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Klara Geywitz

© Kay Nietfeld/dpa

Interview mit Klara Geywitz: "Es ist keine Schlangengrube"

Die Potsdamerin Klara Geywitz wollte SPD-Vorsitzende werden und scheiterte. Was jetzt? Ein Interview über Bundespolitik, Niederlagen, Fehler und die nahe Zukunft der Politikerin.

Frau Geywitz, wie viele Stunden haben Sie in der Nacht zum Sonntag geschlafen?
Zum Sonntag? Ganz normal. Ich bin ins Bett gegangen und morgens wieder aufgestanden.

Das Mitgliedervotum der SPD gleicht einem politischen Orkan – und Sie können innerlich ganz ruhig bleiben?
Samstagabend war ich schon ziemlich angefasst. Das Ergebnis hatte ich so nicht erwartet. Ich hatte gehofft, dass Olaf Scholz und ich es schaffen. Aber ich neige nicht zu Hektik in solchen Situationen.

Die in Brandenburgs Politik bekannte Geywitz’sche Gelassenheit also – gern gepaart mit ein wenig Ironie?
Naja, lustig fand ich es Samstagabend ganz und gar nicht. Aber ich wusste natürlich auch, dass viele Mitglieder es am Fernseher verfolgen, wie wir auf das Ergebnis reagieren. Deswegen war mir das Wichtigste, dass sie sehen, dass die Welt jetzt nicht untergeht – und zweitens, dass die Botschaft von Olaf Scholz und mir ist: Wir akzeptieren das Votum und machen alles, um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu stärken.

Klara Geywitz und Olaf Scholtz zusammen mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken (von links), die Sieger des Mitgliedervotums der SPD am 30. November 2019.
Klara Geywitz und Olaf Scholtz zusammen mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken (von links), die Sieger des Mitgliedervotums der SPD am 30. November 2019.

© Fabrizio Bensch/ reuters

Die ostdeutschen SPD-Verbände haben Sie einstimmig für eines der drei Ämter als Vize-Bundesparteichefin nominiert. Sie stellen sich zur Wahl?
Ich habe seit Sonntag über das Für und Wider nachgedacht und freue mich, dass die ostdeutschen Landesverbände finden, dass ich ihre Interessen gut vertreten kann. Das nehme ich gern als Unterstützung, anzutreten.

Sie sind also vermutlich ab dem Wochenende eine von drei Vize-Bundesvorsitzenden der SPD. Wäre damit die Frage, wie es für Sie persönlich weitergeht, schon beantwortet?
Das wäre eine große Aufgabe, denn ich habe zwei Ziele: Erstens gucken, wie wir in den ostdeutschen Bundesländern die SPD wieder stark machen – das ist sehr viel strukturelle Arbeit. Zweitens mit der SPD ein Programm für die Gleichstellung von Männern und Frauen für das nächste Jahrzehnt aufzustellen, das die Gleichstellung in Deutschland einen großen Schritt voranbringt.

Sie machen weiter wie selbstverständlich. Hatten Sie nach der Niederlage vom Samstag auch den Impuls, sich aus der Politik erst einmal zurückzuziehen?
Samstagabend auf der Rückfahrt in der S-Bahn habe ich überlegt, ob ich jetzt mal eine Pause von der Politik und etwas ganz anderes mache. Dann habe ich aber ganz viele Anrufe gekriegt von Menschen, die Olaf Scholz und mich gewählt haben und die gesagt haben, sie wollen unsere Ansätze weiter in der SPD vertreten sehen. Dazu kamen die ostdeutschen Landesverbände, die gern wollen, dass ich für sie antrete. Das hat mich bewogen zu sagen: Okay, das ist nach wie vor Deine Partei, Du willst sie stärken – dann bringst Du Dich jetzt an der Stelle ein. Auch weil dies für die SPD eine relativ heikle Situation ist und ich möchte, dass wir da gut durchkommen.

Sie haben im September überraschend das Brandenburger Landtagsmandat verloren, nun das Votum um den SPD-Bundesvorsitz – was treibt Sie politisch an, dass Sie aufstehen und weiter machen?
Der Verlust meines Landtagsmandats am 1. September hat mich weniger überrascht als das Votum von Samstag. Zur Landtagswahl gab es Umfragen, wonach klar war, dass die Grünen in meinem Wahlkreis 21 ganz stark sind. Ich habe versucht, dagegen anzukämpfen, und habe auch ordentlich zugelegt an Stimmen. Es hat dann knapp nicht gereicht. Angesichts der Umfragewerte vorher fand ich das nicht so niederschmetternd. Das Ergebnis des Mitgliedervotums hat mich dagegen doch überrascht …

Und doch machen Sie weiter.
Meine Motivation jetzt ganz konkret für die SPD ist: Die SPD als Partei wird gebraucht – gerade, um den Zusammenhalt einer Gesellschaft, die auseinanderdriftet, zu stärken. Zudem gucken jetzt viele SPD-Mitglieder natürlich, ob wir Saskia und Norbert nun wirklich unterstützen – und ob der Politikansatz, den wir in unserer Kandidatur vorgestellt haben, noch vorkommt. Beides ist wichtig.

Erst die Landtagswahl, jetzt das SPD-Votum: Gibt es einen Schluss, den Sie über das Persönliche hinaus aus den politischen Niederlagen ziehen?
Es waren ja zwei Wahlen in sehr unterschiedlichen Bereichen. In Potsdam hat das Ergebnis bei der Landtagswahl gezeigt, wie stark die Stadt sich geändert hat – und zwar nicht nur im Wahlkreis 21. Wir haben von diesen Veränderungen zweimal auch profitiert, das eine Mal bei Saskia Ludwig (CDU), das andere Mal bei Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke)

… beide galten als Favoriten, doch die SPD-Kandidaten Uwe Adler und Daniel Keller gewannen überraschend …
… und bei mir hat die Veränderung in der Zusammensetzung der Bevölkerung leider dazu geführt, dass ich verloren habe. Und bei der SPD war es nun wohl auch der Wunsch nach Veränderung. Das Votum ist Ausdruck dafür, dass die Mitglieder jetzt etwas anderes wollten als das vermeintliche Weiter-So – auch wenn Olaf Scholz und ich versucht haben klar zu machen, dass es nicht nur ums Weiter-So geht.

Also Niederlage weggesteckt. So einfach geht das?
Politik ist ein Bereich der Gesellschaft, der von sehr hohem Wettbewerbscharakter gekennzeichnet ist. Das ist manchmal schön – wenn man gewinnt – und manchmal ist es auch sehr, sehr schlimm: Wenn man verliert. Es ist ja nicht so, dass ich in den vielen Jahren in der Politik immer gewonnen habe, und deswegen weiß ich, dass das dazugehört und man kein schlechter Mensch wird, weil man mal eine Wahl verliert. Und es gibt einige, die haben Wahlen gewonnen, weil die Umstände günstig waren. Das ist wohl am allerhärtesten in der Politik: Zu begreifen, dass es keinen direkten Zusammenhang gibt zwischen Leistung und Belohnung.

Können Sie sich an Ihre erste verlorene Wahl noch erinnern?
Ja, das war als Potsdamer Stadtverordnete, Anfang 2000. Da bin ich bei der Wahl um den Fraktionsvorsitz gegen Andreas Mühlberg gescheitert. Das war meine erste veritable Niederlage, die dann auch in der Zeitung stand.

Was nehmen Sie aus der Zeit der Kandidatur um den Bundesvorsitz mit, zu der 23 Regionalkonferenzen in sechs Wochen gehörten?
Die Kandidatur hat meine Kenntnis der deutschen Geographie sprunghaft vorangebracht – und ich kenne jetzt sehr viele Stadthallen aus den 1970er-Jahren in Westdeutschland mit unterschiedlichsten Beleuchtungskonzepten. Und, was für eine brandenburgische Politikerin auch neu und interessant war: Ich weiß jetzt, wie es ist, wenn Du jeden Abend vor 1000 bis 1200 Leuten auftrittst. Das hat man bei uns ja doch eher weniger.

Bundespolitik ist eine ganz andere Liga?
Ehrlich gesagt: Nein. Deutschland ist natürlich größer als Brandenburg, die Strecken sind weiter, es sind nicht 15 Journalisten, sondern gefühlt 1500. Aber ansonsten ist es nicht so schrecklich, wie das oft gesagt wird. Es ist keine Schlangengrube. Ich bin eher positiv überrascht über das gute Miteinander, das es gibt.

Was war in der Zeit der Regionalkonferenz-Tour das erstaunlichste oder skurrilste Erlebnis?
Das Lustigste war: Die sieben Teams, die es ja am Anfang waren, haben sich oft in unterschiedlichen Konstellationen nachts auf irgendwelchen Bahnhöfen getroffen und sind dann im ICE irgendwohin gefahren. Ich habe bestimmt zehnmal das Chili Con Carne im DB-Bistro gegessen – das hatte dann manchmal schon ein bisschen was von Klassenfahrt.

Welche Fehler haben Sie gemacht?
Ich habe mich hinterher manchmal gefragt: Hättest Du lauter, lustiger, energischer oder populärer das eine oder das andere sagen sollen? Aber zum einen kommt man in meinem hohen Alter nicht immer aus sich heraus – und kann sich auch nicht mehr grundlegend verändern. Und zum anderen bin ich ja in brandenburgischer SPD-Tradition groß geworden. Das heißt, man darf vor Wahlen niemals etwas versprechen, was man hinterher nicht halten kann oder das nicht realistisch ist. Das hat mich doch sehr geprägt.

Sie haben als Stadtverordnete in Potsdam begonnen, sich lange auf der kommunalen Ebene eingebracht. Was haben Sie aus dieser Zeit bis heute mitgenommen?
1998 war das, zusammen mit dem jungen Mike Schubert. Es war eine sehr gute Verwaltungsschulung. Ich wurde Vorsitzende des Ordnungsausschusses und musste von der Friedhofsgebührensatzung bis zur Straßenreinigungsgebührensatzung sehr viele Sachen machen. Und wenn man sich erstmal mit dem Besitzer eines Eckgrundstücks über die Kosten für Straßenreinigung unterhält, dann weiß man, dass Politik manchmal sehr, sehr konkret ist und man sich die Vorlagen gut angucken muss. Dass es nicht nur ein abstraktes Ziel gibt – in diesem Fall, wir wollen es sauber haben – sondern dass das dann heißt: Ja wie denn, was kostet das, was heißt das für jeden Bürger? Ich habe gelernt, dass die Forderungen immer einen ganz konkreten Einfluss auf das Leben von vielen haben. Kommunalpolitik eine gute Schule, weil sie ein sehr breites Rüstzeug mitgibt.

In der brandenburgischen Landespolitik, in der Sie dann aktiv waren, ist gerade eine neue Landesregierung gebildet worden. Sie wären sicher eine Kandidatin für ein Ministeramt der SPD gewesen – wäre da nicht diese Kandidatur um den Bundesvorsitz gewesen. Haben Sie im Nachhinein gedacht: Schade eigentlich?
Nein. Die SPD Brandenburg hat es mal wieder allen gezeigt, die vor der Wahl geschrieben haben, wir seien personell ausgebrannt. Wir haben jetzt eine junge tolle Mannschaft in der Regierung und eine komplette Neuaufstellung in der Fraktion, das finde ich wunderbar.

Sie sehen Ihre politische Zukunft also auf der Bundesebene – oder in Brandenburg?
Beides. Ich kandidiere um den Vize-Bundesvorsitz, um die Interessen von Ostdeutschland zu vertreten – und Brandenburg zählt ja wohl dazu. Ich habe am Montag auch mit Dietmar Woidke telefoniert, der mich dabei unterstützt. Zum Beispiel bei der Umsetzung des Kohleausstiegsgesetzes muss gut in Berlin aufgepasst werden. Es ist wichtig, dass wir da stark vertreten sind.

Das könnte noch besser funktionieren, wenn Sie um ein Bundestagsmandat kandidieren würden – und da Manja Schüle nunmehr Ministerin in Brandenburg ist, ist der Potsdamer Wahlkreis in der SPD vakant.
Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass man mit dem Plänemachen in der Politik sehr, sehr vorsichtig sein sollte. Deswegen konzentriere ich mich jetzt erst einmal auf den Parteitag dieses Wochenende – und der Rest wird sich zeigen.

Haben Sie in Potsdam Reaktionen auf die Kandidatur und den Ausgang des Votums erreicht, über die SPD-Kreise hinaus?
Es haben mich ganz viele auf der Straße angesprochen. Und als ich mir neulich eine Currywurst mit Pommes und Mayo gezogen habe – da stupste mich einer an und sagte: Frau Geywitz, bei dem, was Sie vorhaben, müssen Sie sich aber gesünder ernähren! Hinreißend fürsorglich.

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