein Kegel bleibt, umringt von vielen farbenfrohen Figuren. Die Simulation eines typischen Kitatages. Nur dass in der Realität keine Spielfiguren hin- und hergeschoben werden, sondern Kinder. Und Personal.

Die Refinanzierung der Personalkosten durch das Land halte mit den Anforderungen in den meisten Einrichtungen nicht mehr Stand, monieren die Träger. Einige von ihnen haben sich zusammengetan, zünden nach der aufsehenerregenden Selbstanzeige wegen Nichteinhaltung des vorgegebenen Betreuungsschlüssels durch die Fröbel-Gruppe an diesem Freitag die nächste Stufe. Mit einem Aktionstag und einer Pressekonferenz kämpfen sie für mehr Erzieher. Denn zwischen den Bemessungen des Landes und der Lebenswirklichkeit vieler berufstätiger Eltern klaffe eine gewaltige Lücke.

Mehr als acht Stunden in der Kita

Claudia Frankenhäuser kennt diese Realität. Ihre beiden Kinder besuchen die Oberlinkita in Babelsberg. 15 bis 20 Kinder, schildert die Elternvertreterin, sitzen dort oft beim Frühstück zusammen – mit nur einer Erzieherin. Denn um die langen Öffnungszeiten personell abzudecken, müssen die Kitas ein Schichtsystem entwickeln, können gerade zu den Randzeiten – frühmorgens und spätnachmittags für Eltern mit ungünstigen, langen Arbeitszeiten – nicht so viel Personal einsetzen. Hinzu kommen Urlaube, Fortbildungen und Krankheiten der Erzieher, die kompensiert werden müssen. „Zu Hause am eigenen Essenstisch ist man schon mit zwei kleinen Kindern gut beschäftigt, um alles zu beaufsichtigen“, sagt Frankenhäuser. Sie erlebe dementsprechend erschöpfte Erzieher und auch viele Personalwechsel in den Einrichtungen. Nicht gerade das, was man sich als Mutter für sein Kind wünscht. Schon gar nicht, wenn man einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz hat, der Staat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf propagiert.

Doch nach Berechnung der Träger können mit den Zuweisungen vom Land nur 7,5 Stunden Betreuung am Tag so gewährleistet werden, dass der vom Land vorgesehen Personalschlüssel auch eingehalten wird. Rechnerisch ist bei den Krippenkindern eine Erzieherin für fünf, bei den Älteren bis zur Einschulung für 11,5, ab August nur noch elf Kinder zuständig. Doch mehr als ein Drittel der Kinder bleiben laut einer Online-Erhebung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, an der sich 430 Einrichtungen im Land beteiligt haben, mehr als acht Stunden in der Kita.

„Die Überlastungsanzeigen nehmen zu.“ 

Dass die Erzieher durch die langen, nicht ausfinanzierten Betreuungszeiten am Limit sind, sagt auch Sabine Henze, stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Die Überlastungsanzeigen nehmen zu.“ Hinzu komme, dass die Erzieherinnen oft selbst Familie haben, ihren Job in der Kita mit ihren eigenen Kindern vereinbaren müssen – für die es dann wiederum zu wenig Betreuer gibt. „Wir drehen uns im Hamsterrad“, sagt Henze. Nach Berechnung der Träger waren landesweit 1700 zusätzliche Erzieher nötig. Kosten: rund 91 Millionen Euro im Jahr.

Die Träger argumentieren dabei mit Hilfe von Holzkegeln gegen eine Grafik in der Größe eines DIN A4-Blatts, die die Zuständigen im Bildungsministerium gerne hochhalten. Sie zeigt die Kita-Finanzierung in Brandenburg, ein viersäuliges Modell. Gemeinden, Landkreise, Eltern und die Träger leisten ihren Anteil. Unter diesen vier Säulen ist das Land eingezeichnet, als breiter Balken. Mit dieser Grafik lässt sich deshalb gut argumentieren, weil sie mit ihren eingezeichneten Pfeilen, Paragrafen und Prozentzahlen so komplex ist, dass sie nur schwer zu verstehen ist und das Land so als Botschaft adressieren kann: Es ist kompliziert. Die Träger machen es sich zu einfach, wenn sie bei der Frage nach mehr Geld nur auf das Land verweisen. Zudem, so darf man die jüngsten Aussagen von Bildungsstaatssekretär Thomas Drescher wohl verstehen, argumentierten die Träger mit dem Holzhammer, wenn sie 7,5 Stunden als ausfinanziert ansetzen, denn das Land zahle ja gar nicht direkt an die Träger.

Hochtechnokratisches Kitagesetz

Andreas Kaczynski, Vorstand des Paritätischen Landesverbandes, der in Brandenburg 850 Kitakinder betreut und als Dachverband die Interessen von mehr als 50 freien Trägern vertritt, ist des Grafikstudiums durchaus mächtig. Dass die 7,5 Stunden eine fiktive Größe sind, die sich ergibt, wenn man Personalkosten und Refinanzierung gegenrechnet, weiß er auch. Und dass die Kita-Finanzierung kompliziert ist, erst recht. „Im Moment ist das ein Verschiebebahnhof“, sagt Kaczynski. Die Verantwortungsgemeinschaft zwischen Land, Kreisen und Kommunen funktioniere nicht mehr.

„Das Brandenburger Kitagesetz ist hochtechnokratisch“, kritisiert auch Stefan Spieker, Geschäftsführer der Fröbel gGmbh, die die Kampagne Anfang April ins Rollen brachte und schnell Mitstreiter fand. Die durch die Einführung des elternbeitragsfreien letzten Kitajahres notwendige Novelle des Kitagesetzes, sagen die Träger, wäre die Chance gewesen, auch die Finanzierung anzupassen. Was die Zuständigkeiten angeht. Vor allem aber die längeren Betreuungszeiten. Weil eine Änderung in dieser Legislatur nicht in Sicht ist, demonstrieren die Träger gemeinsam mit Eltern und Erziehern am Mittwoch vor dem Landtag, zur dritten Lesung der Kitagesetznovelle. 900 Anmeldungen gibt es schon. Denn diesmal werden auch Kinder mitgebracht, nicht nur Kegel.

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