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DGB-Bezirkschefin Katja Karger zur neuen Tarif-Kampagne für Brandenburg

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Gegen den „Beschiss“ : DGB startet Kampagne für Tarifwende in Brandenburg

Brandenburg ist trotz guter Wirtschaftsdaten ein Land von Billiglöhnen und Tarifflucht. Die Gewerkschaften wollen das nicht länger hinnehmen.

Brandenburg, inzwischen zwar Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum in Deutschland, ist nach wie vor ein Billiglohnland mit geringer Tarifbindung. Der Landesbezirk Berlin-Brandenburg des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) hat zur Landtagswahl 2024 eine Kampagne gestartet, um Landesregierung, Parteien und Wahlkreiskandidaten für eine höhere Tarifbindung im Interesse der Wählerinnen und Wähler in die Pflicht zu nehmen.

„Arbeitnehmer ohne Tariflohn haben pro Jahr 4500 Euro weniger im Portemonnaie. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden“, sagte DGB-Landesbezirkschefin Katja Karger bei der Präsentation in Potsdam. Bislang tue die Politik zu wenig. Karger forderte die Kenia-Regierung unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) auf, wie in Berlin bereits umgesetzt, eine Tariftreueklausel im Landesvergabegesetz aufzunehmen. Sie erinnerte an eine entsprechende Prüfklausel im Koalitionsvertrag und kritisierte die bisherige Verschleppungspolitik.

Zwar werben Brandenburger Landesregierungen seit 2009 – anders als vorher zur Zeit der Großen Koalition (1999 bis 2009) – nicht mehr mit niedrigen Löhnen und geringer Tarifbindung als Standortvorteil, um Investoren ins Land zu locken. Trotzdem sind in Brandenburg laut DGB nur 17 Prozent der Firmen (2022) tarifgebunden, erhalten bislang 47 Prozent der Beschäftigten Tariflöhne, während das Lohnniveau niedriger als im Westen, Arbeitszeiten oft länger sind.

Arbeitnehmer ohne Tariflohn haben pro Jahr 4500 Euro weniger im Portemonnaie. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden.

Katja Karger, DGB-Landesbezirkschefin 

Das Argument der Arbeitgeber, man orientiere sich an den Tarifverträgen, halte meistens einer genaueren Prüfung nicht stand, sagte Karger. „In orientierten Betrieben bekommen die Beschäftigten elf Prozent weniger Geld als in tarifgebundenen. Auch das ist Beschiss!“ Obwohl sich der Fachkräftemangel verschärfe, sorge das bisher nicht zum Umdenken auf Arbeitgeberseite.

EU hat Tarif-Ziel für 2024 beschlossen

Rückenwind sieht der DGB vor allem auch durch eine neue EU-Verordnung, nach der Mitgliedsstaaten unter einer Tarifbindung von 48 Prozent verpflichtet sind, bis 15. November 2024 Aktionspläne für eine Erhöhung aufzustellen. „Es sind noch 365 Tage“, sagte Karger. Eine entsprechende Countdown-Tafel werde man im Zuge der Kampagne auch auf Parteitagen präsentieren, zuerst bei der Brandenburger SPD in zwei Wochen.

Der DGB rechnete vor, dass allein in Brandenburg – Basis sind Daten des Statistischen Bundesamtes – der Schaden infolge von Tarifflucht und Lohndumping sich bei Sozialversicherungen (Rente, Pflege, Krankenkassen, Arbeitslosigkeit) auf jährlich 1,57 Milliarden Euro summiert. Dem Land entgingen dadurch 929 Millionen Euro Einkommenssteuer. Hätten alle Beschäftigten einen Tarifvertrag, würde das den Angaben nach 2,29 Milliarden Euro pro Jahr höhere Einkommen ausmachen – und zu mehr Kaufkraft im Land führen.

Potsdamer Belegschaft erkämpfe Tarifvertrag – und mehr Geld

Die Firma Airbus Defense and Space mit Sitz in Potsdam, deren 50-köpfige Belegschaft Satellitendaten auswertet, war früher so ein für Brandenburg typisches Unternehmen – mit geringem Lohnniveau, wenig Urlaub und damals noch einer 40-Stunden-Woche, berichtete Betriebsrat Sebastian Wendland. Irgendwann sei der Unmut in der Belegschaft so groß geworden, dass man sich gemeinsam mit der IG Metall zur Wehr gesetzt habe – mit Erfolg. Mittlerweile habe man die 38-Stunden-Woche, die Angleichung bei Löhnen, Eingruppierungen und Urlaub durchgesetzt. „Das war für die meisten Kollegen ein Riesen-Gehaltssprung“, sagte Wendland. Aktuell ringe man um die 35-Stunden-Woche.

Hinzu kommt das Gehalts- und Tarifgefälle, das in der Hauptstadtregion selbst existiert, mit einer Tariftreueerklärung im Berliner Vergabegesetz, aber keiner in Brandenburg. „Unseren Brandenburger Kollegen ist immer schwerer zu vermitteln, dass sie weniger verdienen als in Berlin“, sagte Jonny Löwe, Betriebsratsvorsitzender der Baufirma TRP, die in Berlin tätig ist, ihren Hauptsitz in Teltow und zwei weitere Geschäftsbereiche in Brandenburg hat. Eigentlich habe man 2024 die Angleichung durchsetzen wollen, das werde schwer.

Und die Politik, an die die Forderungen adressiert sind? Die Linken, in Brandenburg vom früheren Gewerkschaftssekretär Sebastian Walter geführt, sind für Tariftreue-Erklärungen bei Aufträgen der öffentlichen Hand. CDU-Fraktionschef Jan Redmann äußerte sich dagegen am Dienstag skeptisch-ablehnend, in Brandenburg das Vergabegesetz so wie in Berlin zu erweitern. „Ich halte wenig davon, in dieser Legislaturperiode die Berliner Regelungen zu kopieren“, sagte Redmann. Nötig seien praktikable Lösungen.

Brandenburg habe auch als erstes Bundesland den Vergabemindestlohn eingeführt, erklärte SPD-Fraktionschef Daniel Keller. Er sagte den Gewerkschaften Unterstützung zu – und kritisierte das bisherige Bremsen der Koalitionspartner. „CDU und Grüne müssen spätestens Anfang nächsten Jahres Farbe bekennen.“ Auch der DGB will nicht lockerlassen.

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