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09.03.2012: 3000 Menschen nehmen Abschied von Jusef El-A. -

© dpa

Erstochener Jugendlicher: Dreitausend Trauernde nehmen Abschied von Jusef El-A.

Der 18-Jährige Jusef El-A. wurde in Berlin-Neukölln erstochen – nun fand die Trauerfeier statt. Zum Friedhof kamen so viele Menschen, dass die Polizei die Straße sperren musste.

Der Himmel ist grau, und über Neukölln liegt eine beklemmende Stille. Dabei sind doch etliche Menschen hier in der Flughafenstraße unterwegs. Fast nur Männer, sie alle schwarz gekleidet, Polizeiangaben zufolge rund 3000 Menschen. Es sind so viele gekommen, dass die Polizei schließlich die gesamte Straße sperren muss und die BVG ihre Busse umleitet. „Es gibt keinen Gott außer Allah!“, skandieren ein paar Männer und immer mehr stimmen ein. „Es gibt keinen Gott außer Allah!“

Dann heben sie den Holzsarg aus dem silbernen Fahrzeug, das eben noch vorangerollt ist, ganz langsam vor den 3000 Menschen, und tragen ihn die letzten Meter auf den Friedhof.

In dem Sarg liegt der Leichnam von Jusef El-A. Dann ertönt ein Klagelied über den Dächern Neuköllns.

Es ist eine bewegende Trauerfeier, die an diesem Freitagnachmittag in der Flughafenstraße stattfindet. 3000 Männer, mit so vielen hatten sie gar nicht gerechnet, auch nicht die Polizei. In der islamischen Begegnungsstätte in der Flughafenstraße hatten die engsten Verwandten zuvor still Abschied genommen, der Friedhof an der Sehitlik Moschee befindet sich nicht weit entfernt, vielleicht 400 Meter. Um sich ein Bild davon zu machen, wie der Leichnam nach islamischer Tradition ins Grab gelegt wird, klettern einige Männer sogar in die Bäume.

Jusef El-A. war am Sonntag nach einer Auseinandersetzung in der Fritzi-Massary-Straße durch einen Messerstich getötet worden. Viele, die den 18-Jährigen kannten, sind an diesem Freitagnachmittag erschienen. Die Familie, viele Freunde aus der „Weißen Siedlung“, wie das Hochhausviertel nahe der Sonnenallee genannt wird.

In die Trauer der Freunde und Angehörige mischt sich auch Wut. Der mutmaßliche Messerstecher Sven N., 34, ist nach der Tat wieder auf freiem Fuß. Gegen ihn war kein Haftbefehl erlassen worden, weil die Staatsanwaltschaft derzeit von Notwehr ausgeht.

Wie sich das Ganze am Ende des Verfahrens darstellt, ist allerdings noch nicht abzusehen. Sollte nach Abschluss der Ermittlungen zweifelsfrei feststehen, dass es Notwehr war, wird das Verfahren eingestellt. Wenn dies nicht der Fall ist, käme es auch zur Anklage, erklärt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Silke Becker.

Seit Sonntag waren tagtäglich bis tief in die Nacht Trauernde an den Tatort in der Fritzi-Massary-Straße gekommen, um Blumen und Kerzen für den toten Jusef El-A. niederzulegen. Dies allerdings stößt bei den Anwohnern auf Unbehagen: Bei einer Informationsveranstaltung der Polizei im Wohngebiet rund um den Tatort klagten viele der Bewohner, dass die Situation für sie belastend sei. Stets seien sie mit den furchtbaren Geschehnissen konfrontiert, einige fühlen sich zudem von den Menschenmassen beobachtet. Vereinzelt soll es zu verbalen Auseinandersetzungen mit den Jugendlichen gekommen sein – die Mehrheit würde jedoch still und traurig ihres Freundes gedenken.

Einige im Kiez haben Angst vor Rache und sorgen sich, dass es erneut zu Gewaltausbrüchen kommen könnte. Eine Zeit lang müsse die jetzige Situation mit der Trauerstätte beibehalten werden, sagte ein zuständiger Polizeibeamter. Allgemein werde derzeit diskutiert, ob ein Gedenkstein aufgestellt werden könne, der ein Stück von den Häusern der Anwohner entfernt liegt.

Der Migrationsbeauftragte des Bezirks, Arnold Mengelkoch, sagte, dass Präventionsbeamte der Polizei mit Sozialarbeitern vom Neuköllner Jugendprojekt „Outreach“ im Dauergespräch mit den Kiezbewohnern seien, um die angespannte Lage zu beruhigen. „Miteinander reden ist das einzige, was jetzt helfen kann in der aufgewühlten Situation“, sagt Mengelkoch.

Bereits kurz nach der Tat am Sonntag hatte die Polizei reagiert und Fachkräfte der Dienststelle „Arbeitsgemeinschaft Integration und Migration“ in den Kiez geschickt: Sie redeten sowohl mit der Familie des Opfers als auch mit Angehörigen und Bekannten sowie mit Jugendlichen in den Begegnungsstätten. Ziel ist, Aggressionen einzudämmen, ein Hochschaukeln der Emotionen zu vermeiden und mögliche Racheakte zu verhindern.

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