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Vor Gericht. Das Kopftuch beschäftigt immer wieder die Justiz. Der Fall vom Amtsgericht Luckenwalde dürfte jedoch bislang einmalig sein.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Brandenburg: Der Fall Luckenwalde: Emanzipation mit Kopftuch

Der Streit um ein Kopftuch am Amtsgericht Luckenwalde in Brandenburg zeigt: Muslimischen Frauen bietet Deutschland die Chance, sich zu emanzipieren – ein Problem für ihre Männer.

Potsdam/Luckenwalde - Der Streit um das Kopftuchverbot am brandenburgischen Amtsgericht Luckenwalde geht in die nächste Runde. Dort muss nun über ein Befangenheitsantrag gegen einen Familienrichter entschieden werden. Der hatte einer Syrerin untersagt, vor Gericht zu ihrem Scheidungsverfahren mit Kopftuch zu erscheinen. Gestellt hat den Antrag die Berliner Anwältin Najat Abokal. Sie hält die Anordnung des Luckenwalder Richters für verfassungswidrig.

Der Fall hatte nach Berichten von PNN und „Legal Tribune“ deutschlandweit Entsetzen ausgelöst. Selbst eine Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG) in Brandenburg/Havel sagte nun, das Kopftuchverbot sei nur schwer mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in Einklang zu bringen. Damit gehört sie noch zu den zurückhaltenden Stimmen.

Und es geht es um viel mehr als um Religionsfreiheit. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein ganz anderes wachsendes Problem: Frauen, Muslimas, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen und sich nun emanzipieren – von ihren Männern und den traditionellen Rollen in den Familien. Es geht um die Selbstbestimmung von Frauen, wie die Brandenburger Grünen-Landeschefin Petra Budke sagt. „Eine Muslima muss in Deutschland auch mit Kopftuch vor Gericht erscheinen können, zumal wenn sie sich scheiden lassen will.“

Die Frauen würden ihre Chancen besser nutzen

Die Gerichte seien mit einer steigenden Zahl von Scheidungen und Sorgerechtsverfahren aus Flüchtlingsfamilien konfrontiert, aber nicht darauf vorbereitet, berichtet Anwältin Abokal. Immer mehr Frauen aus muslimischen Ländern ließen sich scheiden und gingen gegen ihre Männer vor. „Gewalt ist ein Hauptgrund für die Entscheidungen der Frauen“, sagt Abokal. „Die Frauen trauen sich mehr, dank des Rechtsstaats.“

Die Anwältin zeichnet aus ihren Erfahrungen ein klares Bild: Die Frauen würden ihre Chancen besser nutzen, lernten schneller Deutsch, kümmern sich um die Kinder. Die Männer hingegen waren in der Heimat „die großen Starken“, die gearbeitet und das Geld herangeschafft hätten. Die Frauen hingegen wüssten inzwischen, dass sie sich nicht mehr von ihren Männern abhängig machen, bei Sozialleistungen nicht mehr ihren Gatten anbetteln müssten. Sondern dass sie mit ihren Kindern auch ohne Mann zurechtkommen. „Sie nutzen ihre Rechte“, sagte Abokal. Sie weiß, wovon sie spricht: Sie selbst wuchs in in Casablanca, Marokko auf, kam 1997 nach Deutschland, um Jura in Berlin zu studieren. „Ich kenne beide Kulturen sehr gut“, sagt sie.

Die Familienrechtlerin hat häufig auch mit Fällen zu tun, bei denen es um Sorge- und Umgangsrechte für Kinder geht. Und um Männer aus muslimischen Ländern, die „nicht verstehen, dass man hier keine Menschen schlagen darf“, auch nicht die eigenen Kinder. Die meisten Männer würden gar nicht verstehen, wenn Gerichte oder Jugendämter ein Umgangsverbot aussprechen. Sie würden hilflos reagieren, wüssten nicht, wie sie sich verhalten sollen, beschwerten sich: dass die Bundesrepublik ein Land ist, das Frauen beschützt. „Die ganze Denkweise wird sich nicht so schnell verändern“, sagt Abokal.

Lebensbedrohliche Situationen und die Gewalt der Männer

In wenigen Fällen, sagt sie, „drehen die Männer auch durch“. Dann kommt es zu lebensbedrohlichen Situationen für die Frauen. Jüngstes Beispiel: In Cottbus landete vor einer Woche ein Palästinenser in Untersuchungshaft – wegen versuchten Totschlags an seiner Ehefrau. Die 21-Jährige war mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Sie landeten in Brandenburg. Dort lernte die junge Frau auch ihren Mann kennen, Anfang 2017 heirateten sie. Nun wollte sie mit ihrem Bruder nach Berlin fahren, Freunde besuchen. Ihr Mann rastete aus – aus Angst vor Untreue.

In einem anderen Fall muss sich derzeit ein Mann aus Libyen vor dem Landgericht Potsdam wegen versuchten Mordes verantworten. Er hatte seine 36 Jahre alte Frau, mit der er nach Deutschland geflüchtet war, Anfang des Jahres niedergestochen. Sie wollte sich von ihm scheiden lassen, denn er hatte sie geschlagen, seine 16-jährige Tochter sexuell belästigt, Alkoholprobleme obendrein. Auch diese Frau wohnt in Luckenwalde. Auch sie trägt ein Kopftuch.

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