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Maria Schella an der Wagner-Orgel in der Angermünder Marienkirche.

© dpa/Patrick Pleul

Eine „göttliche Fügung“: Eine Studentin rettet die Adventszeit in Angermünde

Gottesdienste ohne Orgelmusik, Weihnachten ohne Gesang - in Kirchengemeinden undenkbar. In Angermünde drohte ohne Kantor genau das. Nun springt eine angehende Kirchenmusikerin ein.

Von Jeanette Bederke, dpa

Maria Schella zieht so einige der 35 Register. Die 25-Jährige sitzt vor der riesigen barocken Wagner-Orgel in der Angermünder Marienkirche (Uckermark) und greift gekonnt in die Tasten. Sofort ist das Kirchenschiff von orchestral anmutender Musik erfüllt. „Im Studium lernen wir das Improvisieren an der Orgel in verschiedenen Stilrichtungen, können so viel selbst gestalten“, erklärt die zierliche junge Frau.

Improvisieren muss auch die evangelische Kirchengemeinde Angermünde mit ihren rund 2000 Mitgliedern. Ihr fehlt seit dem Herbst ein Kantor.

„Nicht jeden Menschen erreichen wir mit dem gesprochenen Wort. Kirchenmusik ist die Ansprache an die Seele“, sagt der Angermünder Pfarrer Jonathan Schmidt und macht damit deutlich, warum die Gemeinde die Stelle dringend wieder besetzen wollte und bereits um die musikalische Adventszeit, die Christ-Mette und den Jahresausklang fürchtete. „Auch in der Kirche macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar“, sagt der Pfarrer.

Es fehlen Kantoren

Das kann Günter Brick, Vize-Landeskirchenmusikdirektor bei der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, bestätigen. „Die Bewerberzahlen gehen allgemein zurück. Je weiter weg die Kantorenstellen von großen Städten liegen, umso schwieriger wird es“, stellt er die Brisanz dar.

In Angermünde habe es durchaus Interessenten gegeben, sagt Holger Schella, zuständig für die Koordinierung der Kirchenmusik in der Gemeinde. „Diese Bewerber wollten allerdings in erster Linie die große, alte Wagner-Orgel in der Marienkirche spielen. Doch wir haben 21 Kirchen mit Instrumenten im Pfarrsprengel, um die sich der Kantor ebenfalls kümmern muss. Ganz zu schweigen von der sozialen Arbeit“, erklärt er.

Das aber lehnten die Interessenten ab und verschwanden wieder. Für Schella, der in der Gemeinde organisiert, ein echtes Dilemma. „Die Kirchenmusik ist der Spiegel des Gemeindelebens und stärkt das Miteinander“, ist er überzeugt.

Doch dann gab es eine „göttliche Fügung“, wie es der Pfarrer nennt: Schella brachte seine Tochter Maria ins Spiel, die im nächsten Jahr ihr Studium der Kirchenmusik an der Berliner Hochschule der Künste beendet.

„Ich habe meinen Vater schon früher bei seiner Arbeit in den kleinen Kirchen der Uckermark begleitet, sprang sogar als Organistin bei Gottesdiensten ein“, erinnert sich die musikalische Frau, die seit ihrem siebten Lebensjahr Klavier spielt und seit 2017 Orgelunterricht bekommt. Der Studienabschluss, so erzählt sie, ermögliche mehrere Berufsmöglichkeiten - Organist, Chorleiter oder Kantor.

Maria Schella im Inneren der Wagner-Orgel in der Angermünder Marienkirche.

© dpa/Patrick Pleul

Maria, in der Uckermark aufgewachsen, wollte schon immer Kirchenmusikerin werden und in einer Kirchengemeinde arbeiten, wie sie sagt. Dass sie trotz Studiums und Lebens in Berlin tatsächlich in die Brandenburger Provinz zurückkehrt, hatte sie so nicht geplant. Doch die Not der Angermünder Gemeinde ließ sie umdenken: „Ich bin eingesprungen, weil die Leute dafür unendlich dankbar sind“, hat sie beobachtet und legt sich ins Zeug - mit musikalischen Andachten und der Orgelbegleitung zu Gottesdiensten auch in den kleineren Kirchen des Pfarrsprengels.

Jeden Mittwoch ist sie in Angermünde, um zunächst mit den Kindern in der evangelischen Kita zu musizieren und am Nachmittag sowie am Abend Kinder- und Posaunenchor zu betreuen.

Jonathan Schmidt, Pfarrer und Maria Schella, Studentin der Kirchenmusik.

© dpa/Patrick Pleul

Dank Maria Schella ist Weihnachten in der Angermünder Kirchengemeinde nun gerettet. Bereits am 17. Dezember gestaltet die Studentin ein Adventskonzert in der 450 Plätze bietenden Marienkirche - mit Orgel, Kinder-, Posaunen- und Kirchenchor. Am Heiligen Abend begleitet sie mehrere Gottesdienste im Pfarrsprengel, bevor um 22.00 Uhr in der Marienkirche Musik zur Christnacht erklingt. Und auch am Silvesterabend, um 23.00 Uhr, gestaltet sie ein Konzert für Orgel und Trompeten in dem mittelalterlichen Gotteshaus. „Das nächste Jahr ist auch schon durchgeplant - mit musikalischen Gottesdiensten und monatlich zwei Konzerten“, sagt ihr Vater stolz.

Tourismusverein ist erleichtert

Erleichtert ist Johanna Henschel, Chefin des Angermünder Tourismusvereins, die eng mit der Kirchengemeinde zusammenarbeitet. „Wir sind dankbar für diese tolle Lösung, denn wir erwarten gerade zu Weihnachten und dem Jahreswechsel viele Gäste, die gern die Konzerte in der Marienkirche besuchen“, sagt sie. Gern würde Maria Schella die Angermünder Kantorenstelle nach dem Studienabschluss im nächsten Jahr übernehmen.

Maria Schellaan der Wagner-Orgel in der Angermünder Marienkirche.

© dpa/Patrick Pleul

Doch zunächst werde der Posten ordnungsgemäß ausgeschrieben, erklärt Pfarrer Schmidt. „Dafür blieb nach dem überstürzten Abgang der bisherigen Kantorin keine Zeit, aber wir werden das nachholen.“ Maria, die sich auf jeden Fall bewerben will, rechnet er gute Chancen aus. Die 25-Jährige zeigt sich froh über die Gelegenheit, bereits jetzt schon praktische Erfahrungen sammeln zu können.

Und sie genießt sichtbar das Spielgefühl auf der Wagner-Orgel aus dem 18. Jahrhundert. „Das ist ein Instrument mit vielen Feinheiten und Klangfarben“, schwärmt die angehende Kirchenmusikerin. Die Orgel biete zudem etwas fürs Auge, auch wenn sie dringend restauriert werden müsse, ergänzt Vater Schella. „Zwei Posaunenengel heben ihre Trompeten, zwei weitere hauen auf Kesselpauken, wenn der Organist die entsprechenden Hebel oder Pedale bewegt“, erklärt er und sammelt eifrig Spenden für eine Orgel-Schönheitskur im nächsten Jahr.

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