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Alles Gender. Zum 40. Christopher Street Day feierten am Samstag auf der Straße des 17. Juni in Berlin Hunderttausende, bis am Abend am Horizont erste Gewitterwolken aufzogen.

© Gregor Fischer/dpa

Brandenburg: Love me, Gender

Unter der Regenbogenfahne: Friedlich-fröhliches Schwitzen bei der 40. Berliner CSD-Parade am Samstag

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Wohlwollen kann manchmal sehr nass sein und ist bei passenden Temperaturen in dieser Form besonders willkommen. So wie am frühen Samstagnachmittag in der Nürnberger Straße in Berlin, wo ein Anwohner seine Sympathie mit den schwitzenden Massen der CSD-Parade mittels eines Wasserschlauchs bekundete. Nicht, dass von seinem Posten oben auf dem Dach noch viel mehr als feiner Sprühregen unten angekommen wäre, aber solcher Zuspruch tat doch der Seele gut, auch wenn der Körper nach wie vor dampfte.

Und das tat er gerade zu Beginn der Zickzack-Strecke vom Startplatz an der Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße zum Brandenburger Tor. Statt über den Boulevard führte die Route erst mal hinein in die vergleichsweise enge Augsburger und die Nürnberger Straße, da der Ku’damm für den Start- und Zielbereich der am Abend geplanten „Adidas Runners City Night“ am Wittenbergplatz gesperrt war. Eine Art Nadelöhr war also gleich zum Start zu bewältigen, was ein ziemliches Gedränge zur Folge hatte.

„So voll war’s noch nie am Ku’damm zum Auftakt des CSD. Kaum ein Durchkommen mehr“, klagte ein Teilnehmer. Aber das war nun mal nicht zu ändern: Der als Demo nach Versammlungsrecht bei der Polizei angemeldete CSD musste auf die Laufveranstaltung Rücksicht nehmen. Der beim Bezirk angemeldete Lauf findet immer am letzten Juli-Wochenende statt, während der CSD zeitlich flexibler ist: Im vergangenen Jahr war er ein Wochenende früher.

Vor dem Umzug – trotz hohen Spaßfaktors ist und bleibt er doch eine Demonstration – war an dem ihnen gewidmeten Denkmal am Rande des Tiergartens der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gedacht worden. Interessenverbände forderten höhere Entschädigungen für Menschen, die wegen ihrer homosexuellen Neigungen nach 1949 verurteilt worden waren. Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hatte sich eingefunden und mahnte über Twitter: „Nichts wurde uns geschenkt, viele Emanzipationsfortschritte erkämpft. Das heißt nicht, dass es nicht gefährdet ist. Solidarität ist nötig, nicht nur für die Rechte der eigenen Minderheit!“

Auch kurz vor eins, zum Start der CSD-Parade, der 40. in Berlin, wurde es erst mal politisch, wurden die elf CSD-Forderungen verlesen, darunter die nach fairer Berichterstattung über Trans-Menschen, bevor sich der Zug unter einem Konfettiregen in Bewegung setzte: 45 Gruppen zu Fuß, 59 Trucks – alles in allem rekordverdächtig, wie es sich für eine Jubiläumsdemo gehört. Und dies bei ebenfalls rekordverdächtiger Hitze, angesichts derer sogar die Polizei fürsorglich twitterte: „Schützen Sie sich vor der #gluthitze und achten Sie auch auf andere Feiernde!“ Das zielte auf alle, die mitzogen und Spaß hatten. Laut Polizei waren es Hunderttausende.

Hochpolitisch wie am Anfang wurde es auch später immer wieder, sei es, dass eine Frauengruppe ein Transparent mit dem Bekenntnis „Lesben gegen Rechts“ vor sich hertrug, die Bears of Poland sich zur „Association for men like us!“ bekannten, die „Schwulen und Lesben in der Union“ sich zu „Seerettung statt Seehofer“ aussprachen oder gar Darth Vader persönlich „CSD statt AFD“ forderte – das Düsterkostüm eine mobile Sauna, wie muss die Person hinter der Maske geschwitzt haben. Für die am Ende der Route lockenden zwei Duschen hatte sich die dunkle Seite der Macht jedenfalls spezielle Anrechte erlaufen.

Aber bis dahin galt es noch eine ziemliche Strecke zu bewältigen, und weil für die Trucks der anfängliche Umweg mühseliger zu durchkurven war als der Ku’damm, dauerte es eben etwas länger. Wobei Truck diesmal ein relativer Begriff war, hatte sich doch die Berliner Schwulenberatung – Love me, Tender! – einen kleinen Minizug besorgt, wie man ihn in Touristenhochburgen gerne durch die Straßen zuckeln sieht. Die Hertha-Junxx dagegen kamen in Blauweiß und selbstverständlich zu Fuß, wie sich das für Fußballer eben gehört, während die BVG per pedes – nein, das wäre undenkbar gewesen. Ein ÖPNV-mäßiges Transportmittel musste es schon sein, daran die Aufschrift „Wir sind alle Tramgender“, was gut zu dem Motto gepasst hätte, unter dem das Bisexuelle Netzwerk zuvor die Zuschauer passiert hatte: „Love Knows No Gender“.

Sicher wurde auch für Zaungäste, die einfach nur staunen wollten, jede Menge geboten: die zwei Dragqueens beispielsweise, die mit einem regenbogenbunten Speiseeis posierten, das seltsamerweise nicht tropfte. Oder der spärlich bekleidete Lutz, der neben einer riesigen Regenbogenfahne auch ein künstlich montiertes Gemächt zur Schau stellte, der Angeber! Schließlich Ernie und Bert, die Unzertrennlichen, als Ballons sowie Klaus Wowereit und Jörn Kubicki leibhaftig.

Gegen halb fünf wurde am Brandenburger Tor schon kräftig gefeiert, wer wollte, konnte sich sogar an einem Kran mit Bungeespringen einen Extrakick holen. Etwas später ging die Party am Tor dann so richtig los – bis sie gegen 19.30 Uhr abrupt von ersten Regentropfen ausgebremst wurde: Wegen des nahenden Unwetters erklärten die Veranstalter den CSD für beendet – noch bevor etliche Hauptacts auf die Bühne kommen konnten.

Leider gab es auch einen Todesfall beim CSD. Kurz vor 19 Uhr, während auf der Straße des 17. Juni Hunderttausende auf der Parade feierten, brach am Rande des Umzugs im Tiergarten ein 33-jähriger Mann ohne erkennbare Ursache zusammen. Herbeigerufene Helfer versuchten, ihn mit Erste-Hilfe-Maßnahmen zu retten, wie die Polizei am Sonntagmorgen mitteilte. Ohne Erfolg: Ein Arzt konnte um kurz nach 19 Uhr nur noch den Tod des Mannes feststellen. Woran er starb, ist bislang unklar. Der 33-Jährige, der polnischer Staatsbürger ist und in Berlin seinen Wohnsitz hatte, war nach bisherigen Erkenntnissen alleine unterwegs.

Paul Lütge, Andreas Conrad, lvt

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