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Felix Todtenkopf hatte ein Modegeschäft am Storkower Markt und hielt es bis 1940 in der Kleinstadt aus.

© Stadt Storkow

Die Lückenschließer von Storkow: Einwohner spenden für Gedenken an NS-Opfer

In der brandenburgischen Kleinstadt wurde ein Stolperstein gestohlen – jetzt sollen noch mehr verlegt werden. Dafür spenden viele Einwohner.  

Von Sandra Dassler

Es ist eine kleine, nichtsdestotrotz aber schmerzliche Lücke, die da im Gehweg am Marktplatz der knapp 1000-Einwohner-Stadt Storkow klafft. Denn hier sollte eigentlich an das Schicksal des jüdischen Kaufmanns Felix Todtenkopf erinnert werden, der 1940 vor dem nationalsozialistischen Terror fliehen musste. Erst Anfang Oktober dieses Jahres war deshalb ein sogenannter Stolperstein in das Pflaster eingefügt worden, der in der Nacht zum 5. November von bislang Unbekannten gestohlen wurde.

Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Sie erinnern in Deutschland und 30 weiteren Ländern Europas an Menschen, die vom NS-Regime ermordet, deportiert oder verfolgt wurden und deshalb aus ihrer Heimat fliehen mussten. Meist werden die Steine an der letzten bekannten Adresse der Betroffenen verlegt.

So wie der bislang erste und einzige Stolperstein in Storkow: Felix Todtenkopf hatte ein Modegeschäft am Storkower Markt und hielt es dort bis 1940 aus. Dann floh er vor der drohenden Deportation gemeinsam mit seiner Frau über Shanghai in die Vereinigten Staaten. In seine Heimatstadt zurückgekehrt ist er nie mehr.

Ich war entsetzt und schockiert.

Cornelia Schulze-Ludwig, Bürgermeisterin von Storkow

In Storkow war die Nachricht vom Diebstahl des Stolpersteins voller Empörung aufgenommen worden. „Ich war entsetzt und schockiert“, sagt Bürgermeisterin Cornelia Schulze-Ludwig (SPD). „So etwas geht gar nicht.“

Ihrer Einschätzung zufolge gebe es in Storkow zwar keine gefestigte rechte Szene, einschlägige Provokationen kämen aber – etwa bei Wahlplakaten – immer wieder mal vor, sagte sie dem Tagesspiegel. „Da gibt es nichts zu beschönigen, allerdings lassen wir uns davon nicht beeindrucken und werden voraussichtlich im Januar den neuen Stein verlegen.“ Sie sei selbst überrascht und gerührt gewesen, wie viele Einwohner spontan auf sie zukamen und Geld für den neuen Stein spenden wollten. „Vielleicht kommt ja so viel zusammen, dass es noch für weitere Stolpersteine reicht“, sagt sie.

Deportiert und ermordet

Zum Beispiel für die Jüdinnen Else Groß und Erna Kaplan, die im gleichen Haus wie Felix Todtenkopf als Mieterinnen wohnten und es nicht schafften, ins Ausland zu fliehen. Else Groß wurde 1888 geboren und 1942 deportiert. Ihr Sterbeort und die Sterbeumstände sind unklar. Erna Kaplan wurde 1891 geboren und kam 1944 in Warschau unter ungeklärten Umständen ums Leben.

Anwohner erinnern in Storkow an das Schicksal des jüdischen Kaufmanns Felix Todtenkopf.
Anwohner erinnern in Storkow an das Schicksal des jüdischen Kaufmanns Felix Todtenkopf.

© Stadt Storkow

Zwei weitere Frauen lebten sogar noch bis 1942 in Storkow: Mathilde Grunewald, 1850 geboren und am 6. September 1942 in Theresienstadt ermordet, sowie Pauline Grunewald, 1876 geboren und am 12. März 1943 in Auschwitz ermordet.

Während der Staatsschutz bislang erfolglos gegen die Diebe des Storkower Stolpersteins ermittelt, bereitet die Bürgermeisterin schon die Neuverlegung vor. „Egal, für wie viele Stolpersteine am Ende die Spenden reichen“, sagt sie, „– es wird auf jeden Fall auch eine kleine Feier geben, einen festlichen Rahmen, bei dem die Einwohner zeigen, dass sie ein buntes und tolerantes Storkow wollen. Wenn die denken, dass sie uns zum Schweigen bringen, haben sie sich verrechnet.“

Es ist wichtig, dass der neue Stolperstein möglichst schnell verlegt wird.

Gunter Demnig, Künstler und Erfinder der Stolpersteine

Die Bürgermeisterin hatte bereits unmittelbar nach der Tat Kontakt zu Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig aufgenommen. „Wir haben uns sofort an der Arbeit gemacht“, erklärt er dem Tagesspiegel: „In solchen Fällen ist es wichtig, dass der neue Stein möglichst schnell verlegt wird, damit die Täter merken, dass sie keine Chance haben.“

Demnig erinnert sich, dass vor einigen Jahren in Greifswald in der Nacht zum 9. November alle elf Stolpersteine gestohlen wurden. Zugleich geisterte eine Anzeige durch die sozialen Medien, auf der Greifswald als „Stolperstein-freie Zone“ gepriesen wurde. „Da haben aber so viele Menschen gespendet, dass wir am Ende viel mehr Stolpersteine verlegen konnten“, sagt Demnig. „Seither ist Ruhe.“

Diebstähle kommen auch im Westen vor

Der Künstler, der das Stolperstein-Projekt Mitte der 90er Jahre begonnen hat, legt Wert darauf, dass die Gedenksteine nicht nur im Osten Deutschlands gestohlen oder beschädigt werden. „Das kommt auch im Westen vor“, sagt er. „In Darmstadt etwa oder in Aachen. Dort wurden mir sogar schon die Nummernschilder abgeschraubt, weil darauf www.stolpersteine.eu stand.“

Von insgesamt 96.000 Stolpersteinen, die nach Gunter Demnigs Angaben bislang in mehr als 30 Ländern verlegt wurden, seien nur 800 gestohlen oder beschädigt worden. Das sei im Verhältnis doch eine eher kleine Zahl, findet er.

Auch die Nachfrage nach Stolpersteinen sei in den neuen Bundesländern nicht geringer als in den alten, sagt Demnig. Einbezogen würden dabei – wie es der ursprünglichen Idee entspricht – nicht nur Juden, sondern auch andere NS-Opfer wie Sinti und Roma, Homosexuelle und zunehmend auch Menschen mit Behinderung oder schwarzer Hautfarbe.

„Da gibt es noch viel aufzuarbeiten“, sagt Frauke Büttner vom Aktionsbündnis Brandenburg. An die 1000 Stolpersteine seien bisher im Land verlegt worden. In Berlin sind es sogar rund 9000. Auch in der Hauptstadt würden Stolpersteine hin und wieder gestohlen oder beschädigt, heißt es in der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin. Wobei letzteres nicht immer absichtlich sein müsse, manche Kratzer entstünden beispielsweise auch durch Fahrzeuge wie etwa Schneefräsen.

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