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UN-Sonderbotschafterin Nadia Murad wird im Landtag Brandenburg sprechen.

© Franziska Kraufmann/dpa

Brandenburg: Landtag macht Druck bei Aufnahme von Jesiden

Brandenburg setzt ein Zeichen: Am Mittwoch spricht die Jesidin und UN-Sonderbotschafterin Nadia Murad vor dem Landtag. Damit könnte Brandenburg auch andere Länder ermutigen, Jesiden aufzunehmen.

Potsdam - Es war ein historischer Beschluss des Landtags Brandenburg im Dezember 2016. Auf Antrag von SPD, Linke, CDU und Grünen sprach sich das Parlament für die begrenzte Aufnahme von Jesiden außerhalb des regulären Asylverfahrens aus – weil die religiöse Minderheit von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfolgt wird. Schutzbedürftige Frauen und Kinder, viele schwer traumatisiert, sollen aus Lagern im Nordirak ins Land geholt werden. Inzwischen zeichnet sich ab, dass der Beschluss auch andere Bundesländer ermutigen könnte, dabei mitzumachen – trotz Bedenken des Bundes.

Murad wurde vom IS verfolgt - und verlor 18 Angehörige

Weil sich anfangs bei der Landesregierung trotz Parlamentsauftrag wenig tat, setzt der Landtag am heutigen Mittwoch selbst ein Zeichen. Als Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen berichtet Nadia Murad zum Auftakt der Plenarsitzung über ihr Schicksal als Gefangene der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die 21-jährige Jesidin war mit ihren zwei Schwestern vor drei Jahren von der Terrormiliz aus ihrem Heimatdorf verschleppt, monatelang versklavt, vergewaltigt und gefoltert worden. Ihre Mutter und sechs ihrer Brüder wurden getötet. Insgesamt verlor Murad 18 Angehörige. Nach ihrer Flucht gelangte sie 2015 über ein Aufnahmeprogramm für 1000 traumatisierte Flüchtlinge nach Baden-Württemberg. Im Mai soll das geistliche Oberhaupt der Jesiden, Baba Sheikh, mit einer Delegation nach Potsdam in den Landtag kommen.

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Daneben werden heute auch Vertreter des Landes Baden-Württemberg erwartet. Sie sollen berichten, wie dort das Aufnahmeprogramm lief, wie zusätzlich zu dem Kontingent weitere hundert Jesiden nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein vermittelt werden konnten. Und auch, dass Baden-Württembergs Modell eines Sonderkontingents für besonders Schutzbedürftige bei Krieg und Terror weltweit diskutiert wird. Mehrere Staaten nähmen nach diesem Modell Frauen und Kinder auf, hieß es in Stuttgart. Die Vertreter Baden-Württembergs werden auch berichten, wie die Staatskanzlei in Stuttgart seit dem Landtagsbeschluss im Dezember zunächst erfolglos versucht hat, Kontakt nach Potsdam aufzunehmen. Erst, nachdem Staatskanzleichef Thomas Kralinski (SPD) im Landtagspräsidium wenig zu berichten wusste über die Umsetzung des Landtagsbeschlusses, und das Parlament die Einladung an die UN-Sonderbotschafterin Murad vorbereitete, bewegte sich etwas in der Landesregierung. Konkretes vorlegen wird die Landesregierung am Mittwoch allerdings noch nicht. Die Rede der UN-Sonderbotschafterin und des religiösen Oberhauptes der Jesiden würden aber sicherlich von großem Interesse sein für den weiteren Entscheidungsprozess.

Auf PNN-Anfrage hieß es, das Innenministerium habe damit begonnen, die Möglichkeiten des Aufnahmekontingents für Jesiden auszuloten. Ende Januar habe es Kontakt zu allen Bundesländern aufgenommen und gefragt, ob diese sich an einer humanitären Hilfsaktion des Bundes oder an einem Landesprogramm beteiligen würden, falls der Bund nicht mitmacht. Inzwischen habe der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), vorgeschlagen, das Thema auf der nächsten Sitzung der Ministerrunde im Juni zu besprechen. „Ob der Bund ein Bundesaufnahmeprogramm auflegen wird, wird sich vermutlich erst im Ergebnis dieser Innenministerkonferenz herausstellen“, hieß es in Potsdam.

Brandenburg geht vor - der Bund bremst

Das aber dürfte zu spät sein, um die vom Landtag in Potsdam gesetzte Frist bis Ende Juni einzuhalten. Nach deren Ablauf müsste das Land selbst aktiv werden. Vorsorglich gäbe es bereits Gespräche mit dem Sozialministerium, teilte das Innenministerium mit. Es seien einige, nicht ganz einfache, Fragen zu lösen.

Der Bund selbst bremst. So war es auch bei Baden-Württemberg, das dennoch alle Hürden meisterte. Das Auswärtige Amt setzt eher auf Hilfe vor Ort bei den Fluchtursachen und bei der Versorgung von Trauma-Opfern. Das Generalkonsulat im nordirakischen Erbil kann nur begrenzt Amtshilfe leisten. Zudem hegt das Außenamt Zweifel, ob Brandenburg über die Fähigkeiten – medizinisch und sprachlich – zur Behandlung Schwersttraumatisierter verfügt. Auch hat es Bedenken, ob Brandenburg die Aufgaben finanziell stemmen kann. In Baden-Württemberg waren es für 1000 Jesiden etwa 70 Millionen Euro. Hinzu kommt der Personalaufwand und Sicherheitsfragen für Landesmitarbeiter, die für die Auswahl der Betroffenen in den Nordirak reisen müssten.

Baden-Württemberg schlägt Brandenburg daher vor, sein Aufnahmeprogramm anders zu gestalten und sich Partner zu suchen, etwa das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) oder die Internationale Organisation für Migration. Anfragen anderer Bundesländer gibt es auch, viele zögern aber noch. Am Ende könnte Brandenburg, gezwungen durch den Landtagsbeschluss, den Anstoß geben für ein Programm mehrerer Bundesländer.

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