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Sebastian Walter, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke

© dpa/Monika Skolimowska

„Kenia ist am Ende“ : Brandenburgs Oppositionsführer fordert Rücktritt von zwei Ministerinnen

Sebastian Walter über seine zerstrittene Partei, fallende Umfragewerte und einen briefeschreibenden Ministerpräsidenten. Die größte Misere aber sieht er in der Bildungspolitik.

Herr Walter, Brandenburg erlebt eine große Wirtschaftskrise. Die Linken bleiben in den Umfragen trotzdem stabil bei zehn Prozent. Warum gelingt es Ihnen nicht, von der Krise im Land zu profitieren?
Weil es uns nicht darum geht, von der Krise zu profitieren. Wir wollen die Probleme lösen, die die Menschen in ihrem alltäglichen Leben haben: Viele wissen nicht, ob sie zum Jahresende ihre Betriebskosten bezahlen können oder das Schulessen für ihre Kinder, ob ein Urlaub drin ist oder die Miete weiter steigt. Das habe ich bei meiner Kneipentour durch Brandenburg in den letzten sechs Wochen oft gehört. Ohne die Linke würde sich die Landesregierung mit diesem Problem nicht beschäftigen. Ohne uns gäbe es weder das Brandenburg-Paket noch Geld für die Tafeln. Deshalb denke ich, dass wir uns in Brandenburg darauf konzentrieren müssen, das alltägliche Leben der Menschen besser zu machen. Das ist die Verantwortung, die Politik besonders in der jetzigen Krise hat.

Aber warum wächst die Linke in den Umfragen nicht mehr?
Ich denke, dass das vor allem damit zusammenhängt, dass wir auf der Bundesebene kein gutes Bild abgeben: zerstritten und mit uns selbst beschäftigt. Aber wir wurden dafür gewählt, die Lebensverhältnisse in Deutschland besser und gerechter zu machen. Das ist unsere Aufgabe. Die Menschen wollen sich auf uns verlassen, sie wollen, dass wir eine soziale Kraft sind.

Was machen Sie auf Bundesebene, um das zu ändern?
Ich rede mit meinen Genossen und mit vielen darüber hinaus und sage immer wieder denselben Satz: Diese Partei ist kein Selbstzweck. Ego-Spielchen einiger weniger müssen endlich beendet werden. Nicht abgehoben in Diskussionsnischen, sondern tägliche Arbeit vor Ort oder im Parlament – mit Ergebnissen für Bürger:innen. Sonst werden wir nicht mehr gebraucht. Wir sind in einer der größten sozialen Krisen seit Jahrzehnten. Deshalb muss Schluss sein mit dieser Selbstbeschäftigung.

In Brandenburg treten Menschen wegen Sahra Wagenknecht aus der Linkspartei aus. Werden Sie einen Antrag auf Parteiausschluss stellen?
Sahra Wagenknecht hat erklärt, dass sie darüber nachdenkt, eine neue Partei zu gründen. Dann soll sie es tun oder ihre Spekulationen darüber beenden. Ich bin es mittlerweile leid und die übergroße Mehrheit in meiner Partei auch. Wir Brandenburger Linke werden hier jedenfalls weiterhin Politik machen: in dieser Partei und mit dieser Partei. Und die Menschen haben uns dafür gewählt.

Müssten Sie sie aber nicht trotzdem hochkant aus der Partei werfen?
Parteiausschlussverfahren sind aus unserer Geschichte heraus zurecht kompliziert und schwierig. Wenn sie über eine neue Partei nachdenken möchte, dann soll sie es tun. Aber dann ohne ihr Bundestagsmandat für die Linke, das wäre Etikettenschwindel. Frau Wagenknecht hat derzeit nur noch ein Projekt und das heißt “Sahra Wagenknecht”. Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was meine Partei manchmal macht oder sagt, aber das diskutiere ich dann gemeinsam mit meinen Parteifreunden. Am Ende zählt: Die tausenden Engagierten in dieser Partei arbeiten jeden Tag daran, dass es den Menschen in diesem Land besser geht – und zwar in der Kommune vor Ort ebenso wie hier im Landtag. Darauf können sich die Brandenburgerinnen und Brandenburger verlassen.

Mit ihrem Handeln stellt Frau Hoffmann die Verfassung und die Demokratie in Frage.

Sebastian Walter, Co-Chef der Brandenburger Linken

In Brandenburg fordern Sie den Rücktritt der CDU-Justizministerin Susanne Hoffmann. Warum?
Frau Hoffmann missbraucht ihr Amt für einen persönlichen Feldzug, den sie gegen Richter führt, die sich in der Öffentlichkeit kritisch gegen ihre Arbeitsgerichtsreform geäußert haben. Das ist mehr als ein Maulkorb, das ist unwürdig. Mit ihrem Handeln stellt Frau Hoffmann die Verfassung und die Demokratie in Frage. Zweimal hat der Richterwahlausschuss entschieden, dass sie falsch handelt und dass es keine Versetzung geben darf. Zweimal ist sie damit vor dem Richterdienstgericht gescheitert. Jetzt, wo sie keine andere Alternative sieht, versucht sie es mit einer Amtsenthebung. Da kann man freundlich sagen, sie will mit dem Kopf durch die Wand. Ich sage aber, dass sie hier versucht, mit autokratischen Zügen ihren Willen durchzusetzen. Sie handelt aus meiner Sicht verfassungswidrig, weil sie die Grundlage dieser Demokratie angreift, nämlich die Gewaltenteilung. Es ist richtig, dass wir eine richterliche Unabhängigkeit haben und dass sich eine Regierung nicht die Richter aussuchen kann. Das haben wir Gott sei Dank aus unserer Geschichte gelernt.

Für Aufsehen sorgte die Begründung der Amtsenthebung ...
Wenn Frau Hoffmann sagt, dass es schwierig wäre, Richter zu versetzen, weil sie in der DDR studiert hätten, ist das eine Degradierung von Ostdeutschen durch eine westdeutsche Ministerin in einem ostdeutschen Bundesland, da missbraucht sie ihr Amt und muss entlassen werden. Als Justizministerin ist Susanne Hoffmann auch Verfassungsministerin. Und sie setzt sich immer wieder über die Verfassung hinweg. Das alles ist keine Provinzposse mehr, sondern sorgt zurecht mittlerweile bundesweit für Schlagzeilen. Herr Woidke muss das beenden.

Das Richterdienstgericht hat in seinem Urteil selber die Amtsenthebung angeregt. Was ist daran falsch, das jetzt zu machen?
Ich sage Ihnen, das war keine Einbahnstraße. Es gab auch Angebote der Richter. Frau Hoffmann könnte die Angelegenheit ganz einfach klären, indem sie dafür sorgt, dass die beiden Richter an das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) versetzt werden. Das ist auch das, was logisch ist und sofort gemacht werden kann. Aber anscheinend will die Justizministerin hier eine persönliche Rechnung begleichen – auf dem Rücken der Verfassung, zu Lasten von zwei Menschen, die über 30 Jahre als Richter in diesem Land gearbeitet haben und am Ende auf dem Rücken der gesamten Justiz in Brandenburg. Das soll so durchgehen?

Das Argument der Ministerin ist, dass in Frankfurt nicht genug Arbeit auf die Arbeitsrichter wartet.
Wie sich die Zahlen entwickeln, kann sie überhaupt nicht einschätzen, wenn sie keine Glaskugel hat. Im Bereich des Arbeitsgerichts Frankfurt liegt mit Tesla der größte Industriearbeitgeber des Landes.

Sie selbst waren ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Eberswalde. Sind Sie in dieser Frage vielleicht etwas befangen?
Weil man im Ehrenamt gearbeitet hat, ist man doch nicht automatisch befangen! Man muss in dieser Funktion tiefer in die Problemlage einsteigen, das stimmt. Als ich in Eberswalde zwei Jahre ehrenamtlicher Arbeitsrichter war, habe ich gelernt und verstanden, was diese Arbeitsgerichtsbarkeit bedeutet, und wie wichtig sie für die Menschen in diesem Land ist. Deshalb verteidige ich auch die wohnortnahe Arbeitsgerichtbarkeit so vehement.

Eine Ministerin, die schon lange in der Kritik steht, ist Bildungsministerin Britta Ernst (SPD).
Wir alle merken es doch jeden Tag: ob als Schüler:innen, Lehrer, Eltern oder Großeltern. Dieses Thema betrifft inzwischen wie fast kein anderes alle Generationen. Wir haben in unserer Regierungszeit begonnen, massiv neue Lehrerinnen und Lehrer einzustellen und die Studienplätze auszubauen. Heute sehen wir eine Bildungsministerin, die bei diesen Fragen, einschließlich Kita, komplett versagt. Fast vierteljährlich kommt sie mit unausgereiften Plänen und Exceltabellen um die Ecke und versucht, so Bildungspolitik zu machen. Wie kommt es zu einer ihrer letzten Schnapsideen, mal eben Stellen zu kürzen, um Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten? Wir sehen doch, dass gerade an den Oberschulen mehr Kräfte gebraucht werden. Wieso werden die da abgezogen? Und nicht umsonst ist jetzt eine landesweite Kita-Petition gestartet, weil sie die Kitarechtsreform faktisch beendet hat. Ja, es ist sehr ernst, Bildungspolitik ist kein Gemüsebeet, wo man verschiedene Konstellationen von Jahr zu Jahr ausprobieren kann. Das ist ein riesiges Problem.

Wie soll es in diesem Ressort weitergehen?
Ich beobachte, dass selbst die eigene Partei das kritisch sieht. Aus meiner Sicht ist es längst Zeit zu handeln. Frau Ernst hat mehrfach bewiesen, dass sie auf einem Irrweg ist, von dem sie nicht mehr zurückfindet. Sie hat sich eingebunkert und nimmt keine Alternativen mehr wahr. Das ist ein riesiges Problem, für das am Ende die Kinder und Jugendlichen in diesem Land die Rechnung zahlen. Wir brauchen endlich wieder Planbarkeit, Kommunikation zwischen allen Beteiligten, um diese Herausforderungen zu lösen. Das ist mit Britta Ernst derzeit nicht mehr möglich.

Wir haben den Eindruck, dass der Ministerpräsident Dietmar Woidke seit vielen Monaten überhaupt nicht mehr als Regierungschef agiert, sondern an seinem Schreibtisch einsam zum Briefeschreiber an Großinvestoren geworden ist.

Sebastian Walter, Co-Chef der Brandenburger Linken

Braucht es eine generelle Umbildung in Dietmar Woidkes Kabinett? Immerhin fordern Sie schon den Rücktritt von zwei Ministerinnen.
Es geht mir nicht um Rücktrittsforderungen. Diese Koalition hat grundsätzlich fertig. Seit Anbeginn haben wir gesagt: Das ist lediglich eine Zählgemeinschaft, keine gemeinsam gestaltende Politikkraft. Immer Schritte hinterher, das hat sich doch durch drei Jahre Corona-Politik gezogen – mit Folgen bis heute. Je näher wir der Wahl im nächsten Jahr kommen, brechen diese Widersprüche immer offener aus: Umgang mit Flüchtlingen, Umgang mit Kommunen, Umgang mit dem PCK Schwedt, um mal ein paar andere Themen zu nennen. In diesem Land werden Krankenhäuser weiter privatisiert und mit den erneuerbaren Energien machen private Konzerne ihren Reibach. Hier brauchen wir eine ganz andere Richtung: Das, was wir für die Zukunft brauchen, muss in öffentliche Hand. Nur so wird eine wirtschaftliche Entwicklung von der alle profitieren überhaupt möglich.

Und was ist mit Ministerpräsident Woidke?
Wir haben den Eindruck, dass der Ministerpräsident Dietmar Woidke seit vielen Monaten überhaupt nicht mehr als Regierungschef agiert, sondern an seinem Schreibtisch einsam zum Briefeschreiber an Großinvestoren geworden ist, aber die Menschen in Brandenburg nicht mehr wahrnimmt. Stillstand, handlungsunfähig, Schachmatt: das ist mein Eindruck. Statt die Menschen konkret zu entlasten mit kostenlosem Mittagessen an Kitas und Schulen oder dem 29-Euro-Ticket für den ÖPNV wird weiter lamentiert.

Hat die Kenia-Koalition in Brandenburg noch Zukunft?
Die hatte sie aus meiner Sicht nie: Das Projekt Kenia hat nur zu Beginn funktioniert, weil viel Geld da war. Eine gemeinsame, politisch übergreifende Idee war und ist da nicht. Es wird versucht, etwas zusammenzuhalten, was politisch nicht zusammenpasst. Die Kenia-Koalition hat einen neuen Politikstil versprochen – die Alltagssorgen zu lösen und das Land zu entwickeln. Sie tut das Gegenteil: Diese Landesregierung ist eine Regierung für Milliardäre. Hier werden Probleme höchstsensibel wahrgenommen und möglichst geräuscharm beseitigt, koste es, was es wolle. Aber die Probleme vor Ort hört man kaum. Das alles zeigt, dass Kenia am Ende ist in diesem Land.

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