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Brandenburg: Gnade für den bösen Buben

Der Mönch Johann Tetzel ist seit Jahrhunderten als gieriger Gegenspieler Martin Luthers verhasst. Dabei wird seine Rolle wohl überschätzt, wie eine Ausstellung in Jüterbog zeigt.

Er ist der Bad Boy der Reformation. Ein feister Mönch im Ordenshabit der Dominikaner, Schlauheit und Schamlosigkeit im Gesicht, die Stirnglatze von einer einzigen Locke bekringelt: So wird Johann Tetzel, der umtriebige Ablassprediger und -verkäufer, seit Jahrhunderten abgebildet.

Doch ausgerechnet zum Reformationsjubiläum macht sich Jüterbog im Fläming für den prominenten Gegenspieler Martin Luthers stark. Eigentlich müssten ja gerade die Jüterboger die Geschichte vom geldgierigen Ablasskrämer weiter pflegen. Denn im Sommer 1517 brachte Tetzel in ihrem Städtchen seine Freibriefe fürs Paradies mit besonders viel Einsatz und Profit unters Volk – und gab damit den letzten Anstoß zur Reformation. Luther fühlte sich im nahen Wittenberg provoziert. Es brachte ihn derart auf die Palme, dass er seine 95 Thesen veröffentlichte.

„Doch das Bild vom Superbösewicht ist eher eine Legende, um die Figur Luthers im Gegensatz heroisch zu überhöhen“, sagt der Leiter des Jüterboger Kulturquartiers Mönchenkloster, Jens Katerwe. Gemeinsam mit Theologen, Historikern und dem Pastor der evangelischen St. Nikolaikirche im historischen Zentrum der Stadt, Bernhard Gutsche, hat er eine der spannendsten Ausstellungen in Brandenburg zum 500. Reformationsjubiläum zusammengestellt. Titel: „Tetzel – Ablass – Fegefeuer“.

Es ist der bundesweit bislang einmalige Versuch, „die reale historische Gestalt Tetzels“ herauszuarbeiten. Zugleich wird die mittelalterliche Welt der vorreformatischen Zeit mit ihrer Buntheit und Lebenslust, aber auch dem extremen Aberglauben und Mystizismus dargestellt. Und es werden Fragen beantwortet: Wie kam es in diesem Gemenge zur Glaubensrevolution? Wie ging’s weiter? Denn am Beispiel Jüterbogs lässt sich auch spannend erzählen, wie rasch manche märkischen Dörfer und Städte im Ringen um den rechten Glauben zur protestantischen Fahne wechselten.

So bekannten sich die Jüterboger Bürger schon 1518/19 zur Reformation. Der Rat der Stadt stellte lutherische Prediger an, sie hatten in der Hauptstadt des Flämings ihre erste Bewährungsprobe. Thomas Müntzer wetterte in Jüterbog von der Kanzel wider die kirchliche Prunksucht und für die Abschaffung der Leibeigenschaft, bevor er später den Bauernaufstand in Thüringen religiös anführte. Und der junge Theologe Franz Günther verkündete 1519 in St. Nikolai, der Papst sei keinesfalls Stellvertreter Gottes auf Erden. Das brachte die Mönche im Kloster des katholischen Franziskanerordens zu Jüterbog in Harnisch. Es liegt ja nur ein paar Minuten zu Fuß von St. Nikolai entfernt. Sie entsandten Spione zu den „verwerflichen“ Gottesdiensten, die alle „Irrlehren“ eifrig mitschreiben sollten. Sie protestierten heftig und predigten dagegen – der „Jüterboger Kanzelstreit“ begann. In beiden, einst rivalisierenden Bastionen dieser Auseinandersetzung wird heute die Tetzel-Ausstellung gezeigt. Im früheren Sitz der Franziskaner, dem heutigen Kulturquartier Mönchenkloster, lernt man die verführerische Argumentation des Ablasshandels kennen. Wer nicht nach seinem Tod im Fegefeuer landen wollte, brauchte nur ein paar Dukaten für begangene Sünden zu zahlen. Ein Meineid kostete neun Dukaten, Mord war etwas günstiger zu haben. Sollte man denjenigen noch gar nicht umgebracht haben, so konnten die acht Dukaten auch als Vorauszahlung geleistet werden.

Und die Gebühren waren gestaffelt, Kaufleute zahlten mehr als Handwerker oder Bauern in diesem Kaufhaus für saubere Seelen. Die Hälfte des Geldes erhielt der Papst für den Neubau des Petersdoms, die andere kassierte der hoch verschuldete Erzbischof Albrecht II. Das alles wird im Kulturquartier nun wieder lebendig. Original Ablassbriefe sind zu sehen, gruselige Illustrationen des Fegefeuers.

Und in St. Nikolai? Unter den mächtigen, mit einem Brückchen verbundenen Zwillingstürmen dieser größten gotischen Kirche des Flämings geht es Schritt um Schritt tief hinein in die mittelalterliche Frömmigkeit am Vorabend der Reformation, aber auch zu typisch lutherischen Zeugnissen. Das ist in St. Nikolai gut möglich. Denn im Gegensatz zum Schicksal etlicher anderen Kirchen der Mark Brandenburg haben reformatorische Eiferer dort im 16. Jahrhundert nicht gleich das üppige katholische Inventar hinausgeschleppt. Künstlerische Schätze beider Glaubensrichtungen sind hier ebenbürtig nebeneinander erhalten, vor allem zahlreiche Altäre und Skulpturen. Und in der Sakristei steht der drei Meter lange, aus einem Eichenstamm gefertigte „Tetzelkasten“. Allerdings: „Das ist eine Legende“, sagt Pastor Gutsche. Tatsächlich sei der Kasten „eine Art Safe“ der damaligen Gemeinde gewesen. Als Tetzelkasten werde die Truhe präsentiert, um die Raffgier des Klerus zu versinnbildlichen.

In Jüterbog wurde dieser „Kult um die sagenhafte Figur Tetzels“ erstmals auf einer Tagung von Historikern und Theologen im April des vergangenen Jahres thematisiert. Deren Ergebnisse flossen in die jetzt eröffnete Ausstellung ein. Erst um 1540, als es darum ging, die Autorität Luthers zu festigen, habe man einen plakativen Gegenspieler gebraucht und die „Negativgestalt Tetzels in gewisser Hinsicht neu erfunden“, schreibt der Berliner Theologe Hartmut Kühne im Begleitband zur Schau. Tatsächlich habe der schon 1519 verstorbene Dominikanermönch in den frühen Kämpfen und Flugschriften der Reformation gar keine Rolle mehr gespielt, er sei erstmal in Vergessenheit geraten. Heute steht Tetzel in neuem Licht dar. War er nicht eher eine Marionette höherer Strippenzieher, die vom klerikalen Finanzgeschäft viel mehr profitierten als er selbst?

Wer heute durch Jüterbog spaziert, kommt jedenfalls an Tetzel nicht vorbei. Nah beieinander, wie in einem Bilderbuch, spürt man hier noch den Hauch des Mittelalters. Und am Dammtor, dem imposantesten der vier Jüterboger Stadttore, kann man dem Bild des feisten Dominikanermönches zumindest kulinarisch eine gute Seite abgewinnen. Dort lädt das Restaurant „Tetzelstuben“ zum romantischen Dinner ein, direkt an der Stadtbefestigung.

Die Ausstellung im Mönchenkloster und in der Nikolaikirche ist bis zum 26. November täglich von 10 bis 18 Uhr (Donnerstag und Sonntag bis 19 Uhr) geöffnet, 7 Euro

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