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Die Volksinitiative "Bürgernähe erhalten, Kreisreform stoppen" hat nach eigenen Angaben 129.464 Unterschriften gesammelt.

© R. Hirschberger/dpa

Kreisreform in Brandenburg: Im Winkelzug

Nicht erst mit dem Erfolg der Volksinitiative gegen die Kreisreform war Rot-Rot in der Defensive. Nun versucht es die Koalition mit einer juristischen Offensive.

Potsdam - Brandenburgs rot-rote Koalition provoziert den Verdacht, die mit 129 000 Stimmen erfolgreiche Volksinitiative gegen die umstrittene Kreisgebietsreform, die erfolgreichste Volksinitiative in der Landesgeschichte, nun mit juristischen Finessen aushebeln zu wollen. Gleich mehrfach soll nämlich auf rot-rotes Betreiben diese Initiative, die vorige Woche die Unterschriften an Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) übergab, nun vor der nötigen Entscheidung des Landtages rechtlich unter die Lupe genommen werden.

So hat die SPD-Landtagsfraktion jetzt sogar selbst ein Gutachten in Auftrag zu geben, um zu prüfen, ob die Volksinitiative zulässig ist. Und zwar „vor einigen Tagen“, wie Vize-Fraktionschef Daniel Kurth am Dienstag der SPD-Pressekonferenz nach der Sitzung der Fraktion erklärte. Wer es erstellt und wie viel es kostet, wollten Kurth und der parlamentarische Geschäftsführer, Björn Lüttmann, nicht sagen. Den allgemein anerkannten parlamentarischen Beratungsdienst des Landtages, der zu einer neutralen Bewertung verpflichtet ist, nehmen die Genossen dafür nicht in Anspruch. Es werde eine „rechtliche Bewertung für den internen Dienstgebrauch“, sagte Kurth. Ob sie veröffentlicht werde, sei offen.

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Staatskanzlei wird explizit "um eine rechtliche Bewertung" gebeten

Zum anderen bringen SPD und Linke gemeinsam einen Antrag in den am heutigen Mittwoch tagenden Hauptausschuss des Landtages ein. Mit dem Startschuss für die förmliche Befassung in Ausschüssen wird auch die Staatskanzlei explizit „um eine rechtliche Bewertung“ des Beschlusstextes der Volksinitiative gebeten. Der Hauptausschuss befasst sich am heutigen Mittwoch erstmals damit, wie mit der Volksinitiative umgegangen wird. Der Landtag selbst hat vier Monate zu entscheiden. Wenn diese von der rot-roten Koalitionsmehrheit von vornherein für unzulässig erklärt würde, so hatte die SPD einmal die Kita-Volksinitiative beerdigt, müssten die Initiatoren erst das Verfassungsgericht anrufen. Lehnt Rot-Rot wie erwartet die Volksinitiative ab, folgt ein Volksbegehren, für das 80 000 Stimmen nötig wären.

Auf den Pressekonferenzen am Dienstag hatten die Koalitionäre jedenfalls Mühe, ihre plötzliche juristische Offensive um die Kreisgebietsreform zu begründen, nachdem Landesregierung, SPD und Linke schon zuvor beim wichtigsten Projekt in dieser Legislatur politisch nicht aus der Defensive herausgekommen waren. „Es ist das ganz normale und übliche Verfahren“, sagte Kurth. „Wir holen uns rechtlichen Rat.“ Die juristische Bewertung werde eine „wichtige Grundlage“ sein, wie sich die SPD im Landtag zur Volksinitiative verhalten werde. Was am Ende stehe, sei nicht vorhersehbar, sagte Lüttmann. „Das kann in die eine oder in die andere Richtung gehen.“ Jetzt sei genau der richtige Zeitpunkt für die Überprüfung. Verwiesen wurde auch auf die letzten Volksbegehren zu Massentierhaltung und Nachtflugverbot, wo das Verfahren angeblich das gleiche gewesen sei. Bei denen hatte die SPD allerdings keine eigenen Gutachten in Auftrag gegeben.

Christoffers (Linke): Rechtliche Bewertung sei eine übliche Praxis

Die Linken wollen laut Fraktionschef Ralf Christoffers die Volksinitiative nicht rechtlich aushebeln. „Ein Versuch, eine politische Diskussion ausschließlich mit juristischen Mitteln zu beenden, ist falsch“, sagte Christoffers. Er verwies darauf, dass eine rechtliche Bewertung durch die Staatskanzlei, die die Koalition anstoße, ohnehin übliche Praxis sei. Er gehe nicht davon aus, dass es bei der Volksinitiative gegen die Kreisreform verfassungsrechtliche Probleme gebe, sagte Christoffers.

Außerhalb von SPD und Linken herrscht Verwunderung und Kopfschütteln. Vize-Landtagspräsident Dieter Dombrowski (CDU) sagte, im Landtag gebe es mit dem parlamentarischen Beratungsdienst eigenen Sach- und Fachverstand.

Senftleben (CDU): Der SPD gehe es nur noch um die Machtfrage

CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben nannte es „gerade in diesen bewegten Zeiten ein falsches Signal des Landtages insgesamt“, wenn die erste Reaktion aus dem Parlament auf 129 000 Unterschriften rechtliche Zweifel sind. „Das wird den Menschen im Land nicht gefallen. Und das fällt auf uns alle zurück.“ Das Vorgehen zeige einmal mehr, dass es der SPD „nur noch um die Machtfrage“ gehe. Landauf und landab fassten derzeit Kreistage – mit Stimmen von SPD-Abgeordneten – Beschlüsse gegen die rot-roten Pläne.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Jan Redmann, hat nur eine Erklärung für das Vorgehen von SPD und Linken: „Rot-Rot will nichts unversucht lassen, um mit Winkelzügen irgendeine undichte Stelle zu finden.“ Die Union wies darauf hin, dass es in der Geschichte bereits sieben Volksinitiativen gegen Gebietsreformen gegeben habe, die alle zulässig gewesen seien. Auch die Grünen, die die Notwendigkeit einer Reform der veralteten Strukturen aus dem Jahr 1993 bekennen und deshalb gegen die Volksinitiative waren, sehen keine juristischen Angriffspunkte. „Wir stehen nicht für Spielchen zur Verfügung, die darin bestehen, dieser Volksinitiative irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen, sodass es nicht zu einem Volksbegehren kommt“, sagte Fraktionschef Axel Vogel. „Wenn der Landtag beschließen könnte, dass alles so bleibt, wie es ist, dann kann natürlich auch die Bevölkerung beschließen, dass alles so bleibt, wie es ist.“

Vida (Freie Wähler): „Man kann diese Volksinitiative nicht ignorieren“

Und die Freien Wähler, die wie die CDU die Volksinitiative direkt mitgetragen haben, prophezeien beim Versuch, die Volksinitiative für unzulässig zu erklären, ein rot-rotes Scheitern. Landeschef Péter Vida, der auch die Gruppe BVB/Freie Wähler im Landtag führt und selbst Jurist ist, sagte: Der Text sei präzise formuliert, mehrfach geprüft. Vida: „Man kann diese Volksinitiative nicht ignorieren.“

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Die Kreisreform-Gegner würden gezielt "Fake News" verbreiten, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Er warnt vor einer Angstkampagne.

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