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Im Umbruch. Was aus der Braunkohleregion in der Lausitz nach einem möglichen Kohleausstieg wird, hängt vor allem auch davon ab, wie der Strukturwandel begleitet wird.

© Patrick Pleul, dpa

Brandenburg: „Dann wird der Frust noch größer“

Christine Herntier ist Bürgermeisterin in Spremberg mitten in der Lausitz Ein Gespräch über die Herausforderungen und Chancen des Strukturwandels

Frau Herntier, in Spremberg demonstrierten kürzlich rund 500 Arbeiter für sichere Arbeitsplätze trotz Kohleausstieg. Spiegelt der Protest die Stimmung in der Lausitz?

Ich nehme eine Skepsis wahr. Etwa wie eine stabile Energieversorgung ohne die Braunkohle gelingen kann. In Spremberg und in der Lausitz wohnen viele Menschen, die in der Energiewirtschaft arbeiten. Aber auch diejenigen, die nicht direkt in der Kohle arbeiten, sind verunsichert. Es gab eine Deindustrialisierung der Lausitz nach der Wende. Viele Leute fragen sich nun, wie es dieses Mal gemacht, wenn es schon einmal nicht gelungen ist.

Sie haben lange in einem lokalen Textilunternehmen gearbeitet. Nach der Wende ging es mit der Firma bergab. Warum scheiterte der Strukturwandel damals?

Das Schicksal der Textilfirma steht eigentlich beispielhaft für viele Unternehmen der Lausitz. Nach der Wende hat ein ausländischer Investor die Lausitzer Textilindustrie quasi im Handstreich übernommen. Kurze Zeit später hat das Unternehmen Insolvenz angenommen. Ich persönlich bin mit zwei Partnern einen anderen Weg gegangen: Ich habe eine eigene Firma neu gegründet – mit hundert Prozent privatem Risiko.

2012 wurde ihre Firma geschlossen.

Am Ende konnten wir im internationalen Wettbewerb nicht mithalten, trotz vieler innovativer nachhaltiger Produkte. Aber die Strompreise stiegen. So schnell konnten wir überhaupt keine Maßnahmen zur Energieeinsparung umsetzen. Im Zuge dessen sind übrigens viele Unternehmen kaputtgegangen und zwar aus ganz verschiedenen Branchen.

Der Kraftwerksbetreiber Leag gilt als das einzige wirtschaftliche Schwergewicht in der Lausitz. Allein in den kommenden Jahren fallen aber 600 Jobs weg.

Diese Jobs fallen dadurch weg, dass Kraftwerksblöcke in Sicherheitsbereitschaft gehen. Das ist politisch so gewollt.

Nennenswerte Umsätze macht man mit Braunkohle doch nicht mehr. Wie haltbar ist da das Argument vom wirtschaftlichen Schwergewicht überhaupt noch?

Da muss man differenzieren: Es stimmt, die Kommunen am Ort erzielen derzeit kaum Gewerbesteuereinnahmen durch die Leag. Das Geschäftsmodell der Leag, die ausschließlich auf Braunkohleförderung und -verbrennung setzt, ist zur Zeit beeinträchtigt – wegen staatlicher Eingriffe in den Markt. Ich nenne nur die staatlich subventionierten erneuerbaren Energien. Die Kommunen profitieren, anders als bei der konventionellen Energieerzeugung, nicht von den Erneuerbaren. Hinzu kommt der Druck für die Leag aufgrund der die steigenden Zertifikatspreise im Emissionshandel. Die Schuld an der wirtschaftlichen Schieflage sehe ich letztlich aber gar nicht bei der Leag.

Sondern?

Vattenfall hat sich 2016 komplett von seiner Braunkohlesparte getrennt. Sie haben nur die Erneuerbaren-Sparte behalten. Wir Kommunen haben uns damals als Lausitzrunde, einem Bündnis von 33 Kommunen, zusammengetan und Vattenfall gebeten, mit uns den Strukturwandel anzugehen. Aber da war nichts zu machen. Von daher können wir froh sein, dass der tschechische Konzern EPH, die heutige Leag, das übernommen hat. Sonst hätten wir damals ein Riesenproblem gehabt.

Die Kohle-Kommission, die jetzt den Strukturwandel organisieren soll, ist doch eigentlich eine Chance für die Lausitz.

Diese Riesenchance sehe ich auch. Wir haben die Möglichkeit, uns klar zu positionieren. Aber nochmal: Das muss mit den Leuten und den Unternehmen vor Ort gemeinsam geschehen.

Was braucht die Lausitz, um den Strukturwandel zu meistern?

Da werden verschieden Maßnahmen nötig sein. Zugang zu Forschung- und Entwicklung ist sehr wichtig. Die Infrastruktur sowohl was den Verkehr, als auch die Digitalisierung betrifft muss schnellsten auf den modernsten Stand gebracht werden. Und die Lausitz muss lebenswert bleiben gerade für junge Menschen.

Wohin entwickelt sich die Energiewirtschaft in der Lausitz?

Es ist ein Prozess weg von der Verstromung der Braunkohle, aber eben nicht sofort. Für die Zukunft sehe ich uns als europäische Modellregion für den Strukturwandel. Wir wollen die Wasserstoffherstellung und Nutzung für Energieversorgung und Verkehr hier ansiedeln. Wir wollen ein Standort für die Speichertechnologie werden. Da erwarte ich vom Bund, dass bei diesen Vorhaben die Lausitz vorrangig berücksichtigt wird. Sonst wird der Frust bei den Leuten noch größer.

Das Interview führte Nora Marie Zaremba

Christine Herntier (parteilos) ist Bürgermeisterin von Spremberg und Sprecherin der Lausitzrunde, in der sich 33 Kommunen der Region dem Strukturwandel widmen.

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