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Brandenburg: „Manche trinken, obwohl es ihnen gar nicht schmeckt“

Jugendliche, die exzessiv zur Flasche greifen, verdrängen häufig psychische Probleme

Berlin - Während über ein Verbot des so genannten Flatrate-Trinkens diskutiert wird, liegt ein 16-jähriger Berliner nach dem Konsum von fast 50 Tequilas weiterhin im Koma. „Trotz medizinischer Betreuung sind bleibende Schäden nicht auszuschließen“, sagten Mediziner. Wie gestern bekannt wurde, soll sich am Sonntag zudem ein 14-jähriges Mädchen aus Spandau so sehr betrunken haben, dass sie aus dem vierten Stock ihres Kinderzimmers gesprungen ist. Sie überlebte schwer verletzt. Wie die Mutter einer Boulevardzeitung berichtete, sei ihre Tochter im Wodka-Rausch vom Spandauer Volksfest nach Hause gekommen.

Die Polizei bestätigte zwar, dass am Sonntag ein Mädchen in Spandau aus dem vierten Stock gesprungen war. Doch ob das Kind betrunken war, blieb unklar. „Wir haben lediglich ermittelt, dass es sich um einen Suizidversuch handelt“, sagte ein Polizeisprecher. Derzeit liegt die 14-Jährige im Virchow-Klinikum. Ob Alkohol im Spiel war, wollte eine Sprecherin nicht kommentieren.

Angesichts der Debatte sei es notwendig, den Umgang mit Alkohol in der Gesellschaft stärker zu diskutieren, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD). Sie sprach sich aber gegen ein generelles Alkoholverkaufsverbot an unter 18-Jährige aus. Auch Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) hält davon wenig. Damit werde das Problem nicht gelöst. Insgesamt sei der Alkoholkonsum unter Jugendlichen rückläufig, betonte Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei/PDS) kürzlich. Es gebe aber Jugendliche, die sich regelmäßig bis zum Vollrausch betränken.

Insbesondere zwei Gruppen von Kindern seien für Alkoholmissbrauch anfällig, meinen Experten. So kämen viele jugendliche Alkoholiker aus so genannten Problemfamilien: Kinder, die nur mit einem Elternteil groß geworden sind, Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen haben, und den Anforderungen in der Schule nicht mehr genügen, neigten übermäßig häufig zu massivem Alkoholkonsum. Viele von ihnen werden frühzeitig straffällig, Zukunftschancen sähen diese Jugendlichen für sich häufig nicht mehr.

Vor allem solche Jugendliche werden derzeit in der Hellersdorfer Therapieeinrichtung „Zwischenland“ betreut. „Einige schwänzen seit einem Jahr die Schule“, sagte Sozialpädagogin Daniela Radlbeck. Bis zu neun Monate lang gibt es für die acht suchtkranken Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren – die meisten sind Jungen – rund um die Uhr Hilfe von Sozialarbeitern und Psychologen. „Viele hatten schon vor ihrer Alkoholikerkarriere psychische Probleme“, sagte der Kinder- und Jugendpsychiater des Krankenhauskonzerns Vivantes, Oliver Bilke. Der Griff zur Flasche solle dann oft nur noch unangenehme Erinnerungen, Versagensängste und Depressionen verdrängen. „Einigen schmeckt der Alkohol eigentlich gar nicht“, sagte Bilke.

Anders verhält es sich mit der anderen Gruppe suchtgefährdeter Jugendlicher. Hier ist es die Neugier und der Spaß, der bei diesen eher stabileren Kindern zur Alkoholabhängigkeit führe. Gerade unter jungen Leuten aus der Mittelschicht gebe es einen besorgniserregenden Trend zu Hochprozentigem wie Wodka oder Rum. Insbesondere Gymnasiasten nutzten Alkohol zunehmend, um den Erwartungen der Eltern und in der Schule zu entfliehen.

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