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Umstritten: die wiedereingeführte Grenzkontrollen, hier an der Stadtbrücke Frankfurt (Oder).

© dpa/Patrick Pleul

Kritik an Grenzkontrollen : Brandenburger Grüne fordern nach Studie einen Stopp

Für Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Innenminister Michael Stübgen (CDU) haben sich die neuen Grenzkontrollen bewährt. Ein Grünen-Gutachten hält das für Rhetorik.

Schärfere Binnen-Grenzkontrollen, wie sie inzwischen auch wieder an der brandenburgischen Grenze zu Polen praktiziert werden, verhindern keine irreguläre Migration. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Kurzexpertise im Auftrag der Grünen-Landtagsfraktion. Erstellt wurde sie vom Migrationsforscher Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin und der Sozialwissenschaftlerin Lea Christinck.

Die Grünen forderten nach der Präsentation des Kurzgutachtens am Dienstag einen „Einstieg in den Ausstieg“, ein Ende der Kontrollen spätestens im Sommer nach der Fußball-Europameisterschaft. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Innenminister Michael Stübgen (CDU) haben sich bereits für eine Beibehaltung ausgesprochen. Stübgen hält es erforderlich, dass sie für Jahre bleiben.

Anlass für das Gutachten waren die im Oktober 2023 nach heftigen Auseinandersetzungen wieder eingeführten stationären Grenzkontrollen nach Polen und Tschechien. In Brandenburg gibt es sie seitdem auf der Stadtbrücke in Frankfurt/Oder sowie auf den Autobahnen A12 (bei Frankfurt (Oder)) und A15 (bei Forst). Das Gutachten, das Statistiken und Verlautbarungen des Bundesinnenministeriums untersucht hat, bezweifelt deren Wirksamkeit und deren Verhältnismäßigkeit angesichts des hohen Personalaufwandes. Es sei auffällig, dass es kaum belastbare Daten gibt, die einen Erfolg belegen könnten, sagte Engler.

Dauerkontrollen nur an drei von 20 Grenzübergängen

Es werde viel behauptet, aber wenig belegt und selektiv mit Zahlen umgegangen. „Es scheint, als wären die Grenzkontrollen zu einem großen Teil ein Element politischer Kommunikation. Gemeinsam mit anderen Maßnahmen sollen sie den Eindruck von Kontrolle erwecken“, heißt es in dem 30-Seiten-Papier. „Die damit verbundenen Debatten verstärken zudem einen Diskurs der Stigmatisierung und Kriminalisierung von schutzsuchenden Menschen.“

Polizei wird an der Grenze für Symbolpolitik gebunden, obwohl sie anderswo im Land dringender gebraucht wird.

Benjamin Raschke, Grünen-Fraktionschef

Nötig sei „eine Entdramatisierung des Diskurses über irreguläre Migration“. Denn das Phänomen werde „quantitativ überschätzt“, da nur ein geringer Anteil der Migration in die EU-Staaten auf irregulärem Weg stattfinde. Nötig seien reguläre Fluchtwege. Die Frankfurter Grünen-Landtagsabgeordnete Sahra Damus wies darauf hin, dass es nur an drei der 20 Grenzübergänge in Brandenburg solche stationären Kontrollen rund um die Uhr gebe – und darüber hinaus auch eine „grüne Grenze“. Es sei eine Illusion, dass so signifikant Migration verhindert werden könne. „Dass damit weniger Menschen kommen, dürfte sehr unwahrscheinlich sein.“

Zugleich gebe es in der Grenzregion inzwischen das geflügelte Wort, dass die Bundespolizei ein „Taxidienst zur Erstaufnahme“ sei, aber eigentlich andere Aufgaben habe. Und es werde auch sehr wenig darüber diskutiert, „dass Slubice wegen unserer Kontrollen regelmäßig im Stau versinkt“. Vor allem aber hält es das Gutachten die 17.600 verhinderten unerlaubten Einreisen seit Einführung, die das Bundesinnenministerium für Deutschland verlautbarte, für problematisch. Die Zahlen wiesen darauf hin, dass dort rechtswidrig verhindert werde, einen Asylantrag zu stellen, sagte Damus. „Diese hohen Zahlen können nicht rechtskonform sein.“

Erneut Zweifel der Grünen an Bezahlkarte

Das Kurzgutachten verweist darauf, dass weder seit Jahren ausgeweitete Abwehrmaßnahmen an den EU-Außengrenzen samt befestigten Grenzanlagen, noch Berichte über äußerst gewaltsame und nicht EU-rechtskonforme Grenzschutzpraktiken zu einem Verschwinden irregulärer Migration geführt hätten. Stattdessen seien Wirkungen von Grenzkontrollen ebenso wie die anderer Instrumente – etwa die Absenkung von Sozialleistungen oder die Einführung einer Bezahlkarte – als migrationsreduzierende Mittel „äußerst zweifelhaft“, heißt es. Selbst Sicherheitsexperten würden davon ausgehen, „dass diese das Geschäftsmodell von Schleusern eher stärken“. Und Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke warnt: „Polizei wird an der Grenze für Symbolpolitik gebunden, obwohl sie anderswo im Land dringender gebraucht wird.“

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