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Der Wasserstand sinkt. Die Sauerstoffanreicherungsanlage ist seit Jahrzehnten außer Betrieb.

© Sabine Schicketanz

Bedrohung durch Klimawandel: So schlecht steht es um den Sacrower See

Experten schlagen Alarm: der Sacrower See leidet unter Bakterienbefall und sinkendem Wasserstand. Könnte die seit Jahrzehnten abgeschaltete Sauerstoffanlage helfen?

Von Carsten Holm

Potsdam - Ein See kann schöner kaum gelegen sein: eingebettet in die waldreiche Landschaft eines Naturschutzgebiets, weiches Wasser, wenige Badestellen. Zu Recht wird der Sacrower See, ein Ort der Ruhe im Norden Potsdams, zu den brandenburgischen Juwelen gezählt.

Steigende Temperaturen und weniger Regen - dem See fehlt Nachschub

Doch er ist dabei, seinen Glanz zu verlieren. Nicht nur, dass der See auffallend trübe wirkt. Vor Millionen Jahren während der Eiszeit in einer sogenannten glazialen Rinne unter dem Gletschereis entstanden, sinkt jetzt sein Wasserstand wegen des Klimawandels beharrlich. Die Prognose des brandenburgischen Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz klingt düster: "Die steigenden Temperaturen und wenigen Niederschläge werden dazu führen, dass der Zufluss an Grundwasser immer geringer wird." Das Problem: Der See hat keinen weiteren Zufluss, er speist sich nur aus Grundwasser und Regen.

Experten des Ministeriums halten den mehr als 3,2 Kilometer langen und bis zu 500 Meter breiten See sogar für gefährdet. Sie befürchten, dass der Klimawandel die Zunahme von sogenannten fädigen Cyanobakterien - umgangssprachlich bekannt als Blaualgen - begünstigt, die die heute noch zahlreichen Fischarten gefährden und Wasserpflanzen absterben lassen könnten.

Das Umweltministerium überprüft die Wasserqualität regelmäßig

Auf PNN-Anfrage machten die Süßwasserbiologen kein Hehl daraus, wie sehr sie die Sorge um die weitere Entwicklung der Wasserqualität umtreibt. Man warte, so der Ministeriumssprecher Sebastian Arnold, "mit Spannung" auf die nächsten Messwerte. Sechs Wasserproben würden in diesem Jahr im Abstand von vier bis fünf Wochen über der mit 35 Metern tiefsten Stelle des Sees entnommen, die Ergebnisse sollen bis zum 31. März 2021 vorliegen.

Die Blaualgen sind auch für Schwimmer potenziell gefährlich: Die von den Bakterien ausgeschiedenen Giftstoffe können beim Hautkontakt oder wenn sie in größeren Mengen verschluckt werden, zu Erkrankungen oder Allergien führen, wie das Verbraucherschutzministerium warnt. Kinder sind besonders gefährdet. Auch für Hunde können Blaualgen problematisch sein.

Der See ist trübe wie Apfelsaft

Für den Sacrower See kommt ein nur vordergründig "kosmetisches" Problem hinzu: Seit Jahrzehnten wird der See für seine Klarheit gerühmt, auch der Locationguide "Top 10 Berlin" empfiehlt ihn wegen einer Sichttiefe von "mehr als vier Metern" und preist das "kristallklare Wasser". Die Wahrheit sieht anders aus: Der Sacrower See wirkt jetzt im September kaum transparenter als naturtrüber Apfelsaft.

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Die Ministeriumsleute wissen, warum die Sichttiefe, wie schon seit langem, nur 90 Zentimeter beträgt: Immer wenn die Wassertemperatur auf über 20 Grad steigt, entziehen Algen dem See alles Kohlendioxid. Sie benutzen es als Kohlenstoffquelle, der Säuregrad des Wassers sinkt – und es braucht nach Hitzeperioden einige Tage, bis das Wasser etwas klarer wird.

Von wegen klares Wasser.
Von wegen klares Wasser.

© Carsten Holm

Die Lage wird sich kaum bessern. Weil die Bakterien ganzjährig wachsen und sich schlecht auf dem Seeboden ablagern, werden laut Umweltministerium künftig "kaum noch Phasen mit Sichttiefen bis über drei Meter auftreten". Im Klartext: Der Sacrower See wird wohl für eine halbe Ewigkeit Trübsal blasen.

Indes: Die Badewasserqualität ist nach Angaben der Stadt "ausgezeichnet". Zuletzt wurden am 25. August an der Badestelle beim Restaurant Landleben an der Nordseite des Sees Proben entnommen.

Die Sauerstoffanreicherungsanlage in der Mitte des Sees ist seit Jahrzehnten außer Betrieb.
Die Sauerstoffanreicherungsanlage in der Mitte des Sees ist seit Jahrzehnten außer Betrieb.

© Sabine Schicketanz

Mitten auf dem See schwappt das Wasser gegen drei aluminiumfarbene Behälter. Wer ihnen nahe kommen will, muss kraftvoll rudern, bis er die Schrift "Betreten verboten" lesen kann. Das Szenario wirkt, als hätten Aliens die Überbleibsel einer Notwasserung in Eile zurückgelassen - doch da liegt nur eine stillgelegte Sauerstoffanreicherungsanlage. Uwe Brämick, der Direktor des am See beheimateten Sacrower Instituts für Binnenfischerei, erzählt: Die Stadt Potsdam habe die Anlage angeschafft, das Institut sie von 1992 bis 1996 betrieben. Aus Kostengründen sei sie abgeschaltet worden.

Sacrower See Potsdam. Institut für Binnenfischerei.
Sacrower See Potsdam. Institut für Binnenfischerei.

© Carsten Holm

Vielleicht war das ein Fehler. Die Frage der PNN, ob eine Wiederinbetriebnahme die Wasserqualität befördern würde, bejahen sowohl Brämick als auch das Ministerium. In der Betriebsphase, so der Wissenschaftler, hätten Messungen eine Anreicherung von Sauerstoff im Tiefenwasser belegt, was für die dort lebende Fischart Kleine Maräne sowie viele Arten von Wirbellosen die Lebensbedingungen verbessere. Gleichzeitig sei Sauerstoff am Seeboden eine Voraussetzung für die Bindung von Nährstoffen und sorge für eine Verringerung von Algen und damit der Wassertrübung. Es müsste, fordert Brämick, untersucht werden, ob ähnliche Effekte auch künftig erzielbar seien.

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Ministerium und Institut befürworten eine Wiederinbetriebnahme

Im Ministerium beurteilt man die Lage ähnlich. Bei einer Belüftung des Wassers hätten beispielsweise Kleine Maränen "bessere Überlebenschancen und bessere Wachstumsmöglichkeiten". Bei einer Zuführung von Sauerstoff am Boden des Sees könnten sich auch wirbellose Tiere besser entwickeln. Sie hätten als Nährtiere für Fische eine wichtige ökologische Funktion und könnten, bevor sie selbst zur Mahlzeit werden, die Reste der abgesunkenen Algen fressen.

Das Ministerium spricht Klartext für den Fall, dass in Sacrow alles so bleibt wie es ist. Die Defizite der Sauerstoffsättigung würden künftig schon im Frühsommer die sogenannte Sprungschicht erreichen, die eine Barriere zwischen dem warmen, sauerstoffreichen und den sauerstoffärmeren, kälteren Schichten bildet.

Noch leben im See Fische wie Schleie, Barsche, Rotfeder und Ukelei

Die Folgen wären verheerend. Wasserpflanzen auf dem Seeboden könnten "wegen Lichtmangels absterben", die Lebensqualität der Fische beeinträchtigt werden. Bisher ist der See Heimstatt für Schleie, Barsche, Plötzen, Rotfedern, Zander, Welse, Steinbeißer, Aale, Kleine Maränen, den karpfenartigen Güster und einen Artverwandten, den Ukelei. Wie lange noch, weiß niemand.

Allein: über die Wiederinbetriebnahme der Anlage spricht bisher nur die Bürgerinitiative Schützt Potsdam.

Vor der Wende durchzog die Berliner Mauer den zwischen Sacrower See und Havel gelegenen Ort, er gehörte zum streng abgeschirmten DDR-Grenzgebiet. Danach aber wurde der Pegelstand am Ufer des Instituts für Binnenfischerei ständig gemessen.

Der See trocknet frühestens in 5000 Jahren aus, meint man im Ministerium

Das Ergebnis ist bedrückend. "Wir liegen mittlerweile etwa einen halben Meter unter dem mittleren Wasserstand der letzten 30 Jahre", sagte Institutsdirektor Brämick den PNN. Besteht die Gefahr, dass der Sacrower See auf lange Sicht austrocknet? Ministeriumssprecher Arnold hat seine Experten befragt und kann beruhigen. Der See habe eine mittlere Tiefe von 19,3 Metern. Selbst wenn man mit einer Wasserstandsabsenkung von bis zu zehn Metern durch den Klimawandel während der nächsten 10.000 Jahre rechne, blieben dem See "noch 5- bis 10.000 Jahre bis zur Verlandung".

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