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Brandenburg: „Katastrophe für die Strafverfolgung“

Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg über die Folgen der Einheitsausbildung bei der Polizei für die Ermittlungen

Der Leiter der Staatsanwaltschaft in Cottbus hat kritisiert, dass es in Brandenburg eine einheitliche Ausbildung für Schutzpolizisten und Kriminalbeamte gebe. Diese Kritik ist sowohl von der Gewerkschaft der Polizei als auch vom brandenburgischen Innenministerium zurückgewiesen worden. Was sagen Sie dazu?

Der Leitende Oberstaatsanwalt Brocher hat mit seiner Kritik recht, dass die Einheitsausbildung zu schlechter qualifizierten Kriminalbeamten führt. Das ist auch der Standpunkt des Bundes Deutscher Kriminalbeamten.

Was wäre denn die Alternative?

Es muss in der Ausbildung schon von Anfang an oder jedenfalls in einem frühen Stadium danach differenziert werden, ob der Beamte als Schutzpolizist oder als Kriminalist eingesetzt werden soll.

Warum sind sich aber Herr Schuster von der Gewerkschaft der Polizei und das Innenministerium in diesem Fall ausnahmsweise einmal einig, nämlich dass es bei der Einheitsausbildung bleiben sollte?

Ganz einfach, weil eine Interessenübereinstimmung vorliegt. Für die meisten Innenministerien ist ausschlaggebend, dass die Einheitsausbildung billiger ist und Absolventen einer Einheitsausbildung vielfältiger einsetzbar sind, was mit den Schlagwörtern Flexibilität der Personalentwicklung und besseres Personalmanagement verkauft wird. Daher hatte man sich Anfang der 90er-Jahre in den meisten Bundesländern von der zuvor praktizierten getrennten Ausbildung verabschiedet und Brandenburg hat natürlich das nachgeäfft, was im Partnerland Nordrhein-Westfalen als Fortschritt propagiert wurde. Und der Gewerkschaft der Polizei, in der vor allem die Schutzpolizisten organisiert sind, war die getrennte Ausbildung schon immer ein Dorn im Auge. Dadurch wurde nämlich das in vielen deutschen TV-Krimis immer noch gern gepflegte Klischee gefördert, die Kripo sei etwas Besseres. Das war auch damals nicht ganz unberechtigt, weil die Schutzpolizisten zumeist in den mittleren Dienst und die Kriminalbeamten überwiegend in den gehobenen Dienst eingruppiert wurden.

Stimmt es denn wirklich, dass die Einheitsausbildung zu schlechter ausgebildeten Kriminalbeamten führt?

Herr Brocher hat als Staatsanwalt lange in Berlin gearbeitet, wo es keine Einheitsausbildung gibt und hat nun in Cottbus den unmittelbaren Vergleich. In Schleswig-Holstein gibt es ebenfalls die getrennte Ausbildung und als ich 1982 meine staatsanwaltliche Tätigkeit dort begann, habe ich schätzen gelernt, mit hochqualifizierten Kriminalbeamten zusammenzuarbeiten. Brandenburg hat lange noch von gut ausgebildeten DDR-Kriminalisten profitiert, doch die werden bald alle im Ruhestand sein und dann wird das Ausbildungsdefizit noch sichtbarer werden. In Niedersachsen hat kürzlich der dortige Richterbund beklagt, dass nach der Einführung der Einheitsausbildung im Jahr 1994 in den letzten Jahren das Niveau der Ermittlungsarbeit gesunken sei, und die Rückkehr zur spezialisierten Ausbildung gefordert. Die Einheitsausbildung ist ebenso eine Katastrophe für die Strafverfolgung, wie es die nun ins Gespräch gebrachte Auflösung des Landesinstituts für Rechtsmedizin wäre.

Aber es wird argumentiert, dass sich nur Brandenburg ein eigenes Institut leistet.

Das stimmt zwar, hängt aber damit zusammen, dass wir keine medizinische Fakultät im Land haben, an die in den anderen Ländern ein Institut für Rechtsmedizin angekoppelt wird.

Was sagen Sie zu dem Vorschlag, dass die Aufgaben der Rechtsmediziner von Pathologen in den Krankenhäusern übernommen werden könnten?

Vielleicht sollten sich diejenigen, die derartige Vorschläge machen, mal einen Tatort-Krimi mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers ansehen, um zu begreifen, dass Rechtsmediziner Spezialisten mit einem Aufgabengebiet sind, das sich von dem eines Pathologen erheblich unterscheidet. Wenn Sie krank sind, schickt Sie der Hausarzt ja auch zum Facharzt, wenn er sich nicht mehr kompetent genug fühlt, und wurschtelt nicht einfach weiter, weil er ja Arzt ist.

Zurück zur Polizei. Ihr düsteres Szenario wird aber nicht durch die polizeiliche Aufklärungsquote widergespiegelt. Die ist doch gar nicht so schlecht?

Das ist zwar richtig, doch besteht in der Öffentlichkeit Unklarheit über deren Aussagewert. Die polizeiliche Aufklärung einer Straftat bedeutet nämlich nicht, dass der Täter deswegen auch zur Rechenschaft gezogen wird. Tatsächlich wird eine nicht unerhebliche Anzahl der von der Polizei als aufgeklärt registrierten Straftaten bei der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil nach ihrer Bewertung die Beweise für eine Überführung des Beschuldigten vor Gericht nicht ausreichen. Und da sind wir wieder bei der Qualität polizeilicher Arbeit.

Dem Leitenden Oberstaatsanwalt Brocher ist auch vorgehalten worden, dass es die Justiz nichts angeht, wie das Innenressort die Polizei organisiert.

Das geht uns aber etwas an! Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich wieder einmal betont, dass der Schutz elementarer Rechtsgüter durch das Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren Verfassungsaufgaben sind. Dafür ist die Justiz verantwortlich, und zwar zunächst die Staatsanwaltschaft. Diese vermag die Strafverfolgung jedoch nur mithilfe der Polizei zu betreiben. Früher sprach man deshalb von „Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“, nun von „Ermittlungspersonen“. Somit hängt die Qualität der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft auch von der Qualität der Arbeit der Kriminalpolizei ab. Daher haben wir geradezu die Pflicht, uns zu Wort zu melden, wenn Mängel kriminalpolizeilicher Arbeit organisatorische Gründe haben. In Baden unterstand die Kriminalpolizei übrigens von 1879 bis 1933 nach französischem Vorbild der Fachaufsicht der Staatsanwaltschaft. Dieses viel gelobte Modell war eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen Umstrukturierungen.

Fragen: Peter Tiede

Erardo C. Rautenberg (60) ist seit 1996 Brandenburgs Generalstaatsanwalt. Zuvor war er Leitender Oberstaatsanwalt. Er wurde als Sohn deutscher Farmer in Argentinien geboren.

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