zum Hauptinhalt
Zu Silvester darf es gerne Fisch sein.

© Ferdinand Dyck

Der Saibling und die Brandenburger Ceviche: Erlebnisse am Fischstand vor Silvester

Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz in Potsdam, hatte beim Einkauf am Fischstand auf dem Markt in Düppel an der Grenze zwischen Berlin und Kleinmachnow ein besonderes Erlebnis. Eine Gastglosse zum Jahreswechsel.

Eine Glosse von Susanne Krause-Hinrichs

Die Schlange vor „Jans Fischbude“ ist kurz vor Silvester erwartbar lang und gleicht einer nervösen Kobra. Ihre Glieder bewegen sich unruhig hin und her, und vor der Theke ist der dicke und bedrohliche Kopf kurz davor, den ganzen Stand zu verschlingen. Ich bin nur noch zwei Personen von meinem Ziel entfernt, einem wunderschönen, schillernden Saibling. Als letztes Exemplar auf der eisigen Ruhestätte erwartet er meinen Einkauf, um als Vorspeise vor der Gans in meinem berühmten „Brandenburg Ceviche“ eine tragende Rolle zu übernehmen.

Ceviche funktioniert aus gesundheitlichen - wie auch geschmacklichen - Gründen nur mit ganz fangfrischem Fisch. Kleingehackt wird er mit Limettensaft gebeizt, und mit Gemüse und Zwiebeln ergibt alles einen herrlichen leichten Salat.

Jahresendzeitliche Milde statt Aggression

Die ältere Dame begnügt sich mit geräucherter Forelle, frisch aus dem Ofen, und so trennt nur noch ein männlicher Vorstadtbewohner mit Steppweste Marke „Canada Goose“ mich von meinem Saibling. Wieso steht der nicht am Gänsestand mit seiner Weste, denke ich noch, und angstvoll lausche ich seiner Bestellung. „Weißfisch für Fondue, vier Personen“, kommt es wie aus seinem Mund geschossen. Ich seufze erleichtert, und die ursprüngliche Aggression verwandelt sich augenblicklich in jahresendzeitliche Milde.

Mit Muttizettel beim Einkauf

Jan schaut ihn fragend an: „Kabeljau, Heilbutt, Seeteufel oder Karpfen? Fondue mit Fischfond oder auf dem Grill?“ Der Mann verfällt augenblicklich in die Starre der Hilflosigkeit. Zitternd kramt er dann einen Zettel aus seiner edlen Weste, währenddessen bilden sich Schweißperlen auf seiner Stirn. „ Meine Frau hat mir das aufgeschrieben…“, stammelt er. Die Dame hinter mir stöhnt auf und ruft in den verbleibenden Schwanz der Schlange: „Ein Amateur mit Muttizettel.“ Der Schwanz der Schlange fängt an, sich hektisch zu bewegen und aus dem leisen Zischen wird ein bedrohliches Fauchen.

„ Kann ich kurz meine Frau anrufen?“ Es klingt wie der letzte Wunsch vor dem Schafott. Jan deutet vorsichtig mit dem Kopf auf die fauchende Kobra: „Besser nicht“, sagt er leise.

Der Mann tut mir fast leid, entweder verschlingt ihn die Schlange oder vermutlich seine Frau. Ich versuche zu helfen: „Der Seeteufel eignet sich hervorragend für Fondue, sowohl im Topf, wie auch auf dem Grill“, und deute auf das wolkige Gebilde aus weißem Fisch. „Das sieht aber gar nicht aus wie ein Fisch“, erwidert er trotzig. „Das ist ein Vorteil“, erläutere ich, „es ist ein Knorpelfisch, er hat keine Gräten und lässt sich sehr gut verarbeiten.“ „Ich soll aber Fisch mitbringen“, entfährt es ihm, und zu meinem Entsetzen fällt sein Blick auf den einsamen Saibling, der zugegebenermaßen als einziger wie ein richtiger Fisch aussieht.

Räucherlachs statt Saibling

„ Ich nehme den!“ Triumphierend zückt er sein Portemonnaie. Mein Mund formt sich zu einem Schrei, aber Jan hat den Saibling schon in Papier gewickelt und über die Theke geschoben. „Was kann ich für dich tun, Susanne, mein Schatz?“ Jan lächelt mich an. „Gib mir was von dem Räucherlachs“, entgegne ich resigniert.

Der Westenträger steuert auf den Geflügelstand zu. Ich stelle mir die Blicke seiner Ehefrau vor, wenn er den Saibling auspackt, und ein Lächeln kehrt auf mein Gesicht zurück.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false