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Vernachlässigung oder höhere Gewalt? Experten werfen der Bahn vor, aufgrund mangelnder Grünpflege an den Gleisen Mitschuld am Zusammenbruch des Zugverkehrs nach dem Sturm „Xavier“ zu tragen. Am Montag nach dem Sturm fuhren in Brandenburg immer noch nicht alle Züge.

©  Bernd Settnik/dpa

Frust nach "Xavier": Es wird kein Zug kommen

Durch „Xavier“ fielen hunderte Bäume auf Gleise. Ist mangelnde Grünpflege schuld? Die Bahn weist das zurück.

Potsdam/Berlin - Selbst vier Tage nach dem Sturm „Xavier“ fuhren in Brandenburg immer noch nicht alle Züge wieder im regulären Betrieb. Zwar wurde am Montag die vielbefahrene Strecke von Berlin nach Hannover wieder freigegeben, womit auch der Regionalexpress 1 von und nach Magdeburg verkehrte. Doch von Potsdam nach Schönefeld fielen die Regios immer noch aus. Einschränkungen gab es auch weiterhin in Richtung Cottbus und Frankfurt/Oder. Zwischen Potsdam und Berlin fuhren Züge dienstagfrüh oft nur verspätet. 

Hans Leister überrascht das tagelange Chaos im Schienenverkehr der Hauptstadtregion nach dem Sturm „Xavier“ nicht – im Gegenteil. Für den früheren Regionalchef der Deutschen Bahn für Berlin und Brandenburg ist es eine zwangsläufige Folge der „dramatischen Vernachlässigung des Grünschnitts entlang der Bahntrassen“ in Deutschland. Fachleute wie er haben genau davor schon lange gewarnt. So hat Leister im September 2014 einen Beitrag in der „Eisenbahn-Revue“ veröffentlicht, der in diesen Tagen aktueller nicht sein könnte: „Vegetationskontrolle bei der Eisenbahn – ein Indikator für nachhaltige Netzbewirtschaftung“.

Warum wurde die Vegetation entlang der Bahngleise weniger kontrolliert?

In dem Beitrag für das Fachblatt ging Leister damals auf ein ähnliches „Jahrhundert-Unwetter“ wie jetzt „Xavier“ ein, bei dem am Pfingstmontag 2014 wegen umgestürzter Bäume der Bahnverkehr in Nordrhein-Westfalen tagelang zum Erliegen gekommen war. Zitat: „Dass es eine Woche dauert, bis viele tausend auf den Gleisen liegende Bäume zersägt und beseitigt sind, ist schlicht und einfach die Folge der Vernachlässigung der für einen sicheren Bahnbetrieb notwendigen Vegetationskontrolle “.

Die DB Netz, die für die Schienentrassen zuständige Bahntochter, „müsse sich fragen lassen, wieso die Vegetation entlang den Strecken über die letzten beiden Jahrzehnte nicht so kontrolliert wurde, dass eine Blockade der Bahnnetze eines ganzen Bundeslandes über eine Woche verhindert worden wäre“. Wichtig sei, dass „nunmehr die richtigen Konsequenzen gezogen werden ()“.`

Bäume an Bahngleisen: „Radikales Umdenken gefragt“

Eigentlich scheint also bekannt, was getan werden müsste. Auch die Schweiz oder Österreich machten es vor, so der Experte. „Bei der Kontrolle der Vegetation entlang der Bahnstrecken gilt das einfache Prinzip, dass kein Baum so hoch sein darf, dass er beim Umstürzen das Gleis erreichen kann oder gar in die Oberleitung fällt. Die Höhe der Gewächse darf also die Entfernung zum Beginn des Gleisbereiches nicht überschreiten“, so Leister in dem Fachbeitrag aus dem Jahr 2014. „Wenn das Gehölz kurz genug gehalten wird, kann es keinen Schaden anrichten.“ Dass das Prinzip auch bei der DB Netz bekannt ist, konnte Leister anhand einer Schulungsunterlage belegen, nach der neben den Gleisen eine „zwei bis vier Meter breite gehölzfreie Zone“ und dann eine vier bis sechs Meter breite „strauchartige Zone“ folgen sollte: Dann würden entlang der Bahnstrecken erst Bäume zehn Meter von den Gleisen entfernt stehen. Sein Kommentar damals: „Schön wär’s, wenn deutsche Bahnstrecken so instandgehalten würden.“

Den Handlungsbedarf beschrieb Leister so: „In einer großen bundesweiten Kraftanstrengung sind die Bereiche entlang der Bahnstrecken nach den Richtlinien eines sicheren Bahnbetriebes freizuschneiden: Die Bäume dürfen nicht höher sein als die Entfernung zum Bahnkörper.“ Es sei „ein radikales Umdenken gefragt.“ Das war schon 2014 das Petitum des früheren Bahn-Regionalschefs, der inzwischen Bus- und Bahnunternehmen berät und Studien zum Nahverkehr in Berlin und Brandenburg erstellt. Passiert ist nichts, aus Kostengründen. Nach „Xavier“ und seinen Folgen in Berlin und Brandenburg sagt Leister: „Jeder Satz gilt heute noch, leider.“

Bahnmitarbeiter nehmen die Stämme von Gleisen auf, zersägen sie und deponieren sie an Bahndämmen

Die Bahn wies die Kritik, sie habe den Grünschnitt entlang der Strecken in den vergangenen Jahren vernachlässigt, zurück. Mindestens sechs Meter neben den Gleisen würden freigehalten, sagte ein Sprecher. An besonders gefährdeten Stellen würden alle Bäume gefällt, die bei einem Umfallen das Gleis erreichen können.

Dennoch ist der Bahnverkehr noch auf acht Linien im Regionalverkehr eingeschränkt. Zwischen Cottbus und Königs Wusterhausen fahren als Ersatz weiter Busse – wie auch zwischen Flughafen Schönefeld und Wünsdorf-Waldstadt. Keinen Verkehr gibt es auch auf dem westlichen Außenring bei den Linien RE 6 und RB 20. Auf einem drei Kilometer langen Schienenabschnitt zwischen Schönwalde und Hennigsdorf (Oberhavel) waren beispielsweise nach dem Durchzug des Sturms 40 Pappeln auf die Schienen und Gleise gefallen. Dadurch wurden nach Angaben eines Bahnsprechers 20 Ausleger und Oberleitungsmasten beschädigt und zwei der etwa sechs Meter hohen Masten sogar durch fallende Bäume umgebrochen. Mit einem Baufahrzeug fahren die Bahnmitarbeiter Meter für Meter der Strecke ab. Sie nehmen Stämme von den Gleisen auf, zersägen sie und deponieren sie zunächst an den Bahndämmen. Dann müssten die Oberleitungsmasten repariert werden. Insgesamt seien rund 1000 Kilometer der Bahninfrastruktur beschädigt worden, hieß es. „Schäden in dieser Intensität am Bahnstreckennetz sind eine große Herausforderung“, sagte der Sprecher.

Betreten der Wälder immer noch "lebensgefährlich"

Im Fernverkehr mit Hamburg geht es immer noch nur eingleisig – und mit gedrosseltem Tempo – Richtung Berlin. Gen Hamburg müssen die Züge über Stendal fahren, was die Fahrt um rund eine Stunde verlängert. Wann die Strecken wieder frei sein werden, lasse sich nicht prognostizieren, so der Sprecher.

Die Landesstraßen in Brandenburg dagegen seien im Wesentlichen frei, auch wenn die Aufräumarbeiten noch nicht abgeschlossen seien, sagte Steffen Streu, Sprecher des Infrastrukturministeriums, auf Anfrage. Voraussichtlich ab dem heutigen Dienstag ist der Abschnitt auf der Landesstraße L22 zwischen Schönermark und Altlüdersdorf (Oberhavel) wieder befahrbar. Gesperrt bleibt voraussichtlich bis zum Wochenende noch die Landesstraße L12 in der Prignitz zwischen den Ortschaften Laaslich und Lenzersilge. Holz müsse immer noch beiseite geräumt werden. Nach einer ersten Bilanz waren in Südbrandenburg 800 bis 1000 Bäume umgestürzt, im Westen des Landes 600 und im Osten etwa 650.

In Berlin sind nach Schätzungen der Senatsumweltverwaltung mindestens 20 000 Bäume in den Berliner Wäldern umgestürzt oder stark beschädigt worden. Das Betreten der Wälder sei immer noch lebensgefährlich. (mit dpa)

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