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Barbierin in Potsdam: Beate mit den Scherenhänden

Kann man selber machen – muss man aber nicht. Immer mehr Männer überlassen die Bartpflege einem Profi. In Potsdam gibt es jetzt sogar eine Barbierin.

Potsdam - Daniel Schrewe ist ein Durchschnittsbartträger mit kurzem Vollbart. Und trotzdem hat er ein Problem. „Ich kriege die Konturen alleine nicht hin, ich habs oft probiert, das wird immer schief“, sagt der 28-Jährige. Er ist also auch kein Anfänger, was das Rasieren betrifft. Aber er hat Ansprüche, an den Wangen soll es nicht wuchern, sondern gepflegt aussehen. Und dafür braucht er Hilfe. In Potsdam und Berlin hat er in den vergangenen Monaten mehrere Barbiere getestet und ist jetzt bei Beate Radtke hängengeblieben.

Immer freitags lässt er sich von der ausgebildeten Barbierin den Bart schön machen. „Hier fühle ich mich wohl und das Preis-Leistungsverhältnis stimmt“, sagt Schrewe. Die Bartpflege im Salon „A Sense of Decadence“, wo Radtke seit August arbeitet, kostet fünf bis 25 Euro – je nach Aufwand, sagt Saloninhaber Jens Steinmeier, der selbstverständlich auch rasieren kann. Aber unter Beate Radtkes Händen scheint Daniel Schrewe dahinzuschmelzen.

Messer an der Gurgel: Eine verantwortungsvolle Angelegenheit

15 Minuten dauert das Pflegeprogramm, Schrewe schließt die Augen. „Du darfst dich jetzt entspannen“, sagt die Barbierin. Natürlich sei das eine vertrauensvolle Angelegenheit, jemanden mit einem scharfen Messer an Gesicht und Gurgel zu lassen, sagt Radtke. „Vor allem wenn es eine Frau ist – das wollen manche auf keinen Fall.“ Oder sie sind zumindest überrascht, wie Daniel Schrewe. „Ich dachte immer, das sind alles Männer.“ Aber Bart ist Trend, der Barbier ist wieder im Kommen und mit ihm eben auch die Barbierin.

Beate Radtke, 37 Jahre alt, ist seit 20 Jahren Friseurin, Vintage-Stylistin und nun auch Barbierin. Die Ausbildung hat sie vor zwei Jahren absolviert. „Ich wollte einfach noch mal was anderes ausprobieren“, sagt sie. Anfangs wurde am Luftballon gearbeitet, bis dieser nicht mehr platzte. Dann übte sie an lebenden Modellen, einen Blutstiller-Stift immer in Reichweite. „Und die Modelle wissen ja, worauf sie sich einlassen“, sagt sie lachend. Sie habe aber von Anfang an eine ruhige Hand gehabt. Es helfe, wenn der Kunde entspannt ist, das überträgt sich dann auch auf sie. Ist der Kunde nervös, weil es vielleicht das erste Mal ist, bitte sie ihn, die Augen zu schließen.

„Ich habe noch nie einen Kunden geschnitten"

Sie schwatzt auch nicht, während sie arbeitet, es sind 15 ruhige, konzentrierte Minuten. „Ich habe noch nie einen Kunden geschnitten, ich hatte nur selber mal das Messer im Finger.“ Aber mit Rasiermessern könne man einfach genauer arbeiten. Aus hygienischen Gründen gibt es jetzt sogar Einmalklingen für die traditionellen Klappmesser. Früher sei es so gewesen, dass jeder Kunde sein eigenes Besteck, Messer, Seifenschale und Pinsel, im Salon zu stehen hatte. Bei Steinmeier und Radtke ist die Rasur auch im Jahr 2017 ein Ritual. Mit Massage, Wachs oder Balsam. Barthaar ist Borstenhaar, sagt Steinmeier, das ist bockig und braucht Pflege. Auch Daniel Schrewe lässt sich von seiner Barbierin zuletzt einölen.

Täglich kommen bis zu zehn Bart-Kunden in den kleinen Salon in Babelsberg. Steinmeier ist froh, dass er seine neue Mitarbeiterin hat. In Potsdam gebe es ja nicht so viel Auswahl, sagt er. Ein Kollege in der Innenstadt „macht noch Kurzbärte, die ich nicht kann – wir empfehlen uns dann die Kunden gegenseitig“. Die meisten Männer tragen allerdings ganz unspektakuläres Gesichtshaar. „Wir haben nur zwei Zwirbel– und einen Kaiser-Friedrich-Backenbart“, sagt Steinmeier und meint die Kunden. „Die machen natürlich viel Spaß.“

Absage für Matthias Platzeck?

Das normale Bart-Programm beginnt mit der Vorbereitung. Balsam wird einmassiert und soll die Haare geschmeidig machen. Dann wird mit Schere und Kamm gekürzt, der Bart neu in Form gebracht, sagt Steinmeier. Anschließend wird mit dem Rasiermesser die Kontur ausgearbeitet. Eine komplette Nassrasur bietet der Salon auch an. Das dauert aber und ist etwas teuer; Luxus – zu Hause geht so was vermutlich schneller.

Beate Radtke trägt Pony und Pferdeschwanz, tailliertes Kleid und knallroten Lippenstift und passt ganz wunderbar zum Salon, der im Vintage-Style der 30er- und 40er-Jahre gehalten ist, mit historischen, aber sehr bequemen Friseurstühlen, zwischen Art Déco, Jugendstil und Barocker Pracht. Steinmeier hat sich hier am ruhigen Stadtrand den Traum von einem ganz besonderen Friseurgeschäft erfüllt, im Januar 2016 war Eröffnung. Von Anfang an läuft der Laden gut. Es kommen Kunden der Rockabilly-Szene, aber hauptsächlich ganz normale Potsdamer, auch Nachbarn, Senioren oder Kinder. „Ich mache auch Dauerwelle für die Omi von nebenan“, sagt er. Die Wartezeit für Termine kann schon mal ein paar Wochen betragen. Keine Ausnahme. „Ich glaube, ich habe mal Herrn Platzeck abgesagt, der spontan reinschaute – ich hab das erst gemerkt, als er schon wieder weg war“, sagt Jens Steinmeier. Aber bei ihm sind eben alle gleich.

Für Daniel Schrewe sind nicht alle gleich. „Bea ist jetzt Nummer eins“, sagt er über seine Barbierin. Und verabschiedet sich – frisch rasiert und balsamiert fürs Wochenende. Vorher hat er noch einen Termin für nächsten Freitag gemacht.

A Sense of Decadence in der Rudolf-Breitscheid-Straße 81, Tel.: (0331) 588 335 60

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